Schwäbische Zeitung (Biberach)
Erinnerung an Kriegsende vor 75 Jahren
Landrat, Bürgermeister, Dekane und ZfP-Regionaldirektor legen Kranz nieder
BAD SCHUSSENRIED (sz) - Landrat Heiko Schmid hat zusammen mit Bad Schussenrieds Bürgermeister Achim Deinet, den Dekanen Sigmund F. J. Schänzle (katholisch) und Matthias Krack (evangelisch) und dessen Stellvertreter Gunther Wruck sowie ZfP-Regionaldirektor Christoph Vieten am Mahnmal in Bad Schussenried einen Kranz niedergelegt.
„75 Jahre Kriegsende heißt 75 Jahre Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Mir ist es wichtig, beim öffentlichen Gedenken den Blick auf eine sonst übersehene Opfergruppe zu richten: Auf die Patienten, die hier in der Heilanstalt Schussenried Opfer der nationalsozialistischen Ideologie wurden“, so Schmid.
1940 wurden mehr als 600 Patienten aus Schussenried im Rahmen der sogenannten Aktion T4 ermordet. Auch danach schickten die nationalsozialistischen Machthaber und ideologisierten Ärzte immer wieder Schussenrieder Patienten mit psychischen Erkrankungen in den Tod, weil sie deren Leben als „nicht lebenswert“erachteten. Auch für viele Lebenden ging das Leiden auch nach dem 8. Mai 1945 noch weiter, da sie durch Mangelernährung und schlechte medizinische Versorgung dauerhaft gesundheitliche Schäden davongetragen hatten.
„Diese Tötungsaktionen lassen sich nur als Teil eines Krieges verstehen, in dem sich Rassismus und Gewaltbereitschaft in ungekanntem Maße radikalisierten“, urteilt Kreisarchivar Jürgen Kniep. Die Opferzahlen des Krieges sind bekannt, doch sprengen sie das dem Menschen mögliche Verstehen: Deutsche brachten rund sechs Millionen Juden um, davon die meisten in Polen und der Sowjetunion; rund drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene wurden von den Deutschen so schlecht behandelt, dass sie den Frieden des Jahres 1945 nicht erlebten. Durch direkte Kriegseinwirkung starben zwischen 1939 und 1945 insgesamt zwischen 50 und 60 Millionen Menschen. „Die Zahlen waren auch deshalb so hoch, weil die Deutschen den Krieg einfach nicht beenden wollten. Bereits 1943 war klar, dass Deutschland seinen Gegnern militärisch unterlegen war. Dennoch ging das Kämpfen, Töten, Morden weiter. Alleine zwischen Januar und Mai 1945 starben rund 800 000 deutsche Soldaten in einem auch militärisch sinnlosen Krieg, Zivilpersonen und alliierte Truppen nicht mit eingerechnet“, so Kniep.
Unmittelbare Kriegshandlungen fanden im heutigen Landkreis Biberach erst im April 1945 statt. Biberach erlebte am 12. April 1945 einen schweren Luftangriff, bei dem zahlreiche Gebäude zerstört wurden und 87 Menschen ihr Leben lassen mussten. Den Einmarsch der Alliierten erwartete die Bevölkerung mit geteilten Gefühlen. Erleichterung über das kommende Kriegsende mischte sich mit Angst vor den eigentlichen Kämpfen und der Zeit danach.
Ab dem 22. April rückten dann französische Soldaten von Westen her vor, von Norden her drangen amerikanische
Soldaten ins Kreisgebiet vor. Die Lage war allerdings für einige Zeit unübersichtlich, da vor allem die Franzosen mit Panzergruppen rasch und weit vorstießen, dazwischen aber immer noch deutsche Soldaten unterwegs waren. Überall wollten die Menschen, dass ihre Gemeinde kampflos übergeben wurde – doch waren angesichts der versprengten deutschen
„Diese Tötungsaktionen lassen sich nur als Teil eines Krieges verstehen, in dem sich Rassismus und Gewaltbereitschaft in ungekanntem Maße radikalisierten“,
Gruppen das Hissen von weißen Fahnen oder der Abbau von Panzersperren lebensgefährliche Maßnahmen.
In einigen Dörfern fanden heftige Kämpfe statt – Uttenweiler beispielsweise mussten die Franzosen in einem dreistündigen Kampf erobern. Am Ende waren dort neun Häuser und sieben Scheunen zerstört, zahlreiche Gebäude beschädigt, sechs deutsche und drei französische Soldaten gefallen und eine junge Frau und ein älterer Zivilist ums Leben
sagt Kreisarchivar Jürgen Kniep.
gekommen.
Einige Gemeinden wurden kampflos übergeben, manches Mal wurden auch französische Kriegsgefangene gebeten, den französischen Truppen entgegenzugehen und die Übergabe der Gemeinde zu verhandeln. So auch in Sulmingen, wo in der Nacht auf den 25. April die Bewohner einen französischen Kriegsgefangenen voller Hoffnung heranrückenden Soldaten entgegensandten – und damit in den sicheren Tod: Anders als erwartet waren es keine vorrückenden Franzosen, sondern Deutsche auf dem Rückzug, die den Unterhändler kurzerhand töteten.
Im heutigen Landkreis Biberach belief sich die Zahl der Opfer insgesamt auf mehr als 7800. In Bad Schussenried waren am Ende des Zweiten Weltkriegs neben den mehr als 600 Opfern in der Heilanstalt auch 228 gefallene und vermisste Soldaten sowie Zivilpersonen zu beklagen. „Für die Patientinnen und Patienten der Heilanstalt, für alle Soldaten, für alle zivilen Opfer galt: Jeder und jede von ihnen war ein unermesslicher Verlust – für ihre Familien und Freunde“, so Landrat Schmid. „Und jeder Tote des Zweiten Weltkriegs mahnt uns, eben keinen Schlussstrich zu ziehen, sondern in Gegenwart und Zukunft für Frieden einzutreten und daran immer wieder zu erinnern.“