Schwäbische Zeitung (Biberach)
Umkehren – Größer Denken
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Der Herbst ist schon fortgeschritten und wir nähern uns der Zeit im Kirchenjahr, die ich immer als die Schwierigste und Unangenehmste empfunden habe. Wir gehen auf das Ende des Kirchenjahres zu. Die Tage sind kürzer, es wird zunehmend dunkler und auch die Themenstellungen der Sonntagstexte beschäftigen sich mit Leid, Buße und Selbstreflexion, Trauer und Tod. Diese Themen stellen Vieles in unserer Gesellschaft in Frage. Doch wer mag das schon? Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum 1995 gerade der Buß- und Bettag als gesetzlicher Feiertag gestrichen wurde. Dabei wären Buße und Selbstreflexion gerade in Zeiten der Pandemie ein nützliches und notwendiges Thema. Ja, Jesus selbst setzt die Aufforderung zur Reflexion an den Beginn seiner Verkündigung. Am Anfang des Markusevangeliums
1,14 fordert er die Menschen auf „Tut Buße und glaubt an das
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Evangelium.“Buße tun, umkehren, Selbstreflexion in unserer Gesellschaft ungeliebte Themenstellungen. Jesu Aufforderung geht sogar darüber hinaus, wie ein Kollege feststellte. Buße tun, umkehren – diese Übersetzung des griechischen „metanoeite“ist zwar nicht falsch, aber sie trifft nicht den tieferen Sinn, der in diesem biblischen Wort steckt. „Metanoeite“ist zusammengesetzt aus dem Wort „noein“, was „denken“bedeutet und aus der Vorsilbe „meta“– übersetzt „darüber hinaus“, „höher“, „größer“. Ursprünglich meint „metanoeite“also: „Denkt höher!“– „Denkt größer!“– „Denkt über das bisher Gedachte und Gewohnte hinaus!“„Kehrt um – Denkt größer!“Diese Forderung könnte uns heute bei den Problemstellungen unserer Gesellschaft durchaus nützen. Kehrt um, denkt um, denkt größer – das heißt, nicht immer die einfachste, bequemste und kostengünstigste Lösung ist auch die richtige und beste. Nicht immer als erstes die Kosten in den Mittelpunkt der Diskussionen und des Denkens stellen. Sicherlich, die Kosten dürfen nicht vernachlässigt werden. Aber die erste Denkrichtung einer freiheitlichen Gesellschaft sollte doch die Frage nach dem Richtigen und Rechten sein. Hier hat sich die ethische Wertigkeit gewandelt. Zuerst wird nach den Kosten gefragt und nicht nach dem Richtigen. Ja, das Richtige wird immer mehr von der Kostendebatte verdrängt. So dass sich schon die Frage stellt: Sind wir noch eine freie Gesellschaft oder eine durch den wild wuchernden Raubkapitalismus geknechtete? Frei nach den Worten des Dichters Theodor Storm (Über die Freiheit): „Der eine fragt: Was kommt danach? (Was kostet es?) Der andre fragt nur: Ist es recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.“