Schwäbische Zeitung (Biberach)
Spurwechsel in die Zukunft
Keine Kaufzuschüsse für Verbrenner, aber Anschub fürs autonome Fahren: Die Reaktionen auf den Autogipfel fallen überwiegend positiv aus
●
FRANKFURT - Erst rissen die Lieferketten. Dann standen über Wochen die Bänder still. Nun stockt die Nachfrage: Es sind schwere Zeiten für Autobauer und deren Zulieferfirmen. „Die Pandemie wirkt in mancher Hinsicht verstärkend, da sie eine Branche traf, die sich bereits in einem Anpassungsprozess befand“, urteilen Thomas Puls und Manuel Fritsch vom Institut der deutschen Wirtschaft in einer jüngst erschienenen Studie.
Das steckt denn auch ziemlich genau den Rahmen ab, innerhalb dessen sich die Diskussionen bei einer Neuauflage des Autogipfels im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstagabend gedreht haben: Um die Fragen, wer beim automatisierten Fahren in Zukunft die Kühlerhaube vorn hat, wie Industrie und Politik für eine funktionierende Ladeinfrastruktur für EMobilität sorgen können und wie man die Mobilität der Zukunft intelligent digital vernetzen kann. Es sei ein „gutes und konstruktives Treffen“gewesen, erklärte die Cheflobbyistin der deutschen Autoindustrie, VDAPräsidentin Hildegard Müller, im Nachgang des Gespräches.
Entscheidungen über mögliche weitere Hilfen für die Autoindustrie indes blieben bei dem Treffen offen. Auch steht zunächst – wie erwartet – keine Kaufprämie für Verbrennermotoren in Aussicht. Einen Ruf nach einer solchen Förderung hatten im Vorfeld vor allem Politiker aus der CSU laut werden lassen.
In der Tat steckt die Branche nach wie vor inmitten der Krise. Im August brachen die Neuzulassungen hierzulande um 20 Prozent ein. „Vor allem Firmen halten sich angesichts der schwierigen konjunkturellen Lage weiter deutlich zurück. Neuwagenkäufe werden wenn möglich aufgeschoben“, sagt Peter Fuß, Autoanalyst bei der Unternehmensberatung EY. Rund ein Viertel der Bestellungen aus Unternehmen sind weggefallen. Und in anderen europäischen Ländern sieht die Lage nicht besser aus: In Spanien liegt der Rückgang im August bei zehn Prozent,
in der Schweiz sind es 16, in Frankreich 20 und in Österreich sogar 30 Prozent. „Die Branche befindet sich nach wie vor im Krisenmodus – wenngleich die einzelnen Hersteller unterschiedlich stark betroffen sind“. Das verdeutlicht eine Analyse der Finanzkennzahlen führender internationaler Autohersteller, die EY am Mittwoch veröffentlicht hat: Demnach wiesen die 17 größten Autokonzerne der Welt im zweiten Quartal insgesamt einen Verlust von knapp elf Milliarden Euro aus. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum stand unter dem Strich der
Bilanzen derselben Unternehmen noch eine Gewinn von knapp 22 Milliarden Euro.
Kaufzurückhaltung und Produktionseinbruch lasten also schwer auf der Autoindustrie. Und insbesondere für viele mittelständische Zulieferer ist die Luft mittlerweile dünn geworden. Deswegen geht von dem Autogipfel der Impuls aus zu prüfen, wie man durch den Markteinbruch besonders schwer betroffenen Firmen gezielt helfen kann. Zu diesem Zweck soll bis November ein privatwirtschaftlich organisierter Transformationsfonds ins Leben gerufen werden. Der Staat könnte dabei die Rolle übernehmen, mögliche Risiken über Garantien abzusichern. Die Frage ist hier nur, ob diese Hilfsmaßnahme für Firmen, die bereits kurz vor der Pleite stehen, noch rechtzeitig kommt.
„Die Bundesregierung hat die schwierige Situation in der Zulieferindustrie wahrgenommen und versucht, Lösungen zu finden“, erklärte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann am Mittwoch. Die Gewerkschaft hatte derartige Beteiligungsfonds vorgeschlagen, bei denen der Staat die Risiken zum Teil abdeckt, um auf diese Weise leichter private Investoren zu gewinnen.
An der Videokonferenz hatten neben der IG Metall und dem Autoverband VDA auch die Regierungschefs der stark von der Autoindustrie abhängigen Länder teilgenommen, so etwa der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Der kritisierte, die unmittelbar anstehenden Herausforderungen seien offen geblieben. Weil war im Vorfeld des Gipfels ebenfalls Befürworter einer Kaufprämie für verbrauchsarme Verbrennermotoren.
Im Juni hatte die Bundesregierung in ihrem Konjunkturpaket bereits die Kaufprämie für Elektroautos und Plug-In-Hybride erhöht. Die Konjunkturhilfen beinhalten überdies ein zusätzliches Programm über insgesamt zwei Milliarden Euro, um Investitionen in neue Technologien zu fördern. Geprüft wird nun, ob das Programm nachgebessert werden muss.