Schwäbische Zeitung (Biberach)
Rendite ist nicht alles
SAP und Bodan wollen mit einer neuartigen Buchhaltung der Nachhaltigkeit auf die Sprünge helfen
●
RAVENSBURG - Messen wir den Erfolg unternehmerischen Handelns richtig? Reiner Bildmayer hat auf diese Frage eine klare Antwort: Nein, sagt der Manager des Softwarekonzerns SAP aus Walldorf und schiebt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“die Begründung für sein klares Votum gleich hinterher. Unternehmen, erklärt Bildmayer, würden heute einseitig nach harten Finanzkennzahlen wie Umsatz, Gewinn oder Cashflow gesteuert und besteuert. Was die Firmen Gutes oder Schlechtes für Umwelt, Gesellschaft oder Belegschaft bewirken, ob sie klimaneutral wirtschaften, eine hohe Frauenquote haben oder Mitarbeiter regelmäßig qualifizieren, finde hingegen keinen Eingang in die Bilanzierung.
Bildmayer ist angetreten diese Bilanzierung, die so schon die Venezianer vor gut 500 Jahren praktiziert haben, zu modernisieren. Zusammen mit Partnern aus der Wirtschaft wie dem Naturkosthändler Bodan aus Überlingen (Bodenseekreis) entwickelt der SAP-Ingenieur eine Methode, wie sich zusätzlich zu den Finanzkennzahlen eines Unternehmens auch seine Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Umwelt und den Wissensstand bilanzieren lassen. Getauft wurde das Projekt, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wird, folgerichtig auf den Namen Quarta-Vista – lateinisch für „Vier Blickwinkel“.
„Wir wollen künftig in einer Bilanz auch erfassen, was Unternehmen für die Umwelt, für die Gesellschaft und für den Wissenszuwachs bewirken, und das nicht auf Seite 120 im Nachhaltigkeitsbericht sondern vorne, direkt in den Finanzkennzahlen“, umreißt Bildmayer die Aufgabe.
Wie das funktionieren soll erklärt Bodan-Geschäftsführer Sascha Damaschun: „Wenn Sie heute einen Mitarbeiter auf Fortbildung schicken, bekommt das Unternehmen eine Rechnung über 2000 Euro, und das war es dann. Fortbildung schlägt nur als Aufwand zu Buche. Den Mehrwert dieser Fortbildung, die höhere Fachkenntnis des Mitarbeiters oder eine bessere Motivation, die ihn für die Firma wertvoller gemacht hat, darf das Unternehmen hingegen nicht berücksichtigen. Doch diesen Mehrwert sollte sich das Unternehmen als Ertrag gutschreiben dürfen.“
Wie sich dieser Mehrwert monetarisieren, sprich in Euro- und CentBeträgen
darstellen lässt, daran arbeiten Bildmayer, Damaschun und die anderen Quarta-Vista-Partner. Unüberwindbare Hürden sehen sie dabei nicht. „Kohlendioxid hat von Januar 2021 an auch einen Preis. Das hätte vor Jahren keiner für möglich gehalten“, entkräftet Bildmayer den oft gemachten Vorwurf, sogenannte weiche Faktoren ließen sich nicht quantifizieren und in einer Bilanz darstellen.
Ohnehin soll das Projekt die bestehende Bilanzierung nicht ersetzen, sondern erweitern – mit Regeln, wie Unternehmen sowohl nachhaltiges als auch nicht-nachhaltiges Handeln in der Buchhaltung berücksichtigen können. „Wir brauchen nicht nur Abschreibungssondern auch Zuschreibungsregeln“, unterstreicht Bildmayer, der Quarta-Vista als Navigationssystem verstanden haben möchte, das bessere unternehmerische Entscheidungen ermöglichen soll und das perspektivisch Basis einer neuen Besteuerung sein könnte.
So haben die Projektpartner einen ganzen Katalog an Parametern nichtökonomischer Erträge entwickelt – angefangen vom CO2-Fußabdruck über die Kundenzufriedenheit, die Gesundheit der Mitarbeiter bis hin zur Erfassung des Tierwohls. Wie diese Parameter in Euro und Cent bewertet werden erklärt Bodan-Chef Damaschun am Beispiel Wissenserhalt: „Wir haben überlegt, welche Kriterien für das Thema Wissenserhalt im Unternehmen wichtig sind und sind unter anderem auf Kennzahlen wie die Übernahmequote für Azubis, den Anteil der Weiterbildungskosten an den Personalkosten und die Mitarbeiterfluktuation gekommen. Für diese Kennzahlen definieren wir Grenzwerte
– basierend unter anderem auf empirischen Erfahrungen. Übertreffen wir in einem Geschäftsjahr den Grenzwert darf eine Wertschöpfung gebucht werden. Wird eine Vorgabe verfehlt, muss eine Rückstellung gebildet werden.“Ergebnis ist dann eine nach Quarta-Vista modifizierte Erfolgsrechnung und Bilanz.
Der Weg zu einer solchen nachhaltigen Rechnungslegung ist noch weit – zumal diese dann auch mindestens europaweit ausgerollt werden müsste. Doch der Wunsch, den engen Fokus der herkömmlichen Erfolgsmessung zu verbreitern und auch ökologische und soziale Faktoren in der harten Buchhaltungspraxis zu berücksichtigen, fällt auf einen fruchtbaren Boden. Vor allem die EU prescht in dieser Sache voran. Die Kommission in Brüssel sieht eine solche Rechnungslegung als ein Element, um die Ziele des Green Deals zu erreichen, bis 2050 als erster Kontinent klimaneutral zu werden.
Die Rahmenbedingungen für Firmen ändern sich allerdings schon heute. Vor allem Großinvestoren und Banken werden von den Aufsichtsbehörden
angehalten, Kapital aus „dreckigen“Unternehmen in „saubere“umzuschichten. Überprüfbar nachhaltig handelnde Firmen kommen vielfach leichter an Finanzierungen und sind auch attraktiver für ihre Kunden. „Das merken wir in den Gesprächen mit unseren Firmenkundenbetreuern“, bestätigt Damaschun, der Bodan schon seit Jahren nicht allein nach Kapitalrentabilität und Cashflow steuert, sondern immer auch die Auswirkungen unternehmerischer Entscheidungen auf das Gemeinwohl im Blick hat.
Bis Ende Februar 2021 wollen die Partner das Quarta-Vista-Projekt abgeschlossen haben. Dann liegt es an der Politik, ob daraus mehr wird. Es wird auf jeden Fall viel zu diskutieren geben, ist sich SAP-Mann Bildmayer sicher.
Neben SAP und Bodan arbeiten bei Quarta-Vista die Cognostics AG, die Parmenides Stiftung, die Regionalwert AG, die Bohlsener Mühle und die Bingenheimer Saatgut AG mit.