Schwäbische Zeitung (Biberach)
Homeoffice nicht gut für Produktivität
MÜNCHEN (dpa) - Deutschlands Firmen sehen einer neuen Umfrage zufolge das Homeoffice weit weniger positiv als viele Arbeitnehmer. Demnach bemerkt nur eine kleine Minderheit von 5,7 Prozent der Unternehmen eine Steigerung der Produktivität beim mobilen Arbeiten. Dagegen meldeten 30,4 Prozent der Firmen unveränderte und 27 Prozent sogar gesunkene Produktivität ihrer Belegschaften. Das Münchner ifoInstitut befragte im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen im Oktober dazu 1097 Unternehmen. „Die Erklärung für die geringere Produktivität mag auch darin liegen, dass Unternehmen ein sozialer Ort sind“, sagte Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung. „Der persönliche Kontakt der Mitarbeiter untereinander schafft eine Dynamik und Innovationskraft, die auch Videokonferenzen nicht ersetzen können.“
Die Frage, ob die Tätigkeit im Heimbüro die Produktivität steigert oder nicht, ist ein politischer Zankapfel. Im Sommer hatte die Krankenkasse DAK nach der Befragung von 7000 Arbeitnehmern mitgeteilt, dass eine Mehrheit von 56 Prozent sich selbst im Homeoffice produktiver einschätze. Die DAK-Studie dient der SPD als Schützenhilfe für ihre Forderung eines gesetzlich verankerten Rechts auf Homeoffice. Auch aus anderen Ländern gibt es Studien und Umfragen zu dem Thema, mit widersprüchlichen Ergebnissen.
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VOGT/RAVENSBURG - Die letzte Lösung war das Tennisheim nebenan. David Assfalg, Gründer und Geschäftsführer des Fahrradherstellers Propain aus Vogt im Landkreis Ravensburg, hat es komplett aufgekauft. Er und sein Partner Robert Krauss brauchten Platz – für Büros, Fahrradteile und die Produktion. Ihre alte Montagehalle war zu klein geworden, einige Mitarbeiter sind nun übergangsweise im Tennisheim, andere in einem Container untergekommen. Nebenan wird währenddessen eine neue, 2000 Quadratmeter große Firmenzentrale aus dem Boden gestampft. Der Grund: Fahrradfahren boomt wie nie und die Nachfrage überrollt die Hersteller geradezu, sodass alte Produktionskapazitäten nicht mehr ausreichen. Das hat derzeit vor allem mit der Corona-Pandemie zu tun – doch nicht nur.
David Assfalg von Propain scheint selbst erstaunt über das Wachstum, das sein Unternehmen hinlegt: „Wir haben 2019 das neue Gebäude mit dem Gedanken geplant, dass wir langfristig 50 bis 60 Mitarbeiter haben – der Neubau ist noch nicht fertig und wir haben jetzt schon 70 Mitarbeiter.“
Die Menschen hätten in diesem Jahr der Pandemie nach Alternativen zur bisherigen Freizeitgestaltung gesucht, erklärt Assfalg, „viele haben sich auf ein neues Outdoor-Hobby festgelegt“. So griffen sie zum Fahrrad. Tatsächlich wurden laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) zwischen Januar und Juni rund 3,2 Millionen Fahrräder und E-Bikes verkauft – das ist ein Plus von 9,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Davon waren 1,1 Millionen E-Bikes, 2,1 Millionen normale Fahrräder.
Hersteller Propain produziert vor allem Fahrräder für das DownhillMountainbiking. 2012 wurde das Unternehmen gegründet, das von Anfang an vor allem auf die Herstellung von maßgeschneiderten Fahrrädern setzte. Propains Ingenieure entwickeln die Fahrradrahmen selbst, produziert werden diese dann von Partnern in Asien. Kunden können sich online oder per Telefon ein Modell aussuchen und zwischen verschiedenen Bremsen, Federungen, Pedalen und Farben auswählen, und damit ihr individuelles Bike zusammenstellen. Beraten werden die Kunden von jungen Mitarbeitern, von denen die meisten selbst Mountainbike fahren. Der selbst entwickelte Rahmen und die Komponenten landen in Vogt, dort wird alles zusammengebaut und verschickt.
Jung, modern, individuell: Dieses Konzept sei der Hauptgrund, warum Propain in diesem Jahr seinen Umsatz um über 100 Prozent steigern werde, sagt Assfalg – genauere Zahlen nennt er nicht. 75 Prozent des Umsatzwachstums sei organisch, also auf die Marke und die neuen Produkte zurückzuführen – 25 Prozent des Wachstums mache jedoch Corona aus. Das spiegelt sich in der Kundenbandbreite wieder: Propain hat sowohl Kunden aus der Szene, also Kenner, die bereits mehrere Fahrräder besitzen, als auch viele Neukunden, die eben in der Corona-Krise „neue Dinge ausgetestet“haben, erklärt Assfalg.
Der Erfolg hat aber auch seine Tücken. Wegen der hohen Nachfrage gibt es auf dem gesamten Markt Engpässe. Auf einen Sattel, auf den Assfalg normalerweise drei Monate gewartet hat, wartet er mittlerweile über ein Jahr. Propain hat bereits alle Komponenten für 2021 vorbestellt, ein Risiko, das der Hersteller eingehen muss – spontan bestellen geht nicht mehr. Durch den Shutdown in China und anderen Teilen Asiens waren bereits im März Lieferketten gestört, berichtet der ZIV. Hersteller konnten nur sehr eingeschränkt produzieren – gleichzeitig stieg die Nachfrage in Europa und anderen Teilen der Welt. Das wirkt sich bei Propain auch auf die Lieferzeiten aus, normalerweise bekommt ein Propain-Kunde sein Fahrrad nach drei bis vier Wochen, derzeit warten sie häufig drei Monate. David Assfalg stellt aber auch fest, dass Kunden, die ein individuelles Fahrrad bestellen, bereit seien, länger zu warten.
„Das Fahrrad wird immer mehr zum Statussymbol“, sagt auch Sören Zieher, Gründer des Fahrradherstellers Vpace Bikes aus Berg bei Ravensburg, „gleichzeitig verliert das Auto in diesem Bereich.“Auch Vpace verfolgt das Phänomen Individualisierung in seiner Geschäftsidee. Zieher bietet seinen Kunden an, Lenker, Schaltung oder Schutzbleche von ihren Lieblingsmarken auszusuchen und baut diese mit seinen eigenen
Rahmen zu Unikaten zusammen – mit denen man auch angeben kann.
Sören Zieher konzentriert sich im Gegensatz zu Propain auf Kinderund Allround-Fahrräder für Erwachsene. Das Unternehmen ist außerdem deutlich kleiner – Vpace verkauft rund 100 Fahrräder im Monat, bei Propain sind es über 800. Zieher bastelt schon seit rund zehn Jahren Fahrräder zusammen, 2015 hat er seinen alten Job als Mediengestalter aufgegeben, um sich mit seinem Hobby selbstständig zu machen. Er will jedoch nicht nur Hersteller sein, er plant eine Mischung aus Fahrradgeschäft, Werkstatt und Café – ein Erlebnis soll es für den Kunden sein. Eine glänzende Espresso-Maschine hat Zieher schon, genug Platz hat er nicht.
Denn auch bei Vpace stapeln sich Komponenten bis unter die Decke. Zieher will, beziehungsweise muss, sich vergrößern. Er sucht händeringend nach einer neuen Immobilie und Mitarbeitern. „Wir haben in diesem Jahr mit zwei Millionen Umsatz geplant. Im Oktober waren wir schon bei zweieinhalb Millionen und ich will mir nicht ausmalen wie viel es wäre, wenn es die Lieferengpässe nicht geben würde.“
Auch Vpace war schon vor 2020 erfolgreich, profitiert aber von der Pandemie. Mit dem Fahrrad virenfrei zur Arbeit, ohne Maskenpflicht in Bus und Bahn, und das mit einem individualisierten Bike – dieses Feld besetzt Vpace. Aber auch fahrradbegeisterte Eltern hätten dieses Jahr mehr Freizeit gehabt und bei Vpace verstärkt Kinderräder gekauft.
Zieher verkauft mittlerweile Fahrräder in ganz Europa, Werbung muss er keine machen, die Aufträge übertreffen bereits die eigenen Möglichkeiten. Propain wird derweil bald in den USA und Taiwan produzieren. Beide Unternehmen passen laufend ihr Portfolio an. Auch ohne CoronaSchub sei ihre Geschäftsidee nachhaltig. Fahrradurlaub werde beliebter, Mountainbiking zum Breitensport. Besonders in den Alpen werde die Bewegung wachsen und irgendwann vielleicht sogar wichtiger als das Skifahren.
Im Skigebiet Serfaus-Fiss-Ladis in Tirol beispielsweise haben die Betreiber bereits acht Bergbahnen aufgerüstet, damit diese Fahrräder transportieren. Auf Pisten und in Wäldern gibt es ein Dutzend präparierte Abfahrten, außerdem eine Training Area und einen Abschnitt für Kinder. Mindestens 40 Mitarbeiter sind dort für die Mountainbiker im Einsatz. Auch in Sölden und Saalbach investieren die Verantwortlichen in Trails für die Talfahrt auf zwei Rädern. „Das wird jetzt noch belächelt, wie damals die Snowboarder. Wie bei den Boardern wird das aber auch zur Normalität“, sagt Assfalg. Es passe einfach: Aktivurlaub wird beliebter und Skigebiete brauchen neue Einnahmequellen.
Mit dem Aufstieg des Radsports soll auch Propain weiter wachsen. Im unscheinbaren Gewerbegebiet von Vogt, zwischen Baustelle, alter Montagehalle und dem Tennisheim, trotzen noch immer zwei einsame Ascheplätze der Expansion des dynamischen Unternehmens. Doch nicht mehr lange – Propain hat auch diese zwei Plätze bereits gekauft.
Montag, 16. November 2020