Schwäbische Zeitung (Biberach)
Fragiles Gebilde und neue Erkenntnisse
Bundesliga ist nach Re-Start an kritischem Punkt – und überracht mit neuen Grundsätzen
MÜNCHEN (SID) - Die ersten Landesfürsten machen den Fans schon wieder Hoffnung auf Stadionbesuche, doch der Profifußball selbst wiegt sich längst noch nicht in Sicherheit. Ganz im Gegenteil. Bevor Thomas Müller die Alte Försterei und damit nach einer Woche Quarantäne auch die von der DFL auferlegte Isolation verließ, appellierte der Bayern-Profi eindringlich an seine Bundesliga-Kollegen: „Ich denke, wir sind jetzt strenger unter Beobachtung als Rest-Deutschland.“
Am Ende des ersten Fußball-Wochenendes unter gänzlich neuen Bedingungen darf Müllers Aussage getrost auch als Warnung an die ganze Branche interpretiert werden. Denn während Politiker wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil („Nach der Sommerpause müssen wir klären, ob Stadion auch mit weniger Abstand geht“) und Sachsens Landesvater Michael Kretschmer („Dann sind zwar die Stadien nicht ausverkauft, aber es gibt wieder Spiele vor Publikum“) bereits publikumswirksam über die Rückkehr von Fans in die Stadien mit Mundschutz und 1,5-Meter-Sicherheitsabstand diskutierten, weiß der Fußball um die Fragilität des Gebildes. Aktuell hat die Liga einen neuralgischen Punkt erreicht. Denn durch die Rückkehr der Spieler in ihr persönliches Umfeld, zu Kindern, Freunden und Familien steigt nach tagelanger Isolation die Corona-Gefahr. Bevor es also wieder ganz „normal“wird, bleibt der Fußball noch Monate vollkommen anders. Und hat das Startwochenende auch gleich einige sportliche Erkenntnisse geliefert, an die man sich wohl gewöhnen muss:
Heimnachteil:
Borussia Dortmunds Derbysieg gegen Schalke – das war's. Ansonsten war für die Bundesliga-Gastgeber am ersten „Geister“-Spieltag nicht viel zu holen. Gleich in vier von acht Spielen (bis einschließlich Sonntag) siegte das Auswärtsteam, der Heimvorteil scheint ohne Fans dahin.
Kommunikation:
Endlich konnten Außenstehende mal Mäuschen spielen. Auffällig war, wie viel die Profis miteinander kommunizieren. Keine fünf Sekunden vergingen ohne lautstarke Kommandos, egal ob in Deutsch, Englisch oder Spanisch. Das war interessant – sorgte aber auch oft für kuriose Momente.
Respekt vor Schiedsrichtern:
Insgesamt erhielten die Zuschauer doch den Eindruck, dass die Schiedsrichter von den Akteuren wieder als das wahrgenommen wurden, was sie eigentlich sind: Spielleiter. Die Entscheidungen, auch wenn sie strittig waren oder mithilfe des Videobeweises getroffen wurden, entfachten viel weniger Diskussionen. Über die Außenmikrofone war die Kommunikation der Unparteiischen untereinander deutlich zu verstehen. Das bot interessante Einblicke und half offensichtlich auch den Spielern. Es wurde längst nicht so gestenreich reklamiert wie vor der Corona-Pause.
Qualität schlägt Mentalität:
Vor dem Neustart betonten einige Experten, dass angesichts der ungewohnten Atmosphäre ohne Zuschauer die spielerische Klasse noch mehr zum Tragen kommen würde. Gerade in Augsburg (1:2 gegen Wolfsburg) und bei Union Berlin (0:2 gegen Bayern) war dies erlebbar. Der FCA und Union wurden nicht wie üblich von ihren Fans getragen. Die gewohnten Emotionen fehlten im Spiel, Qualität setzte sich durch – wie übrigens auch bei Dortmund gegen Schalke (4:0) und Gladbach in Frankfurt (3:1).
Anlaufschwierigkeiten:
Nicht nur Kölns Trainer Markus Gisdol machte Probleme in der Abstimmung und Aufteilung aus, auch bei den (meisten) anderen lief längst nicht alles rund. Die Situation sei vergleichbar mit dem ersten Spieltag nach der Sommerpause, beschrieb Kölns Manager Horst Heldt.
Interesse:
Im Vorfeld war viel über den Sonderstatus des Fußballs diskutiert worden, es gab zahllose Kritik am Neustart. Dennoch bescherte die Übertragung dem TV-Sender Sky eine Rekordquote. Mehr als fünf Millionen Fans sahen die Liveübertragungen der Spiele am Samstag im TV und im Livestream. 3,81 Millionen schalteten am Samstagnachmittag bei der Konferenz und den Einzelspielen ein. Allein 2,45 Millionen verfolgten die – allerdings frei empfangbare – Konferenz bei Sky Sport News HD. Der Marktanteil am Nachmittag lag bei 27,2 Prozent.
Ob das alles so bleibt, werden die kommenden Wochenenden zeigen.