Schwäbische Zeitung (Biberach)
Das Schweigen der Männer
Nüchtern und doch spannend ist der ARD-Dreiteiler „Das Geheimnis des Totenwaldes“
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KÖLN/MÜNCHEN (KNA) - Zwei Doppelmorde – von denen der zweite geschieht, während die Polizei nur 800 Meter entfernt das erste erschossene Pärchen untersucht. Eine spurlos verschwundene Frau, deren Bruder der mächtige Hamburger LKA-Chef ist. Ein in einem Privatgarten vergrabenes Auto. Ein Verdächtiger, der sich eine private, mit NaziDevotionalien vollgestellte SadoMaso-Hölle eingerichtet hat – und der womöglich einer der größten deutschen Serientäter der Nachkriegsgeschichte war. Wäre das alles ausgedacht – es würde ein wenig „over the top“wirken. Tatsächlich aber erzählt der ARD-Dreiteiler „Das Geheimnis des Totenwaldes“, dessen ersten Teil das Erste am 2. Dezember von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, frei nach einer wahren Begebenheit.
Der Story zugrunde liegen die sogenannten Göhrde-Morde: Zwei erschossene Pärchen in einem Waldstück im niedersächsischen Zonenrandgebiet, die im Sommer 1989 Westdeutschland erschütterten. Kurz danach verschwand ganz in der Nähe Birgit Meier (die hier Barbara
Neder heißt und von Silke Bodenbender gespielt wird). Meiers Bruder ist der frühere Hamburger LKA-Chef Wolfgang Sielaff: Er rollte den Fall nach seiner Pensionierung neu auf und konnte ihn 2017 endlich aufklären.
Im Dreiteiler heißt diese Figur Thomas Bethge und wird von Matthias Brandt präzise gespielt: als integrer Staatsdiener, der stets die Regeln befolgt. Und die besagen, dass ein Hamburger Polizist nicht in Niedersachsen ermitteln darf. So hält sich der Ermittler zurück, versorgt die Kollegen aus der Provinz lediglich mit Hinweisen. Und ist zunehmend empört über deren Nachlässigkeit.
Nur Anne Bach (Karoline Schuch), eine aufstrebende junge Polizistin, bleibt hartnäckig. Sie ist davon überzeugt, dass Friedhofsgärtner Jürgen Becker (Hanno Koffler) hinter Barbaras Verschwinden steckt. Doch ihr Vorgesetzter sowie der zuständige Staatsanwalt blocken ab, haben längst schon „ihren“Schuldigen ausgemacht: Barbaras Ehemann Robert (Nicholas Ofczarek), einen erfolgreichen Unternehmer, der sie kurz zuvor für eine Jüngere verließ. Bald glauben der ganze Ort und auch Roberts und Barbaras Tochter Teresa an diese Theorie, ohne dass es irgendwelche Beweise gäbe.
„Das Geheimnis des Totenwaldes“ist – entgegen der Ankündigung als „Event-Dreiteiler“– eine eher nüchtern daherkommende Produktion, die glücklicherweise kaum auf Effekt und Spektakel setzt. Die insgesamt 270 Minuten zeigen polizeiliche Ermittlungsarbeit über knapp 30 Jahre hinweg, und zwar in all ihrer Mühseligkeit und Aktenwälzerei, ihrer (scheinbaren) Aussichtslosigkeit.
Erzählt wird dies jedoch mit einer enormen inneren Spannung, die nicht nur aus den erwähnten unfassbaren Details dieses Kriminalfalls resultiert. Gefesselt wird der Zuschauer durch eine stimmige Dramaturgie, kluge Dialoge, starke Bilder und eine effiziente, elliptische Erzählweise: Drehbuchautor Stefan Kolditz und Regisseur Sven Bohse haben das komplexe Geschehen bemerkenswert gut im Griff.
Dabei setzen die Filmemacher auf spannende, durchweg toll gespielte Figuren und deren interessante Konstellationen untereinander. Bethge etwa, der sowohl als einflussreicher
LKA-Chef als auch als ohnmächtiger Angehöriger auftritt. Der als Polizist damit leben muss, der eigenen Mutter keine Gewissheit über den Verbleib ihrer Tochter geben zu können. Der nicht hinwegkommt über den Verlust der Schwester – auch, weil er kaum darüber spricht: Das Schweigen, es ist ein zentrales Merkmal der meisten Männer in diesem Dreiteiler.
Die Verfilmung ist auch ein Sittengemälde jener Jahre, das die toxisch-patriarchale Kultur in all ihren Ausformungen – vom nationalsozialistisch geprägten Extrem einer „harten“Männlichkeit hin zur mangelnden Empathie und Fehlerkultur im Provinz-Kommissariat – zum Ausgangspunkt seiner Erzählung macht. So ist „Das Geheimnis des Totenwaldes“nicht nur atemraubend spannend, sondern zudem ein kluger Kommentar zu überholten Geschlechterrollen.
„Das Geheimnis des Totenwaldes“, Regie: Sven Bohse. Das Erste, Mi 2., Sa 5. und 9.12., jeweils 20.15 bis 21.45 Uhr.