Schwäbische Zeitung (Biberach)
Jill Biden will mit Konventionen brechen
Die Ehefrau des kommenden US-Präsidenten Joe Biden will als First Lady vieles anders machen
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WASHINGTON - Der Secret Service weiß, worauf er sich einstellen muss, wenn Jill Biden als First Lady im Weißen Haus residiert. Als sie noch die Gattin des Vizepräsidenten war und am Northern Virginia Community College Englisch unterrichtete, mussten ihre Personenschützer alles dafür tun, nicht weiter aufzufallen. Anzüge waren tabu, lässige Kleidung erwünscht. Die Bodyguards mussten Rucksäcke tragen und ansonsten so diskret wie möglich auf dem Flur sitzen, Laptop auf den Knien, als wären sie Studenten in einer Pause.
So hat es die Frau, die demnächst den Titel Flotus trägt, First Lady of the United States, selbst erzählt. Man darf bezweifeln, dass nicht trotzdem jeder an dem College im Speckgürtel um Washington wusste, um wen es sich bei den auffällig unauffälligen Männern handelte. Doch die Tatsache, dass die Second Lady kein großes Gewese um die eigene Person machte, wurde augenzwinkernd honoriert. Studenten und Dozenten nannten sie nur Dr. B.
Nun wiederholt sich das Ganze. Bereits vor Monaten hat Dr. Jill Biden klargestellt, dass sie nicht daran denkt, ihren Beruf an den Nagel zu hängen, sollte ihr Mann zum Präsidenten gewählt werden. „Falls wir im Weißen Haus einziehen, werde ich weiter unterrichten“, hat sie in einem Interview mit dem Sender CBS angekündigt. „Es ist wichtig. Und ich will, dass die Leute zu schätzen wissen, was Lehrer leisten.“
Damit ist die 69-Jährige die erste First Lady in der Geschichte der USA, deren Beschäftigung nichts mit dem Repräsentieren in der Regierungszentrale zu tun hat. Melania Trump, ihre noch amtierende Vorgängerin, hat sich ganz auf Letzteres beschränkt. Der Juristin Michelle Obama, die in Harvard und Princeton studiert hatte, merkte man an, wie sehr sie das traditionelle Rollenspiel nervte. Doch weil sich der konservativere Teil Amerikas ohnehin schon an der selbstbewussten Akademikerin rieb und ihr Mann Barack Brücken zum konservativen Amerika zu bauen versuchte, musste sie beruflich einen Rückzieher machen.
Jill Biden dagegen lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich nicht der Konvention beugen wird. Sie erklärte der Zeitschrift „Vogue“, das Schöne an der Flotus-Rolle sei, dass man sie definieren könne, wie immer man es für richtig halte. Als die Demokraten Joe Biden auf ihrem virtuellen Parteitag ins Duell gegen Donald Trump schickten, meldete sie sich aus einer Schule zu Wort, an der sie Englischlehrerin gewesen war. Sie sprach von der bedrückenden Stille, die wegen der Pandemie in den Klassenzimmern herrsche. Von leeren Korridoren, auf denen es nicht mehr nach Bohnerwachs rieche, von Schülern, deren Unterricht sich nunmehr auf „die Kisten“von Computerbildschirmen beschränke.
Die Rollenverteilung in ihrer Ehe hat die 69-Jährige so beschrieben: Ihr Mann ziehe die eher Introvertierte aus dem Schneckenhaus, während sie dafür sorge, dass er mit beiden Beinen auf dem Boden bleibe. Kennengelernt hat sie ihn 1975 bei einem Blind Date, arrangiert von Bidens Bruder Frank, der sie kannte. Jill Jacobs, wie sie damals hieß, war Studentin und frisch von ihrem ersten Mann geschieden. „Joe kam zur Tür rein und trug einen Sportmantel und Slipper“, erzählte sie der „Vogue“. „Und ich dachte, o Gott, das wird nie was, nicht in einer Million Jahren.“
Kurz vor Weihnachten 1972 war Neilia, Bidens erste Frau, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die einjährige Tochter Naomi starb auf dem Weg ins Krankenhaus, während die Söhne Beau und Hunter überlebten. Dass Jill vier Heiratsanträge Joes ablehnte, bevor sie einwilligte, hatte auch mit den beiden Jungs zu tun. Beau und Hunter hätten schon einmal eine Mutter verloren, „Ich konnte nicht riskieren, dass sie noch eine verlieren würden“, schreibt sie in ihren Memoiren. „Um seiner Söhne willen wollte ich mir zu hundert Prozent sicher sein.“Außerdem, begründete sie im Nachhinein ihr damaliges Zögern, habe sie Wert auf ihre eigene Karriere gelegt, zugleich auf ein Leben unterm Radar, nicht auf eines im Scheinwerferlicht. „Ich wäre Jill Biden, die Frau des Senators. Das war erst mal alles ein bisschen viel.“