Schwäbische Zeitung (Biberach)
Kleine Schritte auf dünnem Eis
Bund und Länder beschließen erste Lockerungen in der Corona-Krise
BERLIN - Am Ende dauerte es bis zur Einigung doch länger als zuerst gedacht: Erst um 18:04 Uhr statt um kurz nach 17 Uhr trat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammen mit Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und den Länderchefs Markus Söder (CSU) und Peter Tschentscher (SPD) am Mittwoch im Kanzleramt vor die Presse, um erste Lockerungen in der CoronaKrise zu präsentieren. Darauf haben sich Bund und Länder zuvor in stundenlanger Konferenz verständigt:
Krisenbeurteilung:
Bund und Länder sehen brüchige Zwischenerfolge im Kampf gegen das Corona-Virus: „Es ist gelungen, dass unser Gesundheitssystem am Laufen gehalten werden konnte“, sagte Merkel. Man befinde sich aber weiter „auf dünnem Eis“, betonte Hamburgs Regierungschef Peter Tschentscher. Deshalb wolle man die bisherigen Einschränkungen nur behutsam lockern. Mehr öffentliches Leben solle nur in kleinen Schritten zugelassen werden, sagte Merkel. So gelte auch der Mindestabstand von 1,5 Metern zu anderen Menschen mindestens bis zum 3. Mai weiter.
Einheitlichkeit:
Zwar haben sich Bund und Länder auf eine gemeinsame Linie mit gemeinsamen Standards geeinigt, deren Ausschöpfung kann aber von Bundesland zu Bundesland durchaus unterschiedlich ausfallen. Insbesondere Bayern bremst. Süddeutschland sei von Corona stärker getroffen als andere Regionen, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). „Wir werden das vorsichtiger angehen“, kündigte er an.
Gesichtsmasken:
Man werde den Bürgern die Verwendung von „Alltagsmasken“, also einem einfachen Mund-Nasen-Schutz, für das Einkaufen und im öffentlichen Nahverkehr „dringend empfehlen“, sagte Merkel. Dieses „Maskengebot“ist allerdings keine Maskenpflicht.
Schulen, Kitas:
Die Schulen in Deutschland sollen ab dem 4. Mai langsam wieder hochfahren. Starten soll der Betrieb zuerst in den Abschlussklassen. Ein Start in der kommenden Woche, wie ihn NordrheinWestfalen angekündigt hatte, ist damit nach langer Diskussion vom Tisch. Bayern will sich mehr Zeit lassen. Die Kultusminister der Länder sollen bis 29. April ein Konzept vorlegen, wie der schrittweise Wiedereinstieg unter Wahrung der Hygieneregeln gelingen kann. Es brauche Schulbus- und Pausenkonzepte, sagte Merkel. Bei den Kitas und unteren Grundschuljahrgängen seien bis auf Weiteres keine Öffnungen geplant. „Ich weiß, wie viel Verzicht das für Eltern bedeutet“, sagte die Kanzlerin.
Geschäfte:
Läden mit bis zu 800 Quadratmeter Verkaufsfläche sollen wieder öffnen können, wenn Auflagen zur Hygiene und zur Kundensteuerung erfüllt werden. Zudem sollen Auto-, Fahrrad- und Buchhändler unabhängig von der Größe wieder öffnen dürfen. Andere große Geschäfte sollen geschlossen bleiben, auch um große Menschenansammlungen zu verhindern. Ob Bundesländer wie Bayern die 800 Quadratmeter-Richtgröße ausschöpfen oder nur kleineren Läden die Wiedereröffnung erlauben, blieb offen. Zwischen den Ländern hatte es langen Streit gegeben, welche Maximalgröße angemessen ist.
Friseure:
Können Friseursalons nachweisen, dass sie Hygienestandards einhalten, den Zutritt steuern und Warteschlangen vermeiden können, dürfen sie ab 4. Mai wieder den Betrieb aufnehmen.
Religion:
Auch wenn das Verbot gemeinsamer Gottesdienste zu
Ostern umstritten war, sollen religiöse Zusammenkünfte vorerst weiter verboten bleiben. Allerdings hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) für Freitag Religionsgemeinschaften und Ministerpräsidenten zu Gesprächen geladen. Ziel: Eine einvernehmliche Lösung finden.
Großveranstaltungen:
Für Großfeste, Festivals und Bundesligaspiele vor Publikum sieht es in diesem Sommer düster aus: Großveranstaltungen werden bis 31. August bundesweit untersagt. Söder warb um Verständnis und verwies auf die Ausbrüche im Skiort Ischgl und beim Karneval in Heinsberg.
Gaststätten:
Ob man sich Pfingsten im Restaurant oder Biergarten treffen kann, ist noch offen. „Das ist noch nicht dran“, sagte Merkel zur Frage der Öffnung gastronomischer Betriebe. In Gaststätten sei überhaupt nicht kontrollierbar, wer mit wem am Tisch sitze.
Tracking:
Das Erkennen von Infektionsketten sei „ganz wichtig“, um mehr öffentliches Leben zu ermöglichen, sagte Merkel. Hier soll weitergeforscht werden. Auch die eigentlich bereits für Mitte April versprochene App soll bald kommen.
Normalität:
Bis dahin wird es wohl noch viele Monate dauern. Bund und Länder wollen zunächst am 30. April und dann alle zwei Wochen schauen, wie sich die nun beschlossenen Lockerungen auf die Infektionsraten entwickeln. Davon soll abhängen, ob und wie weitere Lockerungen folgen. „Wir bewegen uns in eine neue Normalität“, sagte Vizekanzler Olaf Scholz.