Schwäbische Zeitung (Biberach)
Corona reißt Löcher in die Klinik-Kassen
Die Pandemie lässt die Krankenhäuser unter hohen Kosten ächzen – Doch Hilfe ist in Sicht
STUTTGART/LUDWIGSBURG (lsw) Das Freihalten von Betten für Corona-Patienten bringt Krankenhäuser finanziell in die Bredouille. Nicht belegte Betten könne man nicht abrechnen, sagte eine Sprecherin der BadenWürttembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) am Donnerstag in Stuttgart. „Den Häusern fehlt Liquidität. Sie können laufende Rechnungen für den Betrieb, Gehalt oder Weihnachtsgeld nicht bezahlen.“
Doch Hilfe ist in Sicht: Nach dem am Donnerstag in Kraft getretenen Dritten Bevölkerungsschutzgesetz werden die Freihaltepauschalen für Kliniken unter Bedingungen wieder eingeführt: Entscheidend für die Förderung ist, dass die Intensivkapazitäten knapp sind und in dem Gebiet die Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche – über 70 liegt. Ausgleichszahlungen sollen insbesondere an Krankenhäuser gehen, die eine Versorgungsstruktur vor allem für intensivmedizinische Behandlung vorhalten.
In den vergangenen vier Wochen sind laut BWKG rund 1000 Eingriffe verschoben worden. Ohne Hilfe hätten die Träger – die Kommunen, das Land bei den Unikliniken und Kirchen – einspringen oder die Kliniken Kredite aufnehmen müssen. Die Kliniken im Land leiden bereits seit Jahren an Unterfinanzierung. Mehr als 40 Prozent von ihnen schreiben laut BWKG rote Zahlen.
Auch aus den Kliniken selbst kommt der Ruf nach finanzieller Absicherung. Beim Uniklinikum Heidelberg etwa besteht „der Wunsch nach einer finanziellen Bundesregelung, sodass die Kliniken nicht in monetäre Engpässe kommen“. Die Kollegen im Uniklinikum Freiburg pflichten bei. Auch die Freihaltepauschalen vom Frühjahr hätten nicht die Verluste durch frei gehaltene Betten ausgeglichen, sagt Klinikumssprecher Benjamin Waschow. Die nun beschlossenen Pauschalen werden für 90 Prozent der Patienten gezahlt, die weniger im Krankenhaus behandelt werden als im Durchschnitt des Vorjahres.
Die Kliniken machen vom Instrument der Verschiebung geplanter, nicht dringend notwendiger Operationen unterschiedlichen Gebrauch: Im Uniklinikum Stuttgart wurden im April 2000 Eingriffe verlegt. „Seit wenigen Wochen reduzieren wir wieder – allerdings sehr moderat und eng gesteuert“, sagt Klinikvorstand Jan Steffen Jürgensen. Unfallopfer würden unmittelbar versorgt, Patienten mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder einem schnell wachsenden Tumor ebenso. Auch Behandlungsserien würden fast immer fortgesetzt, beispielsweise in der Strahlentherapie. Termine für Hüft- und Knieoperationen, für Eingriffe an der Gallenblase, Magenverkleinerungen bei Fettsucht oder ästhetische Operationen werden dagegen abgesagt.
Größtenteils reagieren die Menschen mit großem Verständnis, wie Jürgensen erläutert. „Wenige hatten ohnehin gemischte Gefühle und trotz der strikten Hygienekonzepte im Krankenhaus auch Sorge vor Ansteckung oder eingeschränkter Besuchsmöglichkeiten. Aber es gibt auch nachvollziehbare Enttäuschung.“
Jürgensen spricht von widerstreitenden Bedürfnissen: Es gelte, das Interesse an ausreichenden Behandlungskapazitäten für Covid-19-Patienten und den Wunsch nach mindestens etwas Sicherheitspuffer abzuwägen gegen den Behandlungswunsch und -anspruch aller anderen Patienten. „Dieses drohende ethische Dilemma und die Verteilungskämpfe entschärfen wir, indem wir die Fallzahlen durch wirksame gesellschaftliche Maßnahmen auf ein beherrschbares Maß begrenzen“, resümiert der Stuttgarter Klinikumschef.
Auch die RKH-Kliniken in Ludwigsburg hatten im April deutlich mehr Absagen verzeichnet als derzeit – auch wegen der damaligen Vorgabe, die Belegung auf 50 Prozent herunterzufahren. Die Zahl der Covid-19-Patienten liegt mit 136 über dem bisherigen Höchstwert im April. Auch die Kliniken Ostalb haben mit um die 50 Corona-Patienten die Spitze des Frühjahres um etwa zehn Prozent überschritten und rechnen mit einer weiteren Zunahme. In Stuttgart sind es derzeit mit 70 Covid-Patienten bereits 50 Prozent mehr als im Frühjahr.