Schwäbische Zeitung (Biberach)
Aus Hass erwächst Freundschaft
Gedanken zum 75. Jahrestag des Kriegsendes aus Biberach und seinen Partnerstädten
BIBERACH (sz) - Aus Anlass des 75. Jahrestags des Kriegsendes werden an diesem 8. Mai um 18 Uhr für zehn Minuten alle Kirchenglocken in Biberach läuten – zur Erinnerung und zur Mahnung. 75 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft soll an die Bedeutung von Frieden und gegenseitiger Hilfe erinnert werden, um vereint ein besseres Europa aufzubauen – zumal im Angesicht einer weltweit grassierenden Pandemie. Der Verein „Städte Partner Biberach“hat aus diesem Anlass Statements aus Biberach und den Partnerstädten zusammengetragen, von denen die SZ einige in Auszügen veröffentlicht.
Oberbürgermeister Norbert Zeidler, Biberach:
„75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: Das bedeutet neben dem Gedenken an die Opfer, das wir niemals aus dem Blick verlieren dürfen, vor allem auch eine große Verantwortung. Niemals zuvor gab es eine solch lange Periode des Friedens und damit der wirtschaftlichen Prosperität und des Wohlstands. Für die unmittelbare Kriegsgeneration war klar: Nie wieder Krieg! Die Zukunft liegt in der Völkerverständigung, in der europäischen Einigung, im Frieden. Es ist unser Auftrag, dieses Erbe auch zukünftig wachzuhalten. Deshalb bin ich sehr dankbar über unsere Städtepartnerschaften und -freundschaften. Unsere Beziehungen nach Asti, Guernsey, Schweidnitz, Telawi, Tendring District und Valence sind ein großes Geschenk. (...) Diese Partnerschaften sind ein großartiges Beispiel dafür, wie aus Hass und Feindschaft Mitmenschlichkeit und Freundschaft erwachsen können. Diesem Auftrag sind wir alle verpflichtet. In besonderer Weise engagiert sich in diesem Sinne in unserer Stadt der Verein Städte Partner Biberach. Dem Verein und allen seinen Mitgliedern gilt daher mein herzlicher Dank für die leidenschaftliche Arbeit.“
JAHRE NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG
Maurizio Rasero, Bürgermeister von Asti (Italien):
„In diesen schwierigen Tagen, die viele mit einem Krieg vergleichen, verstehen wir die Wichtigkeit des Friedens und werden uns bewusst, dass der Frieden nicht die Frucht der Arbeit eines einzelnen Menschen oder einer einzelnen Nation sein kann, sondern die Frucht eines weltweiten Zusammenwirkens, bei dem alle das gemeinsame Ziel verfolgen: Wohlergehen, Solidarität und Gerechtigkeit. Und genau diese Ideale sind die Wurzel der Städtepartnerschaft und die Gedanken, die uns in schwierigen Momenten vereinen, auch wenn man physisch weit voneinander entfernt ist.“
Beata Moskal-Saniewska, Präsidentin von Schweidnitz (Polen):
„Frieden ist für die Polinnen und Polen, die im letzten Krieg so viel gelitten haben, von unschätzbarem Wert. Die tragische Geschichte Polens der letzten Jahrhunderte sowie die jüngste Zeit der kommunistischen Unterdrückung haben zur Folge, dass Schweidnitz ganz besonders die Spuren der Vergangenheit und die Tradition der Toleranz pflegt als auch den Dialog zwischen Kulturen und Nationen zu schätzen versteht. Deutschland und die Partnerstadt Biberach haben hier einen besonderen Platz. Nur auf der Grundlage unserer Partnerschaft und Menschlichkeit werden wir in der Lage sein, die gemeinsame Zukunft des geeinigten Europa weiter ausbauen zu dürfen.“
Bischof Schweidnitz: Waldemar Pytel,
„Die Pandemie hat uns mit aller Kraft vor Augen geführt, wie sehr wir, die Familie der Menschheit, voneinander abhängig sind. Wir wissen, dass wir nur solidarisch und in Zusammenarbeit die gegenwärtige Lage bewältigen können. In einem solchen Geist der gegenseitigen Unterstützung und des Austauschs, entwickeln sich seit 30 Jahren unsere freundschaftlichen Kontakte.
Biberach ist erste Partnerstadt der Stadt Schweidnitz. Ich vertraue darauf, dass wir auch aus dieser Krise stärker und mit mehr Energie für die weitere Zusammenarbeit, die sich vorbildlich entwickelt, hervorgehen.“
„Wenn ich irgendwo anders als auf den Kanalinseln hätte weiterleben müssen – es hätte in Biberach sein können.“
Tom Remfrey, Guernsey
Joy Phillips, Vorsitzende der Tendring Twinning Association, Frinton-on-Sea (Großbritannien):
„75 Jahre Frieden in Europa sind eine enorme Errungenschaft – eine, die möglicherweise von so vielen Briten als selbstverständlich angesehen wird, die nicht verstehen, wie sehr unsere Verbindung zu diesem Frieden beigetragen hat. Persönlich möchte ich sagen, dass ich in der Nachkriegszeit in Coventry aufgewachsen bin. Viele unserer Kindheitsspiele basierten darauf, die Deutschen zu töten – Kinder stellen Dinge nicht infrage, also war es für mich normal, obwohl ich nicht verstand, warum. Dass ich 15 Jahre lang in Frankreich gelebt habe, hat mir nicht geholfen, meinen Verstand zu blockieren. So viele ältere Franzosen hatten sehr starke antideutsche Gefühle. Ich habe dies jedoch nicht an meine Kinder weitergegeben. Mein ältester Sohn hat eine reizende Deutsche geheiratet. Durch mein Engagement in den Städtepartnerschaften habe ich voll und ganz verstanden, wie wichtig unsere Verbindung und ihr Platz im Leben von uns allen ist und das gegenseitige Verständnis für den Frieden darstellt.“
Bernard Cruvillier, Mitglied im Comité de Jumelage in Valence (Frankreich):
„Demokratie bedeutet auch Denkfreiheit, bewusst und frei zu leben. Mein Vater war Mitglied der Widerstandsbewegung. Er hat sich für die deutsch-französische Wiederannäherung eingesetzt, den Tragpfeiler des freien Europa. Als sein Sohn habe ich diesen Weg mit meiner Militärzeit in Freiburg im Breisgau, mit meinem zweijährigen Arbeitsaufenthalt in Frankfurt und schließlich als aktives
Mitglied im Partnerschaftsverein Valence fortgesetzt. Ich habe sehr viele Freunde in Deutschland, vor allem in Biberach, aber auch eine deutsche Familie, da ich die deutsch-französische Annäherung durch eine Ehe mit einer Deutschen konkretisiert habe. Ich sage oft, wenn ich in Deutschland bin: Ich fühle mich wie ein deutscher Fisch in einem Glas … deutschem Bier.“
Tom Remfrey, Vorsitzender der Guernsey Deportees Society,
wurde als Elfjähriger ins Lager Lindele deportiert: „Als die Kanalinsel Guernsey 1940 von den schlimmen Deutschen besetzt wurde, und Demokratie und Freiheit den Laufpass bekamen, herrschte Furcht und die bange Frage, ob es überhaupt eine Zukunft gäbe. Aber nach all der umstürzlerischen Zeit – wir haben überlebt! Rückblickend muss ich sagen, die Biberacher müssen sehr gute Menschen gewesen sein, denn sie waren besorgt um Schutz und Sicherheit der Deportierten, und deshalb hatten wir einen sicheren Ort zum Leben. Mit einem außergewöhnlichen Entgegenkommen durften wir Kinder sogar einmal eine akrobatische Vorführung auf dem Marktplatz erleben. (...) Wenn ich irgendwo anders als auf den Kanalinseln hätte weiterleben müssen – es hätte in Biberach sein können.“
De Vic Carey, Bailiff of Guernsey von 1999 bis 2005:
„Guernsey und Jersey waren die einzigen britischen Inseln, die 1940 besetzt wurden, und sie haben ernsthaft darunter gelitten. Für einige wurden die Leiden verschärft, als sie zur Internierung in Deutschland die Inseln verlassen mussten. Bei der Befreiung wurden die Erfahrungen der Leidtragenden respektiert, aber nicht gemildert. (...) Aber glücklicherweise wurden in den 90er-Jahren Ansätze zu Gesprächen durch Bemühungen der Kirchen und der Gemeinden in Guernsey und Biberach gestärkt. Plötzlich waren wir in der Lage, einander kennenzulernen und gemeinsam in den letzten 20 Jahren Erfreuliches zu erleben. (...) Allerdings haben sich in diesem Frühjahr wiederum dunkle Wolken zusammengezogen, und wir wissen nicht, wann wir uns wiedersehen können. Wir hoffen und beten, dass wir bald frei sind, um uns gemeinsam in einer vielleicht ärmeren und etwas bescheideneren Welt freuen zu können.“