Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der Preis ist wieder heiß
Die Mehrwertsteuersenkung heizt den Konkurrenzkampf im Lebensmittelhandel an
DÜSSELDORF/RAVENSBURG (dpa/sz) - Als die Corona-Krise noch jung und Toilettenpapier und Nudeln knapp waren, da spielten Rotstiftaktionen im Lebensmittelhandel eine Zeit lang keine große Rolle. Doch das ist Vergangenheit: Der „Geiz ist geil“-Geist ist zurück. Der Preiskampf zwischen Supermärkten und Discountern gewinnt seit Wochen wieder an Härte und steuert auf einen neuen Höhepunkt zu. Der Auslöser: die im Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung vorgesehene Mehrwertsteuersenkung für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember.
„Die Mehrwertsteuersenkung erhöht die Gefahr eines Preiskrieges im Einzelhandel“, sagt der Handelsexperte Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn. Denn die Mehrwertsteuersenkung biete Supermärkten und Discountern eine fast einzigartige Möglichkeit, sich zu profilieren.
Vorreiter Lidl senkt deshalb schon am Montag die Preise auf das neue Niveau – mehr als eine Woche vor dem eigentlichen Stichtag. Die SBWarenkette Globus folgt eine Woche später am 29. Juni. Andere Handelsketten wie dm oder Kaufland halten bisher am eigentlichen Stichtag, dem 1. Juli, fest. Dazu gehört auch die Kemptener Supermarktkette Feneberg, die im Allgäu sowie im Raum Bodensee-Oberschwaben 81 Märkte betreibt. „Wir geben die Mehrwertsteuersenkung vom 1. Juli in vollem Umfang an die Kunden weiter, wo immer das möglich ist“, bestätigt eine Feneberg-Sprecherin der „Schwäbischen Zeitung“. Zu den wenigen Ausnahmen gehörten Produkte wie Tabakwaren oder Zeitschriften.
Alle großen Handelsketten wie Edeka, Rewe, Aldi oder Lidl haben bereits angekündigt, die Steuervorteile in vollem Umfang an ihre Kunden weiterzugeben. Doch es gibt große Unterschiede in der Umsetzung. Lidl etwa senkt die Preise bei allen Artikeln und ändert auch die Preisauszeichnung an den Regalen. Der Vorteil: Der Kunde sieht den niedrigeren Preis auf den ersten Blick und wird vielleicht zum Kaufen verlockt.
Der Nachteil: Oft genug ist der Preisvorteil recht gering. So verringert sich der Preis für die im Lidl-Prospekt für die kommende Woche angebotene 150-Gramm-Packung Kerrygold-Käse durch Weitergabe der Steuersenkung gerade einmal um drei Cent auf 1,36 Euro und das 10er-Pack Capri-Sun kostet statt 2,49 Euro 2,41 Euro.
Auch bei den Märkten von Feneberg bekommen die Artikel neue Preisschilder an den Regalen. „Ist das in Einzelfällen nicht möglich, wird der Abschlag bei Bezahlung an der Kasse abgezogen“, sagt die Feneberg-Sprecherin weiter. „In diesem Fall werden die Kunden dann mit Schildern darauf hingewiesen, dass die korrekten Preise mit reduzierter Mehrwertsteuer an der Kasse hinterlegt und dort abgezogen werden.“
Die Drogeriemarktkette dm geht einen anderen Weg. Zwar gibt auch sie die Mehrwertsteuersenkung Artikel für Artikel an die Kunden weiter. Doch bleiben hier die Preise an den Regalen unverändert. Der Abzug erfolgt erst an der Kasse. Das erspart Millionenausgaben für die Änderung der Preisschilder an den Regalen, kann aber im direkten Preisvergleich etwa mit Lidl nach hinten losgehen.
Andere Handelsketten spielen mit dem Gedanken, lieber den Preis für einige besonders beliebte Produkte kräftig zu reduzieren, statt alle Produkte ein bisschen billiger zu machen. Auch so ließe sich die Mehrwertsteuersenkung an die Kunden weitergeben. Der Vorteil: Der Kaufanreiz könnte größer sein. Der Nachteil: Die Kunden könnten den Verdacht haben, dass ein Teil der Mehrwertsteuererhöhung am Ende in den Kassen des Konzerns landet.
Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka wollte sich am Donnerstag „aus Wettbewerbsgründen“noch nicht zu Details der Umsetzung äußern. Auch Rewe gibt nicht preis, welchen Weg der Konzern bei der Mehrwertsteuersenkung wählen will. Aldi schwieg sich zu seinen genauen Plänen ebenfalls noch aus.
Dass der Preis plötzlich wieder ein heißes Thema ist im Lebensmittelhandel, hat aber nicht nur mit der Mehrwertsteuersenkung zu tun. „Die Händler rücken den Preis wieder stärker in den Vordergrund, weil sie damit rechnen, dass die Verbraucher aufgrund der wirtschaftlichen Verwerfungen beim Einkauf schon bald wieder stärker auf den Cent achten“, sagt Robert Kecskes von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK).
Vor allem die Discounter haben zurzeit allen Grund, im Kampf um die Kunden aggressiver zu agieren. Zwar profitierten in den vergangenen Monaten alle Lebensmittelhändler von dem dank der Pandemie gestiegenen Konsum in den eigenen vier Wänden und verkauften mehr Fleisch, Obst, Gemüse und auch Seife. Doch schnitten die Discounter dabei merklich schlechter ab als die großen Supermarktketten.
Während bei Supermarktketten wie Edeka und Rewe die Umsätze im April laut einer aktuellen GfK-Studie um 26 Prozent über dem Vorjahresniveau lagen, verzeichneten die Discounter wie Aldi oder Lidl „nur“ein Plus von 20 Prozent. Im März war es nicht anders. Die Supermärkte profitieren davon, dass sie dank ihrer umfangreichen Sortimente die Möglichkeit bieten, alles auf einmal einzukaufen. „Vor allem Ältere versuchen zunehmend, möglichst selten und in möglichst wenigen Geschäften einzukaufen, um unnötige Risiken zu vermeiden“, heißt es in der GfK-Studie. Außerdem spiele es den Supermärkten in die Karten, dass sich die Konsumenten in der Corona-Zeit etwas Gutes gönnen wollten.
Für Aldi, Lidl und Co. ist das ein Stachel im Fleisch. „Die Discounter blasen zur Aufholjagd auf die Supermärkte“, beobachtet die „Lebensmittel Zeitung“. Die Mehrwertsteuersenkung bietet da eine besonders spektakuläre Gelegenheit, das eigene Preisimage zu stärken.
Abwarten ist in diesem Fall ohnehin keine Alternative. Alle Händler wüssten, dass sie bei der Weitergabe der Mehrwertsteuersenkung nicht zögern dürften, ohne ihr Image zu gefährden, betont der Handelsexperte Rüschen. „Aus Kundensicht ist das super – weil es günstigere Preise garantiert.“