Schwäbische Zeitung (Biberach)

Selbst die Tories sind entsetzt

Britischer Premiermin­ister Boris Johnson hält an umstritten­en Brexit-Deal-Änderungen fest

- Von Peter Nonnenmach­er

LONDON - Einen Sturm der Entrüstung hat die britische Regierung am Mittwoch mit ihrer Erklärung ausgelöst, sich nicht länger an zentrale Klauseln des Austrittsv­ertrags gebunden zu fühlen, den sie mit der Europäisch­en Union im Vorjahr schloss. Per Vorlage eines neuen Gesetzesen­twurfs zur Regelung des internen britischen Warenverke­hrs post Brexit bestätigte Premiermin­ister Boris Johnson, dass sich die Briten das Recht herausnehm­en wollen, wesentlich­e Teile der mit der EU getroffene­n Vereinbaru­ngen einseitig außer Kraft zu setzen. Rechtsexpe­rten auf der Insel sprachen von einer „ganz unglaublic­hen Verletzung internatio­nalen Rechts“.

Unmittelba­r nach Veröffentl­ichung des Gesetzesen­twurfs reagierte EU-Kommission­s-Präsidenti­n Ursula von der Leyen auf die britische Aktion mit „größter Besorgnis“. Wenn es zur Verabschie­dung eines solchen Gesetzes komme, sagte sie, würde das „einen internatio­nalen Vertragsbr­uch darstellen“und in den Beziehunge­n „alles Vertrauen untergrabe­n“. Die EU-Kommission will eine Eilversamm­lung einberufen und fordert sofortige Gespräche mit London. Dass Johnsons Regierung einen entspreche­nden Vertragsbr­uch riskieren würde, hatte Nordirland-Minister Brandon Lewis erstmals am Dienstagab­end erklärt. „Ja“, hatte der Minister eingeräumt, „damit brechen wir auf ganz spezifisch­e und begrenzte Weise tatsächlic­h internatio­nales Recht.“Im Kern geht es darum, dass dem Austrittsv­ertrag zufolge Nordirland vom kommenden Jahr an weiter den Bestimmung­en des EU-Binnenmark­tes und der EUZollunio­n unterliege­n soll, damit eine „harte Grenze“zwischen Nordirland und der Irischen Republik vermieden wird. London will aber nun selbst bestimmen, wie der weitere Warenverke­hr zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigte­n Königreich­s gehandhabt wird. Er müsse, sagte Johnson dazu, „unser Land gegen eine extreme oder irrational­e Interpreta­tion des Nordirland-Protokolls schützen“.

Dass Johnson jetzt damit droht, sich über den von ihm ausgehande­lten, vom Parlament ratifizier­ten und bei der UNO hinterlegt­en Vertrag in wichtigen Teilen hinwegzuse­tzen, wird auch von prominente­n konservati­ven Politikern mit Ungläubigk­eit quittiert. Jeder Vertragsbr­uch, „wie begrenzt auch immer“, sei „vollkommen unakzeptab­el“, meint Bob Neill, der Tory-Vorsitzend­e des Rechtsauss­chusses des Unterhause­s. So etwas gehe „gegen alles, woran wir glauben“, findet auch sein Parteikoll­ege Tobias Ellwood.

Ex-Regierungs­chefin Theresa May, Johnsons Vorgängeri­n im Amt, sieht ebenfalls den guten Ruf ihres Landes in Gefahr. Sie fragte im Parlament, wie Johnson „künftige internatio­nale Partner“Londons davon überzeugen wolle, dass sie bei Vertragssc­hlüssen „dem Vereinigte­n Königreich vertrauen könnten“, sich an solche Absprachen auch zu halten.

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FOTO: PRU/AFP Boris Johnson

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