Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Im Homeoffice durchaus effektiv arbeiten“
Professor Klaus Melchers spricht darüber, welche Chancen die Krise im Arbeitsleben bringen kann
BIBERACH - Was noch vor der Corona-Pandemie für viele Unternehmen undenkbar war, ist sei März in vielen Branchen Realität geworden: Die Arbeitgeber schicken ihre Mitarbeiter ins Homeoffice. Und die Entwicklung hält bis heute an. Wie sich die Arbeit zu Hause auf die Effektivität der Arbeitnehmer auswirkt und ob die Corona-Krise auch Chancen fürs Berufsleben schafft? Tanja Bosch hat mit Klaus Melchers, Professor für Arbeitsund Organisationspsychologie an der Universität Ulm, gesprochen.
SZ: Professor Melchers, es gibt Arbeitgeber, die bisher nicht wollten, dass ihre Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten. In Zeiten von Corona hat sich das geändert, vielen blieb keine andere Wahl. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Melchers: Ich finde, dass diese Entwicklung, auch wenn der Anlass dafür kein erfreulicher war, durchaus etwas Positives hat. Ich hoffe, dass die Vorbehalte, die es in diesem Bereich einfach gibt, abgebaut werden können. Dafür braucht es aber Erfahrungen, auf die beide Seiten, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, zurückgreifen können. Es ist empirisch erwiesen, dass Mitarbeiter im Homeoffice durchaus effektiv arbeiten können. Manchmal sogar effektiver. Aber Homeoffice ist eben nicht für alle Menschen das passende Arbeitsmodell.
Für wen ist die Arbeit von zu Hause aus gut geeignet?
Zum einen müssen die Rahmenbedingungen stimmen, die Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter technisch ausstatten, und die Mitarbeiter müssen über genügend Entscheidungsspielraum in ihrer jeweiligen Tätigkeit verfügen. Dann kommt es auf den Typ Mensch an. Jemand, der sehr strukturiert ist und sich seine Arbeit selbst einteilen kann, für den ist das Homeoffice eine gute Möglichkeit, effektiv zu arbeiten; wer das nicht kann, arbeitet oft besser im Büro. Allerdings reduziert die Arbeit im Homeoffice für viele Arbeitnehmer den Stress und steigert das Wohlbefinden – zumindest wenn es nicht kombiniert ist mit Homeschooling, so wie das während den Schulschließungen für viele Eltern der Fall war.
Welche Nachteile hat die Arbeit von zu Hause aus?
Manche Menschen legen sehr viel Wert auf die Trennung von Beruflichem und Privatem. Wer von zu Hause aus arbeitet, der kann diese beiden Bereiche nicht so gut auseinander halten und kann dann oftmals auch nicht so gut abschalten. Zudem fehlen die sozialen Kontakte mit den Arbeitskollegen, und auch die Absprachen im Team und mit den Vorgesetzten sind
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Klaus Melchers (Foto: Elvira Eberhardt) an der Universität Ulm tätig. Der 46-Jährige ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie.
mühseliger als möglicherweise im Büro. Es gibt auch Statistiken, die besagen, dass eine ganze Reihe von Arbeitnehmern, die schon vor der Krise im Homeoffice hätten arbeiten dürfen, die Arbeit im Büro bevorzugen.
Abgesehen von Corona, wie sieht die „gesündeste“Arbeitsorganisation aus?
Es gibt keine Lösung, die für alle gleich gut passt. Wichtig ist, dass das Arbeitsmodell zu den eigenen Bedürfnissen passt. Viele Arbeitnehmer fänden aber eine Mischung sehr gut mit ein bis zwei Tagen Homeoffice pro Woche. Neben dem Homeoffice gibt es aber auch Arbeitszeitmodelle wie Gleitzeit und Teilzeit, so lassen sich auch familiäre Angelegenheiten gut mit der Arbeit vereinen. Und im Allgemeinen ist es so, dass Mitarbeiter, die in einem Unternehmen flexibel entscheiden können, wie sie ihre Arbeit einteilen, glücklicher und zufriedener sind. Sie identifizieren sich zudem stärker mit ihrem Unternehmen, und das beugt auch Kündigungen vor und wirkt sich positiv auf die Rekrutierung neuer Arbeitnehmer aus. All diese positiven Effekte steigern dann auch die Effektivität.
Könnte die Corona-Pandemie dazu beitragen, dass sich das Berufsleben auch über die Krise hinaus verändert?
Ja, auf jeden Fall. Es gibt Chancen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Und zwar für beide Seiten. Kurzfristig wirkt sich die Umstellung auf Homeoffice nicht unbedingt auf die Arbeitseffektivität aus, sondern beide Seiten müssen längerfristig Erfahrungen sammeln. Erst im Lauf der Zeit werden die positiven Effekte dann deutlich. Es will auch nicht jeder Arbeitnehmer von zu Hause aus arbeiten, und es gibt Branchen, in denen das schlichtweg nicht geht. Es sollte sich jedoch in diese Richtung etwas ändern, dass man seine Arbeitszeit flexibler gestalten kann. Denn jetzt, in der Krise, sehen wir, dass es trotz vieler Vorbehalte dennoch an vielen Stellen gut funktioniert.