Schwäbische Zeitung (Biberach)
Familie übersteht Corona und hilft anderen
Wie die Schemmerhofer die Erkrankung erlebt haben und warum sie jetzt Masken nähen
SCHEMMERHOFEN - Sven Milverstaedt war mit Corona infiziert und hat mutmaßlich auch seine Familie angesteckt. Zwei Wochen lang kämpfte der 39-jährige Schemmerhofer gegen das Virus. Heute ist er genesen. Seine Frau und er helfen inzwischen anderen Menschen – mit einer Idee, die in der Quarantäne entstand.
„Das war das Härteste, was ich je in meinem Leben durchgemacht habe“, sagt Sven Milverstaedt heute. Dabei begann die Coronainfektion vermeintlich harmlos. An einem Tag Anfang März ging Milverstaedt mit einem Arbeitskollegen einige Dokumente durch, etwa drei Stunden unterhielten sie sich. Noch in der Mittagspause ging der Kollege nach Hause, weil er sich unwohl fühlte. Am Tag danach spürte auch Milverstaedt ein Kratzen im Hals. Die Symptome wurden bald stärker.
Zwei Tage später wachte er mit Gliederschmerzen und leichtem Fieber auf. Er erfuhr, dass sein Kollege Urlaub im österreichischen Skiort Ischgl gemacht hatte und sich inzwischen in Quarantäne befand. „Auch ich hab dann gleich Betretungsverbot bei meiner Firma bekommen“, erzählt er. Für den Anruf und den Test beim Gesundheitsamt brauchte er indes Geduld. Erst eine Woche nach dem Abstrich kam das Ergebnis und damit die endgültige Gewissheit. „Da wusste ich selbst schon, dass ich es habe“, sagt er. „Ich hatte alle typischen Symptome bis auf den Geschmacksverlust.“
Vom ersten Tag an, als die Symptome auftraten, habe für seine Familie die Devise gegolten: „Hier verlässt niemand mehr das Haus“, erzählt Svens Frau Manuela Milverstaedt. Die Einkäufe erledigten Freunde oder Verwandte. „Gott sei Dank sind wir von Beginn an zu Hause geblieben und haben sicherlich niemanden angesteckt“, sagt Sven Milverstaedt. Doch seine Symptome wurden rasch stärker. Zum Fieber kam bald schon starker Husten dazu. „Das klang wirklich wie ein Bellen, ganz trocken“, erinnert er sich. Nach zehn Tagen sei es am Schlimmsten gewesen. Milverstaedt verfolgte auch die Berichterstattung in den Medien über die Pandemie. „Ich hab mich für nichts anderes mehr interessiert. Und wenn man dann sieht, wie Patienten daran sterben, wird es natürlich nicht besser.“
Er habe keine Vorerkrankungen, kein Diabetes und sei Nichtraucher. Und dennoch habe ihn das Virus „relativ
stark erwischt“. Beinahe zwei Wochen lang schleppte er sich meist nur vom Bett zum Sofa. Auch seine Frau und seine drei Kinder blieben bei ihm. „Ich hatte unheimlich Angst“, erzählt Manuela Milverstaedt. Doch sie und die Kinder zeigten nur ganz leichte Symptome. „Ich hatte zehn Tage einen sehr trockenen Hals.“Schmerzen wie nach einem langen Konzert, bei dem zu laut mitgesungen wurde. Ähnlich erging es der zehnjährigen Tochter. Der siebenjährige Sohn klagte derweil über Kopfschmerzen. Der vierjährige Sohn hatte erhöhte Temperatur und sei einige Tage unruhig gewesen, berichtet sie. „Ich gehe stark davon aus, dass wir auch mit dem Virus infiziert waren.“Testen lassen habe sie sich allerdings nicht. „Ich wollte den Test jemandem überlassen, der es nötiger hat.“Die Zeit der Quarantäne sei für die Familie und die Kinder nicht einfach. „Streitet nicht so viel miteinander. Ihr habt jetzt nur euch drei zum Spielen“, habe sie den Kindern gesagt. Das funktioniere meistens gut.
Nach etwa zehn Tagen ließen auch bei ihrem Mann die Symptome nach. Doch für Manuela Milverstaedt schien die Zeit des Wartens quälend lang. „Mein Mann lag im Bett und ich konnte nicht helfen.“Ein Hobby wurde dabei für sie zum Glück. Schon vor der Coronokrise nähte und bastelte sie viel. Mit ihrer eigenen kleinen Firma „Kreativ Blau Gelb“bietet sie Dekoartikel und Selbstgenähtes vor allem auf Märkten an. Während der Quarantäne kam die Idee, Masken zu nähen.
Im Internet informierte sie sich über Schnittmuster, Stoffe und Verarbeitung.
Der Schemmerhofer Sven Milverstaedt war mit Corona infiziert
Wichtig sei ein eng gewebter Baumwollstoff. „Die Bettwäsche von der Oma eignet sich zum Beispiel am besten dafür“, sagt sie. Generell seien die älteren Stoffe häufig besser geeignet.
Die ersten acht Masken verschenkte sie an eine befreundete Physiotherapeutin, der die Praxisschließung drohte, weil sie keine Masken mehr auftreiben konnte. Mehr als 300 Masken hat sie bereits an Pflegeheime, Klinikmitarbeiter, Kindergärten, Freunde und Verwandte verschenkt. Jede Maske wird vor der Lieferung gebügelt, mit Desinfektionsmittel eingesprüht und in eine Plastiktüte gepackt.
Doch noch vor wenigen Tagen zweifelte Milverstaedt an ihrer Idee, dachte gar ans Aufhören, „Es gab kein großes Interesse mehr dafür. Das hat fast niemanden interessiert.“Doch das hat sich schlagartig gewandelt, spätestens seitdem auch in BadenWürttemberg klar ist, dass die Maske ab Montag beim Einkaufen und in Bus und Bahnen zur Pflicht werden.
Inzwischen laufen in Schemmerhofen die Telefone heiß, auch online gehen jeden Tag zig Anfragen ein. Bis nach Hamburg hat sich Milverstaedts kleine Maskenproduktion herumgesprochen. 20 Minuten näht sie an einer Maske, für sechs Euro verkauft sie das Stück. Damit mache sie keinen großen Gewinn, betont sie, zumal die Preise für Stoff und Zubehör explodiert sind. Doch ihr gehe es darum, anderen Menschen zu helfen. „Das ist kein großes Business.“An manchen Tagen verbringe sie nun zehn Stunden nur mit Nähen. „Ich gebe mein Bestes, aber ich würde nie die
Masken im großen Stil zum Beispiel für Discounter-Märkte nähen.“Dennoch sind die Zahlen beachtlich. Beinahe 1000 Masken hat Milverstaedt inzwischen hergestellt.
Bis jetzt habe sich keiner ihrer Kunden beschwert. Die Masken seien keine „Schutzmasken“, sondern nur „Alltagsmasken“, betont sie. Die Unterscheidung sei wichtig, weil Schutzmasken streng genommen nur für medizinische Zwecke gedacht sind und anders funktionieren als herkömmliche Behelfsmasken.
Dennoch glaubt sie, kann die Maskenpflicht helfen. Und eine genähte Stoffmaske sei allemal besser als Millionen von Einmalmasken. Die genähte Maske könne schließlich ganz einfach gewaschen, gebügelt und somit wiederverwendet werden.
Sie helfe gerne aus und freue sich über die große Nachfrage. Dennoch sei ihr bewusst, dass die Masken auch Risiken bürgen. „Meine Oma wollte eine Maske haben, um wieder einkaufen zu gehen“, erzählt Milverstaedt. Doch den Wunsch habe sie der 80Jährigen verwehren müssen. „Dann hätten die Masken ihren Sinn verfehlt.“Denn wie viel Schutz die Masken tatsächlich bieten, sei weiterhin unklar. „Es hilft vor allem, weil man sich dann nicht mehr so häufig unbewusst ins Gesicht fasst“, meint sie.
Gerade ältere Menschen und andere Risikogruppen sollten sich besser helfen lassen, aber keine Einkäufe mehr selbst erledigen. Die Masken täuschten eine trügerische Sicherheit vor, die es kaum gebe. Auch Sven Milverstaedt betont, wie gefährlich die Pandemie sei: „Eine Corona-Erkrankung wünsche ich wirklich niemandem.“Bevor er selbst infiziert wurde, habe er das Coronavirus auf die leichte Schulter genommen, gibt er zu. Heute warnt er: „Wir dürfen nicht leichtfertig sein!“Er habe sich jetzt auch als Blutspender bei einem Projekt der Universität Tübingen registriert, dass die Coronaforschung vorantreiben will. Die ganze Familie hofft nun, dass sie gegen das Virus immun ist. „Wenn die Immunität wenigstens reichen würde, bis es einen Impfstoff gibt, wären wir schon froh“, sagt Vater Sven. „Ich möchte bestimmt nicht noch mal Corona bekommen.“
„Das war das Härteste, was ich je in meinem Leben durchgemacht habe.“
„Streitet nicht so viel miteinander. Ihr habt jetzt nur euch drei zum Spielen.“
Manuela Milverstaedts Rat an ihre
Kinder während der Coronakrise
Manuela Milverstaedt sucht noch Stoffspender für neue Masken. Sie ist zu erreichen per E-Mail: info@kreativ-blau-gelb.de