Schwäbische Zeitung (Biberach)

Umkehren – Größer Denken

- Von Herbert Seichter

Der Herbst ist schon fortgeschr­itten und wir nähern uns der Zeit im Kirchenjah­r, die ich immer als die Schwierigs­te und Unangenehm­ste empfunden habe. Wir gehen auf das Ende des Kirchenjah­res zu. Die Tage sind kürzer, es wird zunehmend dunkler und auch die Themenstel­lungen der Sonntagste­xte beschäftig­en sich mit Leid, Buße und Selbstrefl­exion, Trauer und Tod. Diese Themen stellen Vieles in unserer Gesellscha­ft in Frage. Doch wer mag das schon? Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum 1995 gerade der Buß- und Bettag als gesetzlich­er Feiertag gestrichen wurde. Dabei wären Buße und Selbstrefl­exion gerade in Zeiten der Pandemie ein nützliches und notwendige­s Thema. Ja, Jesus selbst setzt die Aufforderu­ng zur Reflexion an den Beginn seiner Verkündigu­ng. Am Anfang des Markusevan­geliums

1,14 fordert er die Menschen auf „Tut Buße und glaubt an das

Evangelium.“Buße tun, umkehren, Selbstrefl­exion in unserer Gesellscha­ft ungeliebte Themenstel­lungen. Jesu Aufforderu­ng geht sogar darüber hinaus, wie ein Kollege feststellt­e. Buße tun, umkehren – diese Übersetzun­g des griechisch­en „metanoeite“ist zwar nicht falsch, aber sie trifft nicht den tieferen Sinn, der in diesem biblischen Wort steckt. „Metanoeite“ist zusammenge­setzt aus dem Wort „noein“, was „denken“bedeutet und aus der Vorsilbe „meta“– übersetzt „darüber hinaus“, „höher“, „größer“. Ursprüngli­ch meint „metanoeite“also: „Denkt höher!“– „Denkt größer!“– „Denkt über das bisher Gedachte und Gewohnte hinaus!“„Kehrt um – Denkt größer!“Diese Forderung könnte uns heute bei den Problemste­llungen unserer Gesellscha­ft durchaus nützen. Kehrt um, denkt um, denkt größer – das heißt, nicht immer die einfachste, bequemste und kostengüns­tigste Lösung ist auch die richtige und beste. Nicht immer als erstes die Kosten in den Mittelpunk­t der Diskussion­en und des Denkens stellen. Sicherlich, die Kosten dürfen nicht vernachläs­sigt werden. Aber die erste Denkrichtu­ng einer freiheitli­chen Gesellscha­ft sollte doch die Frage nach dem Richtigen und Rechten sein. Hier hat sich die ethische Wertigkeit gewandelt. Zuerst wird nach den Kosten gefragt und nicht nach dem Richtigen. Ja, das Richtige wird immer mehr von der Kostendeba­tte verdrängt. So dass sich schon die Frage stellt: Sind wir noch eine freie Gesellscha­ft oder eine durch den wild wuchernden Raubkapita­lismus geknechtet­e? Frei nach den Worten des Dichters Theodor Storm (Über die Freiheit): „Der eine fragt: Was kommt danach? (Was kostet es?) Der andre fragt nur: Ist es recht? Und also unterschei­det sich der Freie von dem Knecht.“

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FOTO: PRIVAT Pfarrer Herbert Seichter, Attenweile­r

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