Schwäbische Zeitung (Biberach)
Von historischem Wert
Im Landesarchiv ist seit Jahren Sparen angesagt – Dabei wachsen seine Aufgaben
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SIGMARINGEN/STUTTGART - Es ist eine Liste mit 27 Namen. Alle stehen sie im April 1942 auf einer Todesliste, einem Deportationsverzeichnis für Juden in Hechingen und Haigerloch (Zollernalbkreis). Die Liste ist Zeuge kalter Präzision, mit denen die Nazis auch im Südwesten Menschen in den Tod schickten. Dass ihre Geschichte heute durch die Liste überliefert ist, liegt auch an der Arbeit von Archivaren. Knapp 21 Kilometer Akten lagern zusammen mit dem Deportationsverzeichnis allein in den Schränken des Staatsarchivs Sigmaringen – einem von acht Standorten des Landesarchivs Baden-Württemberg. Doch dieses Langzeitgedächtnis am Leben zu halten, kostet Geld. Geld, von dem Franz-Josef Ziwes, Leiter des Sigmaringer Staatsarchivs, nur wenig zur Verfügung steht. Und das, während die Aufgaben immer weiter wachsen.
Als Landesoberbehörde im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) erhält das Archiv im laufenden Jahr 15,5 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt. Teuerster Posten sind die 340 Mitarbeiter, gut zwanzig davon am Standort Sigmaringen. Zusätzlich finanziert sich das Landesarchiv über das Geld von Stiftungen für Forschungsprojekte – sogenannte Drittmittel. Laut Landesarchiv-Präsident Gerald Maier sind das rund 990 000 Euro im Jahr.
Geld, das Ziwes und Maier für gut angelegt halten. Denn das Landesarchiv sichere die komplette historische Überlieferung Baden-Württembergs und dessen historische Vorgängerterritorien,
sagt Maier, der das Landesarchiv seit 2018 leitet. „Dadurch lässt sich die Transparenz des staatlichen Handelns darstellen und nichts kann unter den Tisch gekehrt werden“, sagt er. Seine Quellen mache das Archiv für Wissenschaft, Heimatpflege und Bildung zugänglich.
Laut Roland Böhm, Sprecher des MWK, ist der Stellenwert des Landesarchivs in dem Ministerium hoch. „Es ist eine wichtige Aufgabe, Zeugnisse der Vergangenheit des Landes und seiner Menschen zu bewahren und zugänglich zu machen“, sagt er. „Die Staatliche Archivverwaltung des Landes hat hier eine Schlüsselfunktion.“Es habe umfassende Aufgaben im Schutz von Kulturgut, Datenschutz, in der digitalen Langzeitarchivierung und der Forschung.
Trotzdem zwang die Politik das Landesarchiv im Jahr 2005 den Gürtel enger zu schnallen – mit der Verwaltungsstrukturreform unter Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU). Die damalige Landesarchivdirektion wurde mit den sechs eigenständigen Staatsarchiven zusammengelegt – zum Landesarchiv Baden-Württemberg.
Aufgaben wurden zentralisiert, Synergien geschaffen, 20 Prozent der Stellen abgebaut. „Diese Leute fehlen bis heute und unsere Aufgaben wachsen“, sagt Maier. Etwa durch die Einführung der elektronischen Akte in der Landesverwaltung „kommt eine riesige Mehrarbeit auf uns zu“, klagt er. Auch Ziwes bemängelt in diesem Zusammenhang: „Wir bekommen viele Aufgaben hinzu, haben dafür aber kaum Ressourcen.“
Im Jahr 2011 forderte der Rechnungshof des Landes Baden-Württemberg weitere Einsparungen. Laut Sprecher Bastian Möller empfahl die Behörde der Landesregierung, „die Personalkosten zu reduzieren und die Organisationsstrukturen zu straffen.“Ab 2012 musste das Landesarchiv daher innerhalb von fünfeinhalb Jahren eine Million Euro einsparen – jährlich 180 000 Euro. „Das tut natürlich weh“, sagt Maier.
Und trotz Einsparungen steigt der Posten des Landesarchivs im Haushaltsplan des Landes jährlich; von 2010 bis 2019 von 10,2 auf 13 Millionen Euro. Ministeriumssprecher Böhm: „Im laufenden Haushalt sind für das Landesarchiv im Rahmen des Gesamtkonzepts des MWK zwei zusätzliche Stellen für Informationssicherheit und zusätzliche Ressourcen im Bereich Digitalisierung enthalten.“Nicht genug für die vielen Aufgaben des Landesarchivs, wenn es nach Maier und Ziwes geht.
Eine digitale Bereitstellung aller Archiv-Dokumente im Netz scheint da utopisch. Ziwes rechnet allein für das Sigmaringer Staatsarchiv mit möglichen Digitalisierungskosten von mindestens 40 Millionen Euro. Und das ist nur einer der Standorte des Landesarchivs. „Es ist unrealistisch, das umzusetzen“, glaubt Ziwes. Auch Maier macht klar: Es sei kein Ziel, das komplette Archivgut zu digitalisieren – jedoch bestimmte Bereiche, die für Nutzer oder Forschung interessant seien. Denn die Nachfrage nach digitalen Inhalten wachse.
Zwischen 2010 und 2019 stieg die Zahl der Zugriffe auf den Online-Katalog
von 21 Millionen auf inzwischen gut 62 Millionen. Das Landesarchiv führt das auf den Ausbau seines Online-Angebots zurück. 62,5 Prozent des Archivguts sind in einer Onlinedatenbank gelistet.
Doch gelistet heißt nicht digitalisiert: Der Anteil bereits digitalisierter Dokumente am 170 Kilometer langen Gesamtbestand des Landesarchivs ist laut Maier verschwindend gering. Dennoch: „Aktuell haben wir rund 14,6 Millionen Digitalisate im Internet.“
Dass der Bedarf da ist, beweist auch die Zahl der schriftlichen Auskünfte am Landesarchiv. Sie verdoppelte sich in den vergangenen zehn Jahren fast von jährlich 6500 auf 10 600. Dagegen ging die Zahl der Nutzungen vor Ort in den vergangenen Jahren leicht zurück.
Das Landesarchiv steht der Digitalisierung positiv gegenüber. Online betreut es neben dem Online-Katalog auch das Landeskunde-Portal Leo-BW, bietet virtuelle Ausstellungsrundgänge oder Präsentationen an. „Wir wollen offen, innovativ und serviceorientiert sein und haben auch eine große Nachfrage nach Digitalisierung“, betont Ziwes. „Dem können wir aber nicht so schnell gerecht werden, weil die Finanzierung fehlt.“
Aber steht künftig eine stärkere Förderung in Aussicht? Laut MWKSprecher Böhm wird der Haushalt für die Jahre 2022 und 2023 im Laufe des kommenden Jahres aufgestellt. Zu den Schwerpunkten und einzelnen Bereichen könnten derzeit aber noch keine Aussagen getroffen werden.