Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zeppelins Glückszaun
Warum der Baumaschinen-Spezialist aus Friedrichshafen von den Pannen am Berliner Flughafen BER profitiert
FRIEDRICHSHAFEN - Er steht und steht und steht. Der Bauzaun am neuen Großflughafen Berlin-Brandenburg (BER). Sehr zum Missfallen der Bundesländer Berlin und Brandenburg sowie des Bundes, die das Milliarden-Projekt als Gesellschafter verantworten, musste der Komplex viel, sehr viel länger abgesperrt werden als ursprünglich geplant. Zuerst verzögerte die Pleite einer Baufirma die Eröffnung, dann kamen immer wieder technische Probleme dazwischen, zuletzt verhinderte der unzureichende Brandschutz, dass Flugzeuge auf den neuen Rollbahnen im Süden der Hauptstadt landeten. Diese Chronologie der Pannen scheint im Herbst zu Ende zu gehen: Für den 31. Oktober haben die Verantwortlichen die endgültige Eröffnungsfeier angesetzt.
Einer, der nicht nur mit Bedauern, sondern auch mit ein wenig heimlicher Freude auf die Verzögerungen in Berlin schaut, ist Zeppelin-Chef Peter Gerstmann. Denn sein Unternehmen verkauft nicht nur die Baumaschinen des amerikanischen Herstellers Caterpillar und baut Anlagen für Schüttgut, sondern vermietet auch alles, was zum Betreiben einer Großbaustelle nötig ist. Unter anderem Bauzäune. Und den Bauzaun rund um den BER hat Zeppelin gestellt. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“lässt Gerstmann sich die Freude allerdings überhaupt nicht anmerken. „Wir sind sehr stolz darauf, dass wir den BER über die gesamte Laufzeit hindurch begleiten durften und unsere Lösungen anbieten konnten“, sagt der 58-Jährige professionell. „Wir sind dabei – seit dem ersten Spatenstich bis zur Übergabe des Flughafens.“
Bis dahin war es ein langer Weg. Und Peter Gerstmann erinnert sich an das Jahr 2012, als nach der ersten Verschiebung die zweite, wesentlich peinlichere folgte: Haarsträubende Planungsfehler hatten eine Inbetriebnahme unmöglich gemacht. Eigentlich hätte der Flughafen am 3. Juni 2012 in Betrieb gehen sollen, doch knapp vier Wochen vor der geplanten Eröffnung müssen die Verantwortlichen technische Mängel einräumen. Wie schwerwiegend die Probleme sind, wird erst in den Wochen danach klar. In den Tagen, als die Verantwortlichen noch von einem feierlichen Eröffnungsfest ausgehen, besucht der Zeppelin-Chef den Neubau. „Hunderte von Studenten bevölkerten die Gates, probierten alles aus, die Kofferbänder liefen, die Läden und auch der Mc Donald’s waren eingeräumt“, erinnert sich Gerstmann. „Und dann von einem Tag auf den anderen: alles weg.“Seitdem kaum noch Baustellen-Atmosphäre, weil vor allem die Techniker an Lüftungen, Leitungen und Abzügen werkeln. „Gefühlt ist der BER seit fünf Jahren fertig“, sagt Gerstmann.
Aber eben nur gefühlt – und der Bauzaun aus dem Hause Zeppelin stand und steht weiter. Viele Jahre umschloss er das gesamte Gelände, gerade sperrt er nur noch die Gebäude ab. Insgesamt hat Zeppelin am BER mehr als acht Millionen Euro über die Jahre umgesetzt, viel mehr als ursprünglich veranschlagt. Nicht nur durch die Vermietung von Absperrgittern, sondern durch den Aufbau einer kompletten Vermietstation auf der Baustelle: Maschinen, Geräte und Hebebühnen konnten sich die verschiedenen am Bau beteiligten Handwerksfirmen leihen. Den Preis für den Bauzahn hat Zeppelin irgendwann allerdings gesenkt. „Hartmut Mehdorn hat sich da eingeschaltet“, sagt Gerstmann über den früheren Bahn-Chef, der das Projekt mehrere Jahre verantwortete.
So zurückhaltend Gerstmann die mit den Jahren gewachsenen BERUmsätze von Zeppelin kommentiert, so stolz ist der Manager auf die Entwicklung der Abteilung, die das BERGeschäft eingefädelt hat. 2010 habe der Umsatz von Zeppelin Rental, einer von sechs sogenannten strategischen Geschäftseinheiten des Konzerns, die sich um das Vermietgeschäft kümmert, 70 Millionen Euro betragen bei einem Gewinn von sieben Millionen Euro. 2019 seien daraus 509 Millionen Euro Umsatz und 50 Millionen Euro Gewinn geworden. „Angefangen hat alles mit Baumaschinen und Bauzäunen, wir wollten eine Gesamtlösung für die Baustelle anbieten“, erläutert Gerstmann. Nun bietet Zeppelin Kunden neben Baggern und Kippern, Zäunen und Absperrungen auch Schilder, Schrammwände, Stromaggregate, Arbeitsbühnen, Gabelstapler, Aufzüge, Kompressoren, Schweißgeräte, Heizungen, Trocknungen und Container.
In der Baustellen-Logistik ist Zeppelin in Deutschland nach Angaben
Gerstmanns mittlerweile uneingeschränkter Marktführer. „Wir können für unsere Kunden die gesamte Baustelle organisieren“, erzählt Gerstmann. Das beginnt bei den Maschinen, geht über die Energieverund Müllentsorgung und endet bei der Zugangskontrolle, die regelt, wer welche Bereiche betreten und wer welche Maschinen benutzen darf.
Die Idee, das Vermietgeschäft aufzuwerten, das früher zu den „Schmuddelkindern“des Konzerns gehört habe, weil
„der Verkauf der Baumaschine alles dominiert hat“, sei nicht zuletzt in den USA entstanden. Anfang der 2000erJahre hätten die
„jungen Wilden“des Konzerns, zu denen Gerstmann neben sich selbst den heutigen Zeppelin-Finanzchef Christian Dummler und den Chef des Baumaschinenhandels in Dänemark, Grönland und Schweden, Volker Poßögel, zählt, längere Zeit an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) geweilt. „Dort haben wir die Vorlesungen des US-Ökonomen Michael Porter gehört, er ist der Vater der Idee der strategischen Geschäftseinheit“, erzählt Gerstmann.
Zurück in der Zentrale hat Gerstmann, nachdem er im Jahr 2010 zum Vorsitzenden der Zeppelin-Geschäftsführung aufgestiegen war, mit seinen beiden Mitstreitern gegen viele Widerstände das Konzept der strategischen Geschäftseinheiten eingeführt – und damit auch „dem Vermietgeschäft eine eigene Identität“gegeben. Mit eigener Identität meint Gerstmann die Freiheit der Manager, eigenständig zu überlegen, wie und mit welchen Produkten und Dienstleistungen das eigene Geschäft voranzubringen ist. Und so wurde aus der Vermietung von Zäune und Baggern die Vermietung von allem, was man für eine funktionierende Baustelle braucht. Und die Dinge, die man für eine funktionierende Baustelle braucht, können auch noch andere Dinge in geregelte Bahnen bringen: So sind die Bauzäune von Zeppelin und vieles andere seit Jahren im Einsatz beim Festival „Rock im Park“in Nürnberg oder dem Lollapalooza in Berlin. Wenn die Freestyle-Motocross-Veranstaltungen „Night of the Jumps in Deutschland“gastieren, ist Zeppelin genauso dabei wie beim Berlin-Marathon, den Biathlon-Wettbewerben in der Veltins-Arena auf Schalke oder der Sicherung von Castortransporten.
Abgesehen von den Rockfestivals und Sportveranstaltungen gehört das Vermietgeschäft in Zeiten von wirtschaftlichen Krisen wie der Corona-Pandemie zu den stabilisierenden Faktoren im Geschäft. „Der Bereich ist sehr krisenfest, weil die Marge fast bei 100 Prozent liegt, wenn die Fixkosten gedeckt sind“, sagt Gerstmann. Sprich: Wenn der Bagger abgeschrieben ist, fließen fast die kompletten Mieteinnahmen in den Gewinn. „Die Miete ist heute unser Star, denn bevor ich neu investiere, miete ich doch lieber.“Diese
Möglichkeit werde von vielen Kunden gerade sehr intensiv genutzt.
Aus diesem Grund werde Zeppelin Rental im laufenden Geschäftsjahr im Umsatz auch etwa auf dem Niveau des Vorjahres liegen, während die anderen Geschäftsbereiche, vor allem der Handel mit Baumaschinen, 2020 wohl mit Umsatzeinbußen von bis zu 30 Prozent abschließen werden. Für den Gesamtkonzern, der über die Zeppelin-Stiftung im Besitz der Stadt Friedrichshafen ist, geht Gerstmann von einem Umsatzrückgang zwischen 20 und 30 Prozent aus. „Beim Gewinn werden wir gut im schwarzen Bereich landen – weit weg vom vergangenen Jahr, aber auch weit weg von der schwarzen Null“, erklärt der Zeppelin-Chef. 2019 erwirtschaftete der Zeppelin-Konzern mit rund 10 000 Mitarbeitern einen unkonsolidierten Gewinn von rund 162 Millionen Euro bei einem ebenfalls unkonsolidierten Gesamtumsatz von rund 3,7 Milliarden Euro. Damit kommen 13,8 Prozent des Konzernumsatzes aus dem Geschäftsbereich Vermietung, der aber mehr als 31 Prozent zum Gewinn beisteuert.
Eine Erfolgsgeschichte, zu der auch das Desaster um den BER beigetragen hat. „Der Flughafen ist ein sehr, sehr bekanntes Referenzprojekt, das nutzen wir natürlich aus“, sagt Gerstmann. „Und wenn man wie wir Gesamtanbieter ist, begleitet man einen Kunden in der Regel über gesamte die Bauzeit.“Und das waren beim Prestigeobjekt der Hauptstadt insgesamt rund 13 Jahre. Wenn der BER denn im Oktober wirklich eröffnet wird.