Schwäbische Zeitung (Biberach)
Elektroschocks bekämpfen eigene Dämonen
Warum die Elektrokonvulsionstherapie eine Methode bei schweren Depressionen sein kann
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BAD SCHUSSENRIED - Depressionen gehören zu den häufigsten seelischen Erkrankungen. In den meisten Fällen kann eine Depression mit Psychotherapie und Medikamenten gut behandelt werden. Doch manchmal versagen diese gängigen Methoden und nichts scheint zu helfen. Am Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Bad Schussenried werden solche therapieresistenten Patienten mit der Elektrokonvulsionstherapie, kurz EKT, therapiert. Seit 2014 wird das Therapieanngebot im Haus kontinuierlich ausgebaut. Und da der Therapieansatz so gute Erfolge erzielt, soll dieser künftig noch mehr Patienten offenstehen.
Sabine Schmid kommt mit ihrer eigenen weißen Kuscheldecke und einer Wärmflasche zur Behandlung. Die wievielte EKT-Behandlung es heute ist, weiß sie nicht mehr. Sie weiß nur, dass es ihr hilft. Schmid, die eigentlich anders heißt, ist 48 Jahre alt und wohnt in der Nähe von Biberach. Seit vier Jahren ist sie Patientin von Dr. Bettina Jäpel, der ärztlichen Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des ZfP Südwürttemberg am Standort Bad Schussenried. Schmid leidet seit jungen Jahren an einer schweren Depression. „Das habe ich allerdings erst begriffen, als ich studiert habe, da bin ich dann das erste Mal stationär in einer Klinik gewesen“, erzählt sie.
Seitdem hat sie viele Krankenhäuser von innen gesehen, mit Therapeuten viele Gespräche geführt und viele unterschiedliche Medikamente
genommen. „So richtig geholfen hat aber nichts“, erinnert die 48Jährige sich. „Wenn es mir richtig schlecht geht, kriege ich nichts mit, bin nicht ansprechbar und kann auch bei einer Therapie nicht richtig mitmachen.“Das änderte sich erst, als ein Arzt an der Uniklinik Würzburg ihr empfahl, die Elektrokonvulsionstherapie auszuprobieren. „Und ich war an diesem Punkt bereit alles auszuprobieren, Hauptsache, es hilft“, sagt sie.
Wird ein Patient das erste Mal mit der EKT behandelt, sind zwei Sitzungen pro Woche üblich, verteilt auf einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen. In den meisten Krankenhäusern werden die Patienten hierfür stationär aufgenommen, was meist schon allein aufgrund der Schwere der Erkrankung notwendig ist. Die Behandlung selbst dauert dann nur eine halbe Stunde. Schlägt die Behandlung an, folgen daraufhin im Abstand von vier Wochen weitere Behandlungen, um den Effekt aufrechtzuerhalten. Dafür müssen die Patienten nur für einen Tag ins Krankenhaus kommen.
Am ZfP Bad Schussenried gibt es momentan zwei feste Tage in der Woche, an denen die EKT-Behandlung angeboten wird. Künftig werden es drei Tage sein, an denen jeweils fünf bis sechs Patienten behandelt werden können. Um den Patienten ein Gefühl der Sicherheit zu geben, ist es in der Regel immer das gleiche Team, bestehend aus einer Krankenschwester, einer medizinischen Fachangestellten, einem Arzt und einer Anästhesistin.
Sabine Schmid kennt die Prozedur in- und auswendig. Eigenständig legt sie sich auf die Liege und streckt Dr. Sabine Schlegel ihren Arm entgegen, damit diese den Zugang legen kann. Als es der Anästhesistin an diesem Tag zuerst nicht gleich gelingt, einen Zugang zu legen, wird Schmid kurz unruhig. Doch dann ist eine passende Vene gefunden und nachdem Krankenschwester Diana Faßl den Blutdruck geprüft hat, kann es losgehen. Assistenzärztin Dr. Dorothea Schrödl bringt an Stirn und unterhalb der Ohren die Elektroden an. Danach spritzt Schlegel der Patientin das Narkosemittel und ein muskelentspannendes Mittel. Als die Wirkung der Kurzzeitnarkose eintritt, dreht Dr. Schrödl den entsprechenden Regler auf und versetzt der Patientin den Stromstoß, der im Gehirn einen epilepsieähnlichen
Krampfanfall auslöst. Aufgrund des Medikaments bleibt Sabine Schmid dabei fast ruhig liegen, nur die Füße zucken kurz. Auf dem EEG-Gerät ist währenddessen zu sehen, dass der Krampfanfall 42 Sekunden lang angedauert hat.
Was genau im Gehirn in diesem Moment geschieht und warum Patienten mit schweren Depressionen oder Schizophrenie sich danach besser fühlen, ist bis heute nicht eindeutig erforscht – und für Kritiker Grund genug, die Therapieform abzulehnen. Dr. Jäpel erinnert sich noch gut daran, wie sie vor etwa einem Jahr auf einem Kongress in Berlin zum Thema hielt und sich danach mit einer kleinen Gruppe von Kritikern konfrontiert sah, die vor dem Kongressgebäude wild Plakate schwenkten.
„Wir wissen inzwischen, dass der Krampfanfall sich von der Hirnrinde zum Zwischenhirn ausbreitet, dem Thalamus. Dieser Teil des Gehirns ist zuständig für die Speicherung und Verarbeitung von Sinneseindrücken“, erläutert die Ärztin. Man vermute, dass es dabei zu Veränderungen
im Hirnstoffwechsel komme und sich neue Nervenzellen und Verknüpfungen im Gehirn bildeten und so bestimmte Botenstoffe, die für unseren Gemütszustand elementar sind, wieder mehr ins Gleichgewicht kämen.
Sabine Schmid erzählt, dass sie direkt nach einer Behandlung immer zuerst einmal starke Kopfschmerzen hat. „Das kriege ich mit einer Tablette aber wieder in den Griff“, sagt sie. Der große positive Vorteil sei, dass sie, seitdem sie sich regelmäßig behandeln lässt, nicht mehr völlig in Lethargie versinkt. Zwar habe sie auch jetzt manchmal noch schlechte Phasen. Diese seien aber kürzer und nicht mehr so ausgeprägt. „Ich war früher so depressiv, dass ich manchmal nicht mehr aufstehen, kochen oder essen konnte“, erinnert sie sich. Inzwischen ist es ihr wieder möglich, einem Minijob nachzugehen und allein zu leben. „Das ist für mich ein großer Schritt nach vorne“, freut sie sich. Und da sie sich nun klarer im Kopf und allgemein stabiler fühlt, ist es ihr auch möglich, aktiv an einer Gesprächstherapie teilzunehmen und dort Themen aufzuarbeiten, an die sie sich lange nicht herangetraut hat.
Die EKT ist dennoch kein Allheilmittel, betont Dr. Jäpel. „Sie ist am ZfP Teil eines Gesamtkonzepts. Und natürlich hat sie, wie alles, auch Nebenwirkungen, über die wir umfassend alle Patienten aufklären.“Bei manchen Patienten leide das Kurzzeitgedächtnis. Patienten, die wie Schmid über Jahre hinweg behandelt werden, berichten von Erinnerungslücken im Langzeitgedächtnis. Das kann belastend sein. „Jeder Patient muss daher für sich entscheiden, wie hoch der aktuelle Leidensdruck ist, wie erfolgreich andere Therapieformen sind und was durch die EKT erreicht werden kann“, sagt Dr. Jäpel. „Wir erleben jedoch immer wieder, dass wir damit Patienten, die als nicht mehr therapierbar galten und kaum noch Hoffnung auf ein normales Leben hatten, ein Stück Lebensqualität zurückgeben konnten.“
gibt, ist, wann die Patienten nach dieser Methode behandelt werden. Meistens wird die EKT als letztes Mittel gehandelt, wenn sonst nichts hilft. Und laut Grözinger wird auch heute noch nur ein Prozent aller stationären depressiven Patienten überhaupt mit EKT behandelt. Studien würden jedoch zeigen, so Dr. Jäpel, dass je früher man diese Methode einsetze, sie umso wirksamer sei. Und ein weiterer interessanter Aspekt: Ob man an Depressionen erkrankt, kann genetisch bedingt sein. War die eigene Mutter schwer depressiv, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass man selbst ebenfalls erkrankt. Und Studien hätten gezeigt, dass vor allem bei dieser genetischen Komponente die EKT gut wirke. (böl)