Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Blumen verblühen einsam
Überlingens Landesgartenschau wird aller Wahrscheinlichkeit nach auf nächstes Jahr verschoben – Nur so kann die Stadt offenbar ein übergroßes Defizit vermeiden
ÜBERLINGEN - Der Anblick gleicht Bildern wie in einem HochglanzFotokalender vom Bodensee: im Hintergrund die von der Maiensonne sanft beschienene, bis ins 9. Jahrhundert zurückgehende Goldbacher Silvesterkapelle bei Überlingen, davor frühlingshafte Blumenbeete aus Tulpen, Margeriten und anderen Gewächsen. Idylle pur, in diesem Fall als Stillleben genossen. Bloß Bienen bewegen sich, summen herum. Doch genau hier ist der Haken an der Geschichte: Eigentlich müssten jede Menge Leute zwischen den Beeten flanieren – und dies seit dem 23. April. Das Gelände gehört nämlich zur Überlinger Landesgartenschau, die an diesem Tag eröffnen sollte. Das neuartige Coronavirus hat die Pläne jedoch zerstört.
„Das ist schon hart und macht traurig. Mich hat das schwer getroffen“, sagt Edith Heppeler, weiblicher Teil des GeschäftsführerDuos der Landesgartenschau Überlingen 2020 GmbH. Sie hat das Tor zum Uferpark aufgeschlossen, dem ambitioniertesten Teil der auf fünf Stadt-Flächen mit insgesamt elf Hektar verteilten Veranstaltung. Wegen Corona wäre alles geschlossen, doch ausnahmsweise ist eine kurze Besichtigung möglich.
Heppeler wandelt am Bodenseeufer entlang, erklärt die Seebühne, den großen Veranstaltungspavillon, einen ausgedehnten Spielplatz
– und den „Frühlingsflor“, also das jahreszeitgemäße Blumenmeer. Alles wäre bereit gewesen für die knapp 800 000 erwarteten Besucher. Bis zum 18. Oktober hätten sie auf dem Gelände herumschweifen können. Seit dem Zuschlag für die Landesgartenschau durch das Land 2010 war auf das Event zugearbeitet worden. Aber nichts ist. Die Frühlingsblumen, all die Tulpen, sie werden verblühen, ohne dass sie jemand aus der Nähe gesehen hat. Denn nun sieht der Plan der Gartenschau GmbH und der Stadt eine Verschiebung aufs nächste Jahr vor.
Nächsten Mittwoch soll eine definitive Entscheidung fallen. Ihr Ausgang hängt nur noch vom Land Baden-Württemberg ab, dem Mitveranstalter. „Aus Stuttgart haben wir aber Signale bekommen, dass das Land eine Verschiebung mitträgt“, meint Roland Leitner, der weitere GmbH-Geschäftsführer. Entsprechende Überlegungen werden vom zuständigen Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz bestätigt.
In der reinen Theorie wäre eine Öffnung zwar nach jüngsten Lockerungen der Corona-Einschränkungen möglich. So dürfen Gartenanlagen und auch Tierparks wieder aufschließen. Die von Überlingen aus über den Bodensee zu erblickende Blumeninsel Mainau hat ab diesem Mittwoch Besucherverkehr – aber mit Einschränkungen: nur eine bestimmte Zahl an Menschen, Abstände zu anderen einhalten, keine Gastronomie. „So ist es“, kommentiert Leitner bei einem Treffen in der kleinen Seevilla, die als Sitz der Gartenschau GmbH dient.
Regelgerecht wird beim Gespräch am Tisch des Sitzungszimmers Mund- und Nasenschutz getragen – eine Mahnung daran, dass die Zeiten noch ernst sind. Leitner erklärt dann auch, dass „es auf den vielen engen Wegen“des Gartenschaugeländes gar nicht möglich sei, ausreichend Distanz zu seinen Mitmenschen zu halten. Wie er überspitzt sagt, solle Überlingen kein neues Epizentrum der Ansteckung werden: „Wir wollen kein Ischgl am Bodensee.“
Abgesehen von gesundheitlichen Bedenken gibt es weitere Gründe gegen eine Öffnung der Gartenschau. So ist noch ungeklärt, wie sie von den Behörden definiert wird. Ganz sicher nicht als ein ständiges Parkgelände wie die nahe Mainau. Die Schau gilt als Veranstaltung. Entscheidend ist nun, ob als große oder kleinere. Eine Einstufung in groß würde heißen, bis zum 31. August wäre eine Öffnung unmöglich. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat bis dahin alle Großveranstaltungen verboten. Ein in Kürze anvisierter Start könnte also bei einer entsprechenden Entscheidung in Stuttgart gleich wieder gestoppt werden.
„Alles viel zu unsicher“, meint Leitner. Er verweist auf weitere Argumente, die für ihn ein Verschieben nahelegen. So seien längst alle Events abgesagt worden. Also all jene Veranstaltungen, die üblicherweise erst so richtig Leben zwischen die Blütenmeere bringen: Konzerte, Kleinkunst, Ausstellungen. „Zudem haben Busunternehmer ihre geplanten Fahrten zu uns gecancelt“, ergänzt Leitner. Womit man ganz konkret beim Geld wäre, den Finanzen der Gartenschau.
Insgeheim dürfte jede Kommune, die sich an ein solches Unterfangen wagt, zittern, ob am Schluss nicht doch Verluste zu Buche schlagen – wenn beispielsweise der Sommer verregnet ist und die prognostizierte Besucherzahl deutlich unterschritten wird. Bei Überlingen hat Corona dafür gesorgt, dass die Erwartungen Makulatur sind. Nach Leitners Worten geht es deshalb darum, die anstehende finanzielle Misere zu begrenzen. „Am besten funktioniert dies bei einer Verschiebung aufs nächste Jahr“, sagt er.
Die Rechnung der GmbH sieht folgendermaßen aus: Würde die Gartenschau doch noch in diesem Jahr eröffnet, stünden Verluste von 5,2 bis 8,5 Millionen Euro im Raum – je später aufgeschlossen würde, desto mehr Miese. Beim Verschieben auf 2021 beliefe sich das Defizit auf begrenzte 5,8 Millionen Euro. Dafür geradestehen müsste die finanziell sowieso klamme Stadt. Das heißt, in Überlingens historischem Rathaus freut man sich über jeden Euro, der die Belastung verringert. In diesem Zusammenhang existiert nach dem Verschiebungswunsch ein weiteres Ansinnen an die Landesregierung: die Beteiligung an den Verlusten.
Kürzlich durfte Oberbürgermeister Jan Zeitler (SPD) seinen Bürgern eine frohe Botschaft präsentieren. Er vermeldete, Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) habe ihm in einem Telefonat zugesagt, beim Verschieben zwei Drittel des prognostizierten Defizits zu übernehmen. Das Geld solle aus einem kommunalen Sonderfonds des Landes kommen. Für Zeitler ist inzwischen klar: Die finanziellen Verluste könne Überlingen „am besten mit einer guten Landesgartenschau 2021 eindämmen“.
Spricht man mit Leuten in der Stadt, ist im Haupttenor zu hören: Schade um dieses Jahr, feiern wir halt nächstes Jahr. „Klar ist das Verschieben sinnvoll“, meinen Petra Burghard und Ingrid Mönkemeyer, die unweit der Uferpromenade in der Sonne ihre Mittagspause genießen. Ein Stück weiter sitzt Erich Heggenberger, ein älterer Mitarbeiter der örtlichen Volksbank, mit seinem Vesper auf einer Bank. „Die Landesgartenschau bloß für vielleicht drei Monate aufzumachen, wäre doch totaler Quatsch“, meint er.
So weit der Konsens. Unstimmigkeit gibt es aber auch. Ein Anwohner des Uferparks macht darauf aufmerksam: „Das komplette Gelände der Gartenschau ist durch Zäune und Tore abgesperrt. Die Bürger dürfen also bei einer Verschiebung auf nächstes Jahr eineinhalb Jahre nicht frei auf die Flächen.“Konkreter ausgedrückt: Bis zum Start im Frühjahr 2021 bliebe alles zu, danach würde der Eintritt fällig. Dies entspricht den Vorstellungen der Gartenschau GmbH. Schmerzhaft empfindet mancher Bürger vor allem, dass auch im Altstadtbereich Flächen geschlossen bleiben sollen: speziell an den traditionell bei Flaneuren und Hunde Gassi-Führern beliebten Rosenobel- sowie Menzingergärten.
Zur Stimme der Unzufriedenen hat sich der BÜB + gemacht. Diese Wählervereinigung stellt drei Stadträte im Gemeinderat. Hervorgegangen ist sie aus der Bürgergemeinschaft Überlinger Bäume. Diese frühe BÜB hat einst um eine rund 120 Jahre alte Platanenallee gekämpft. Die Baumreihe und die von ihr behütete Straße sollten nämlich im Zuge der Landesgartenschau weg. Eine Absicht, die über Jahre hoch emotional in Überlingen diskutiert wurde. Gräben taten sich auf. Nun ist die Allee größtenteils verschwunden. BÜB + hat längst andere Themen – auch mit Blick auf die gegenwärtige Situation der Gartenschau. „Wir sind der Meinung, dass die Bürger, die mit ihren Steuergeldern alles bezahlen, ein Recht haben, die jetzt in Blüte stehenden Blumen auch zu sehen“, sagt Dirk Distel, einst Mitbegründer der BÜB.
Die Landesgartenschau GmbH sieht aber ein zentrales Problem, sollten Bürger kostenfrei die Flächen betreten dürfen. Einmal mehr dreht es sich um Finanzen. Geschäftsführer Leitner erläutert den Sachverhalt. Demnach würden steuerliche Vergünstigungen wegfallen. Es geht um 2,9 Millionen Euro Vorsteuerbeträge, die das Finanzamt der Landesgartenschau GmbH bereits zurückerstattet hat, weil es sich um ein gewinnorientiertes Unternehmen handelt. Leitner glaubt, das Geld müsse zurückgezahlt werden, wenn „wir einen kostenfreien Eintritt gewähren und so keinen Willen zum Erzielen von Einnahmen erkennen lassen“.
Zudem erinnert Leitner daran, dass die GmbH die Flächen der Gartenschau von der Stadt gepachtet habe. „Würden wir also die Überlinger einfach so hineinlassen, hätten wir unter anderem die Pflicht zur Wegesicherung“, betont er. Passiert etwas, wäre die GmbH haftbar. „Wir müssten also ständig Personal zum Aufpassen abstellen.“Und dies würde wiederum Kosten verursachen.
Gegenwärtig ist jedoch die Absicht der Geschäftsführung, den ganzen Betrieb herunterzufahren. Leitners Kollegin Edith Heppeler erläutert, der gegenwärtige Zustand des Gartenschaugeländes werde praktisch eingefroren. „Einen Sommerflor“, fährt sie fort, „pflanzen wir natürlich nicht mehr.“Die Gebäude für Ausstellungen blieben ohne Exponate. Der schwimmende Teil der Seebühne im Uferpark würde erst nächstes Jahr vor der Zuschauertribüne verankert.
Allzu lange werde der Stillstand aber nicht andauern, sagt Heppeler. Für eine Landesgartenschau im nächsten Jahr müsste bereits im Herbst die Werbung anfangen. Ein Grundstock an Besuchern ist übrigens gesichert: Die bereits verkauften 17 000 Dauerkarten und 40 000 Einzeltickets behalten laut Gartenschau GmbH ihre Gültigkeit
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