Schwäbische Zeitung (Biberach)
Fall Graf spaltet die Ravensburger Rutenfestkommission
Wie geht es weiter an der Spitze des Vereins? OB beobachtet Vorgänge „mit sehr großer Sorge“
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RAVENSBURG - An der Ravensburger Oberschwabenhalle wollen am Sonntag wieder die „Querdenker“gegen die Corona-Politik von Bund, Ländern und Kommunen demonstrieren. Dass sie als Stützpunkt für ihre Veranstaltung noch einmal wie Ende Juli die Halle der Rutenfestkommission (RFK) nutzen können, ist nicht zu erwarten. Der Gesamtvorstand der RFK hat sich mittlerweile klar von seinem Vorsitzenden Dieter Graf distanziert, der den Organisatoren – so der Vorwurf – im Alleingang Tür und Tor geöffnet und auch darüber hinaus helfend zur Seite gestanden hatte. Ob Graf weiterhin an der Spitze des Vereins stehen wird, ist fraglich. Hinter den Kulissen wächst die Kluft zwischen GrafKritikern und den Verteidigern des RFK-Chefs.
Im März stehen bei der Rutenfestkommission Neuwahlen des Vorstandes an. So lange aber wollen einige Mitglieder des knapp 400 Köpfe zählenden Vereins, der seit 1911 das Rutenfest im Auftrag der Stadt ausrichtet, nicht abwarten. Mehrere Mitglieder haben gefordert, im Oktober eine außerordentliche Versammlung einzuberufen und die Vertrauensfrage zu stellen. Das ist laut Satzung dann möglich, wenn ein Viertel der Mitglieder dies verlangt oder wenn das „Wohl des Vereins“es erfordert.
Antwort auf ihre Anträge haben sie bislang nicht bekommen, sagen RFKler, die in den vergangenen Tagen und Wochen aktiv geworden sind. Einer davon ist Peter Michael Vogt, der in der Sache nicht lockerlassen will. Vogt, der sich früher bereits im Verein engagiert hat, sagt, er sei im Zweifelsfall auch „bereit, Verantwortung zu übernehmen“. Eine Reaktion fordert auch Willy Müller, eines der ältesten Mitglieder der RFK.
Ein Teil des Vorstands beharrt nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“darauf, dass eingegangene Anträge den formalen Anforderungen nicht genügen beziehungsweise darauf, dass das Wohl des Vereins nicht bedroht sei und es deshalb keinen Anlass für eine außerordentliche Versammlung gebe. Offenbar geht in der Frage Dieter Graf ein Riss quer durch das Gremium.
Auch im Beirat soll es massiven Widerstand gegen den Vorsitzenden, aber auch Unterstützer von Graf geben. Die einen glauben, dass er sich als Mann an der Spitze des zur politischen Neutralität verpflichteten Vereins disqualifiziert hat. Dies deshalb, weil er zunächst in einem Video führenden Köpfen der Bewegung „Querdenken“bei ihrer Kritik an der Corona-Politik und an der Absage des Rutenfests zugestimmt und danach den Organisatoren der Großdemo ohne Rücksprache mit dem Vorstand das Rutenfesthaus zur Verfügung gestellt habe.
Die andere Seite verweist auf die großen Verdienste von Graf rund um das Rutenfest und vermag keine groben Verfehlungen des Vorsitzenden zu erkennen. Vom Gesamtvorstand ist dazu nichts zu hören – weder intern noch extern. „Es gibt keinerlei interne Kommunikation zur Sache Dieter Graf, wir erfahren alles aus der ,Schwäbischen Zeitung’“, beklagt eine Frau, Mitglied der RFK.
Auch Anfragen der SZ beantwortet der Gesamtvorstand derzeit kategorisch nicht. „Urlaubs-, berufs- und coronabedingt kann sich der Gesamtvorstand erst Ende September wieder treffen, um dann gemeinschaftlich unter anderem auch die von Ihnen angefragten Themen zu besprechen“, so der zweite Vorsitzende Heribert Boßlet per E-Mail. Das gilt auch für die Fragen, ob Dieter Graf noch das Vertrauen des Vorstands genießt, ob es inzwischen ein Gespräch mit dem Vorsitzenden gegeben hat, wie viele Anträge auf eine außerordentliche Versammlung vorliegen und warum der Kreis sich erst so spät von den Aussagen seines Vorsitzenden distanziert hatte.
Wie die „Schwäbische Zeitung“berichtete, hatte der Gesamtvorstand seine Stellungnahme mit deutlicher Kritik an Dieter Graf nicht versendet, sondern – schwer auffindbar – auf der Webseite des Vereins publiziert; in direkter Nachbarschaft übrigens zu den inhaltlichen Aussagen Grafs, von denen sich die Kollegen in eben dieser Erklärung ausdrücklich distanzieren. Wie sich dieser Widerspruch erklärt, auch dazu mochte Heribert Boßlet keine Auskunft geben.
Scharfe Kritik an Graf und Rücktrittsforderungen hatte es von den Landtagsabgeordneten Manne Lucha (Grüne) und August Schuler (CDU), von Ravensburgs Bürgermeister Simon Blümcke, Fraktionen des Gemeinderats, von Rektoren, dem Schülerrat und dem Amt für Schule, Jugend und Sport der Stadt gegeben.
Seit wenigen Tagen ist auch Oberbürgermeister Daniel Rapp aus dem Urlaub zurück und mit den Vorgängen beschäftigt. Aus seinem Umfeld wird berichtet, der OB sei „mit seiner Geduld am Ende“. Die Stadt hatte versucht, die Großdemo am Rutensonntag zu verhindern. Der Grund: Rapp hatte mit Polizeichef Uwe Stürmer zuvor an alle Ravensburger appelliert, zu akzeptieren, dass das Fest ausfallen müsse und an diesem Wochenende Feiern und Trommeln wegen der Ansteckungsgefahr sein zu lassen. Das hatte gut funktioniert, dann kam die Demo mit gut 3000 Teilnehmern, eingeleitet vom „Ruf der Trommler“, so der Titel des Auftakts.
Auf Anfrage der SZ, wie er den „Fall Graf“beurteile, sagt Rapp: „Ich beobachte das, was hier passiert ist, mit sehr großer Sorge.“Mit dem Gesamtvorstand der Rutenfestkommission und dem Gemeinderat wolle er deshalb möglichst schnell zu einem „Austausch“und einer „guten Lösung für die Zukunft kommen“, so Rapp, der Schirmherr des Rutenfests ist, aber selbst kein offizielles Amt in der Kommission bekleidet. Als Vertreterin der Stadt sitzt Patricia della Monica im Gesamtvorstand. Ihr Name stand nicht unter der offiziellen Erklärung.
Ganz sicher werden Verwaltung und Gemeinderat auch noch die Finanzen der Rutenfestkommission beschäftigen. Wohin genau sind die 125 000 Euro geflossen, die die Stadt der RFK dieses Jahr als Zuschuss gezahlt hat, obwohl das Fest gar nicht stattfand? Grüne und SPD im Gemeinderat haben dazu eine genaue Auflistung verlangt.
Dieter Graf selbst war zuletzt im Urlaub, hat aber angekündigt, zu dem gesamten Thema nichts mehr sagen zu wollen. Einen Rücktritt hatte er zuvor ausgeschlossen. Dem Vernehmen nach will er im März wieder als Vorsitzender kandidieren.