Schwäbische Zeitung (Biberach)

Familie übersteht Corona und hilft anderen

Wie die Schemmerho­fer die Erkrankung erlebt haben und warum sie jetzt Masken nähen

- Von Andreas Spengler

SCHEMMERHO­FEN - Sven Milverstae­dt war mit Corona infiziert und hat mutmaßlich auch seine Familie angesteckt. Zwei Wochen lang kämpfte der 39-jährige Schemmerho­fer gegen das Virus. Heute ist er genesen. Seine Frau und er helfen inzwischen anderen Menschen – mit einer Idee, die in der Quarantäne entstand.

„Das war das Härteste, was ich je in meinem Leben durchgemac­ht habe“, sagt Sven Milverstae­dt heute. Dabei begann die Coronainfe­ktion vermeintli­ch harmlos. An einem Tag Anfang März ging Milverstae­dt mit einem Arbeitskol­legen einige Dokumente durch, etwa drei Stunden unterhielt­en sie sich. Noch in der Mittagspau­se ging der Kollege nach Hause, weil er sich unwohl fühlte. Am Tag danach spürte auch Milverstae­dt ein Kratzen im Hals. Die Symptome wurden bald stärker.

Zwei Tage später wachte er mit Gliedersch­merzen und leichtem Fieber auf. Er erfuhr, dass sein Kollege Urlaub im österreich­ischen Skiort Ischgl gemacht hatte und sich inzwischen in Quarantäne befand. „Auch ich hab dann gleich Betretungs­verbot bei meiner Firma bekommen“, erzählt er. Für den Anruf und den Test beim Gesundheit­samt brauchte er indes Geduld. Erst eine Woche nach dem Abstrich kam das Ergebnis und damit die endgültige Gewissheit. „Da wusste ich selbst schon, dass ich es habe“, sagt er. „Ich hatte alle typischen Symptome bis auf den Geschmacks­verlust.“

Vom ersten Tag an, als die Symptome auftraten, habe für seine Familie die Devise gegolten: „Hier verlässt niemand mehr das Haus“, erzählt Svens Frau Manuela Milverstae­dt. Die Einkäufe erledigten Freunde oder Verwandte. „Gott sei Dank sind wir von Beginn an zu Hause geblieben und haben sicherlich niemanden angesteckt“, sagt Sven Milverstae­dt. Doch seine Symptome wurden rasch stärker. Zum Fieber kam bald schon starker Husten dazu. „Das klang wirklich wie ein Bellen, ganz trocken“, erinnert er sich. Nach zehn Tagen sei es am Schlimmste­n gewesen. Milverstae­dt verfolgte auch die Berichters­tattung in den Medien über die Pandemie. „Ich hab mich für nichts anderes mehr interessie­rt. Und wenn man dann sieht, wie Patienten daran sterben, wird es natürlich nicht besser.“

Er habe keine Vorerkrank­ungen, kein Diabetes und sei Nichtrauch­er. Und dennoch habe ihn das Virus „relativ

stark erwischt“. Beinahe zwei Wochen lang schleppte er sich meist nur vom Bett zum Sofa. Auch seine Frau und seine drei Kinder blieben bei ihm. „Ich hatte unheimlich Angst“, erzählt Manuela Milverstae­dt. Doch sie und die Kinder zeigten nur ganz leichte Symptome. „Ich hatte zehn Tage einen sehr trockenen Hals.“Schmerzen wie nach einem langen Konzert, bei dem zu laut mitgesunge­n wurde. Ähnlich erging es der zehnjährig­en Tochter. Der siebenjähr­ige Sohn klagte derweil über Kopfschmer­zen. Der vierjährig­e Sohn hatte erhöhte Temperatur und sei einige Tage unruhig gewesen, berichtet sie. „Ich gehe stark davon aus, dass wir auch mit dem Virus infiziert waren.“Testen lassen habe sie sich allerdings nicht. „Ich wollte den Test jemandem überlassen, der es nötiger hat.“Die Zeit der Quarantäne sei für die Familie und die Kinder nicht einfach. „Streitet nicht so viel miteinande­r. Ihr habt jetzt nur euch drei zum Spielen“, habe sie den Kindern gesagt. Das funktionie­re meistens gut.

Nach etwa zehn Tagen ließen auch bei ihrem Mann die Symptome nach. Doch für Manuela Milverstae­dt schien die Zeit des Wartens quälend lang. „Mein Mann lag im Bett und ich konnte nicht helfen.“Ein Hobby wurde dabei für sie zum Glück. Schon vor der Coronokris­e nähte und bastelte sie viel. Mit ihrer eigenen kleinen Firma „Kreativ Blau Gelb“bietet sie Dekoartike­l und Selbstgenä­htes vor allem auf Märkten an. Während der Quarantäne kam die Idee, Masken zu nähen.

Im Internet informiert­e sie sich über Schnittmus­ter, Stoffe und Verarbeitu­ng.

Der Schemmerho­fer Sven Milverstae­dt war mit Corona infiziert

Wichtig sei ein eng gewebter Baumwollst­off. „Die Bettwäsche von der Oma eignet sich zum Beispiel am besten dafür“, sagt sie. Generell seien die älteren Stoffe häufig besser geeignet.

Die ersten acht Masken verschenkt­e sie an eine befreundet­e Physiother­apeutin, der die Praxisschl­ießung drohte, weil sie keine Masken mehr auftreiben konnte. Mehr als 300 Masken hat sie bereits an Pflegeheim­e, Klinikmita­rbeiter, Kindergärt­en, Freunde und Verwandte verschenkt. Jede Maske wird vor der Lieferung gebügelt, mit Desinfekti­onsmittel eingesprüh­t und in eine Plastiktüt­e gepackt.

Doch noch vor wenigen Tagen zweifelte Milverstae­dt an ihrer Idee, dachte gar ans Aufhören, „Es gab kein großes Interesse mehr dafür. Das hat fast niemanden interessie­rt.“Doch das hat sich schlagarti­g gewandelt, spätestens seitdem auch in BadenWürtt­emberg klar ist, dass die Maske ab Montag beim Einkaufen und in Bus und Bahnen zur Pflicht werden.

Inzwischen laufen in Schemmerho­fen die Telefone heiß, auch online gehen jeden Tag zig Anfragen ein. Bis nach Hamburg hat sich Milverstae­dts kleine Maskenprod­uktion herumgespr­ochen. 20 Minuten näht sie an einer Maske, für sechs Euro verkauft sie das Stück. Damit mache sie keinen großen Gewinn, betont sie, zumal die Preise für Stoff und Zubehör explodiert sind. Doch ihr gehe es darum, anderen Menschen zu helfen. „Das ist kein großes Business.“An manchen Tagen verbringe sie nun zehn Stunden nur mit Nähen. „Ich gebe mein Bestes, aber ich würde nie die

Masken im großen Stil zum Beispiel für Discounter-Märkte nähen.“Dennoch sind die Zahlen beachtlich. Beinahe 1000 Masken hat Milverstae­dt inzwischen hergestell­t.

Bis jetzt habe sich keiner ihrer Kunden beschwert. Die Masken seien keine „Schutzmask­en“, sondern nur „Alltagsmas­ken“, betont sie. Die Unterschei­dung sei wichtig, weil Schutzmask­en streng genommen nur für medizinisc­he Zwecke gedacht sind und anders funktionie­ren als herkömmlic­he Behelfsmas­ken.

Dennoch glaubt sie, kann die Maskenpfli­cht helfen. Und eine genähte Stoffmaske sei allemal besser als Millionen von Einmalmask­en. Die genähte Maske könne schließlic­h ganz einfach gewaschen, gebügelt und somit wiederverw­endet werden.

Sie helfe gerne aus und freue sich über die große Nachfrage. Dennoch sei ihr bewusst, dass die Masken auch Risiken bürgen. „Meine Oma wollte eine Maske haben, um wieder einkaufen zu gehen“, erzählt Milverstae­dt. Doch den Wunsch habe sie der 80Jährigen verwehren müssen. „Dann hätten die Masken ihren Sinn verfehlt.“Denn wie viel Schutz die Masken tatsächlic­h bieten, sei weiterhin unklar. „Es hilft vor allem, weil man sich dann nicht mehr so häufig unbewusst ins Gesicht fasst“, meint sie.

Gerade ältere Menschen und andere Risikogrup­pen sollten sich besser helfen lassen, aber keine Einkäufe mehr selbst erledigen. Die Masken täuschten eine trügerisch­e Sicherheit vor, die es kaum gebe. Auch Sven Milverstae­dt betont, wie gefährlich die Pandemie sei: „Eine Corona-Erkrankung wünsche ich wirklich niemandem.“Bevor er selbst infiziert wurde, habe er das Coronaviru­s auf die leichte Schulter genommen, gibt er zu. Heute warnt er: „Wir dürfen nicht leichtfert­ig sein!“Er habe sich jetzt auch als Blutspende­r bei einem Projekt der Universitä­t Tübingen registrier­t, dass die Coronafors­chung vorantreib­en will. Die ganze Familie hofft nun, dass sie gegen das Virus immun ist. „Wenn die Immunität wenigstens reichen würde, bis es einen Impfstoff gibt, wären wir schon froh“, sagt Vater Sven. „Ich möchte bestimmt nicht noch mal Corona bekommen.“

„Das war das Härteste, was ich je in meinem Leben durchgemac­ht habe.“

„Streitet nicht so viel miteinande­r. Ihr habt jetzt nur euch drei zum Spielen.“

Manuela Milverstae­dts Rat an ihre

Kinder während der Coronakris­e

Manuela Milverstae­dt sucht noch Stoffspend­er für neue Masken. Sie ist zu erreichen per E-Mail: info@kreativ-blau-gelb.de

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FOTOS: ANDREAS SPENGLER
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