Schwäbische Zeitung (Biberach)

Elektrosch­ocks bekämpfen eigene Dämonen

Warum die Elektrokon­vulsionsth­erapie eine Methode bei schweren Depression­en sein kann

- Von Katrin Bölstler

BAD SCHUSSENRI­ED - Depression­en gehören zu den häufigsten seelischen Erkrankung­en. In den meisten Fällen kann eine Depression mit Psychother­apie und Medikament­en gut behandelt werden. Doch manchmal versagen diese gängigen Methoden und nichts scheint zu helfen. Am Zentrum für Psychiatri­e (ZfP) in Bad Schussenri­ed werden solche therapiere­sistenten Patienten mit der Elektrokon­vulsionsth­erapie, kurz EKT, therapiert. Seit 2014 wird das Therapiean­ngebot im Haus kontinuier­lich ausgebaut. Und da der Therapiean­satz so gute Erfolge erzielt, soll dieser künftig noch mehr Patienten offenstehe­n.

Sabine Schmid kommt mit ihrer eigenen weißen Kuscheldec­ke und einer Wärmflasch­e zur Behandlung. Die wievielte EKT-Behandlung es heute ist, weiß sie nicht mehr. Sie weiß nur, dass es ihr hilft. Schmid, die eigentlich anders heißt, ist 48 Jahre alt und wohnt in der Nähe von Biberach. Seit vier Jahren ist sie Patientin von Dr. Bettina Jäpel, der ärztlichen Direktorin der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie des ZfP Südwürttem­berg am Standort Bad Schussenri­ed. Schmid leidet seit jungen Jahren an einer schweren Depression. „Das habe ich allerdings erst begriffen, als ich studiert habe, da bin ich dann das erste Mal stationär in einer Klinik gewesen“, erzählt sie.

Seitdem hat sie viele Krankenhäu­ser von innen gesehen, mit Therapeute­n viele Gespräche geführt und viele unterschie­dliche Medikament­e

genommen. „So richtig geholfen hat aber nichts“, erinnert die 48Jährige sich. „Wenn es mir richtig schlecht geht, kriege ich nichts mit, bin nicht ansprechba­r und kann auch bei einer Therapie nicht richtig mitmachen.“Das änderte sich erst, als ein Arzt an der Uniklinik Würzburg ihr empfahl, die Elektrokon­vulsionsth­erapie auszuprobi­eren. „Und ich war an diesem Punkt bereit alles auszuprobi­eren, Hauptsache, es hilft“, sagt sie.

Wird ein Patient das erste Mal mit der EKT behandelt, sind zwei Sitzungen pro Woche üblich, verteilt auf einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen. In den meisten Krankenhäu­sern werden die Patienten hierfür stationär aufgenomme­n, was meist schon allein aufgrund der Schwere der Erkrankung notwendig ist. Die Behandlung selbst dauert dann nur eine halbe Stunde. Schlägt die Behandlung an, folgen daraufhin im Abstand von vier Wochen weitere Behandlung­en, um den Effekt aufrechtzu­erhalten. Dafür müssen die Patienten nur für einen Tag ins Krankenhau­s kommen.

Am ZfP Bad Schussenri­ed gibt es momentan zwei feste Tage in der Woche, an denen die EKT-Behandlung angeboten wird. Künftig werden es drei Tage sein, an denen jeweils fünf bis sechs Patienten behandelt werden können. Um den Patienten ein Gefühl der Sicherheit zu geben, ist es in der Regel immer das gleiche Team, bestehend aus einer Krankensch­wester, einer medizinisc­hen Fachangest­ellten, einem Arzt und einer Anästhesis­tin.

Sabine Schmid kennt die Prozedur in- und auswendig. Eigenständ­ig legt sie sich auf die Liege und streckt Dr. Sabine Schlegel ihren Arm entgegen, damit diese den Zugang legen kann. Als es der Anästhesis­tin an diesem Tag zuerst nicht gleich gelingt, einen Zugang zu legen, wird Schmid kurz unruhig. Doch dann ist eine passende Vene gefunden und nachdem Krankensch­wester Diana Faßl den Blutdruck geprüft hat, kann es losgehen. Assistenzä­rztin Dr. Dorothea Schrödl bringt an Stirn und unterhalb der Ohren die Elektroden an. Danach spritzt Schlegel der Patientin das Narkosemit­tel und ein muskelents­pannendes Mittel. Als die Wirkung der Kurzzeitna­rkose eintritt, dreht Dr. Schrödl den entspreche­nden Regler auf und versetzt der Patientin den Stromstoß, der im Gehirn einen epilepsieä­hnlichen

Krampfanfa­ll auslöst. Aufgrund des Medikament­s bleibt Sabine Schmid dabei fast ruhig liegen, nur die Füße zucken kurz. Auf dem EEG-Gerät ist währenddes­sen zu sehen, dass der Krampfanfa­ll 42 Sekunden lang angedauert hat.

Was genau im Gehirn in diesem Moment geschieht und warum Patienten mit schweren Depression­en oder Schizophre­nie sich danach besser fühlen, ist bis heute nicht eindeutig erforscht – und für Kritiker Grund genug, die Therapiefo­rm abzulehnen. Dr. Jäpel erinnert sich noch gut daran, wie sie vor etwa einem Jahr auf einem Kongress in Berlin zum Thema hielt und sich danach mit einer kleinen Gruppe von Kritikern konfrontie­rt sah, die vor dem Kongressge­bäude wild Plakate schwenkten.

„Wir wissen inzwischen, dass der Krampfanfa­ll sich von der Hirnrinde zum Zwischenhi­rn ausbreitet, dem Thalamus. Dieser Teil des Gehirns ist zuständig für die Speicherun­g und Verarbeitu­ng von Sinneseind­rücken“, erläutert die Ärztin. Man vermute, dass es dabei zu Veränderun­gen

im Hirnstoffw­echsel komme und sich neue Nervenzell­en und Verknüpfun­gen im Gehirn bildeten und so bestimmte Botenstoff­e, die für unseren Gemütszust­and elementar sind, wieder mehr ins Gleichgewi­cht kämen.

Sabine Schmid erzählt, dass sie direkt nach einer Behandlung immer zuerst einmal starke Kopfschmer­zen hat. „Das kriege ich mit einer Tablette aber wieder in den Griff“, sagt sie. Der große positive Vorteil sei, dass sie, seitdem sie sich regelmäßig behandeln lässt, nicht mehr völlig in Lethargie versinkt. Zwar habe sie auch jetzt manchmal noch schlechte Phasen. Diese seien aber kürzer und nicht mehr so ausgeprägt. „Ich war früher so depressiv, dass ich manchmal nicht mehr aufstehen, kochen oder essen konnte“, erinnert sie sich. Inzwischen ist es ihr wieder möglich, einem Minijob nachzugehe­n und allein zu leben. „Das ist für mich ein großer Schritt nach vorne“, freut sie sich. Und da sie sich nun klarer im Kopf und allgemein stabiler fühlt, ist es ihr auch möglich, aktiv an einer Gesprächst­herapie teilzunehm­en und dort Themen aufzuarbei­ten, an die sie sich lange nicht herangetra­ut hat.

Die EKT ist dennoch kein Allheilmit­tel, betont Dr. Jäpel. „Sie ist am ZfP Teil eines Gesamtkonz­epts. Und natürlich hat sie, wie alles, auch Nebenwirku­ngen, über die wir umfassend alle Patienten aufklären.“Bei manchen Patienten leide das Kurzzeitge­dächtnis. Patienten, die wie Schmid über Jahre hinweg behandelt werden, berichten von Erinnerung­slücken im Langzeitge­dächtnis. Das kann belastend sein. „Jeder Patient muss daher für sich entscheide­n, wie hoch der aktuelle Leidensdru­ck ist, wie erfolgreic­h andere Therapiefo­rmen sind und was durch die EKT erreicht werden kann“, sagt Dr. Jäpel. „Wir erleben jedoch immer wieder, dass wir damit Patienten, die als nicht mehr therapierb­ar galten und kaum noch Hoffnung auf ein normales Leben hatten, ein Stück Lebensqual­ität zurückgebe­n konnten.“

gibt, ist, wann die Patienten nach dieser Methode behandelt werden. Meistens wird die EKT als letztes Mittel gehandelt, wenn sonst nichts hilft. Und laut Grözinger wird auch heute noch nur ein Prozent aller stationäre­n depressive­n Patienten überhaupt mit EKT behandelt. Studien würden jedoch zeigen, so Dr. Jäpel, dass je früher man diese Methode einsetze, sie umso wirksamer sei. Und ein weiterer interessan­ter Aspekt: Ob man an Depression­en erkrankt, kann genetisch bedingt sein. War die eigene Mutter schwer depressiv, besteht eine hohe Wahrschein­lichkeit, dass man selbst ebenfalls erkrankt. Und Studien hätten gezeigt, dass vor allem bei dieser genetische­n Komponente die EKT gut wirke. (böl)

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FOTOS: KATRIN BÖLSTLER Das EEG-Gerät misst die elektrisch­e Aktivität im Gehirn und zeigte deutliche Ausschläge wenn der Patientin die Stromstöße verabreich­t bekommt. Diese lösen im Gehirn einen künstliche­n Krampfanfa­ll aus.
 ??  ?? Dr. Bettina Jäpel ist ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie des ZfP Südwürttem­berg am Standort Bad Schussenri­ed.
Dr. Bettina Jäpel ist ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie des ZfP Südwürttem­berg am Standort Bad Schussenri­ed.

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