Schwäbische Zeitung (Biberach)
Opfer ist nach Geiselnahme arbeitsunfähig
Seit Montag muss sich der Angeklagte vor dem Landgericht verantworten
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SIGMARINGEN - Ein 25-jähriger Nigerianer soll im Juni eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde im Landratsamt Sigmaringen als Geisel genommen und mit einem Messer bedroht haben. Am Montag hat der Prozess vor dem Landgericht in Hechingen begonnen. Schon jetzt steht fest: Für Geiselnahme drohen Tätern mindestens fünf Jahre Haft, bei weniger schweren Fällen mindestens ein Jahr, wie Staatsanwalt Philipp Wissmann erklärt. Doch bis zum Urteil dauert es noch.
Der Vorfall ereignete sich am Vormittag des 3. Juni. Der Angeklagte hatte laut Anklageschrift um 9 Uhr einen Termin bei der Ausländerbehörde, kam aber zu spät. Bei dem Termin habe sich der 25-Jährige darüber beschweren wollen, warum seine Arbeitserlaubnis aufgrund eines fehlenden Ausweises verweigert worden war. Nachdem ihm die Chefin der Behörde Auskunft gegeben habe, sei er sauer geworden. Daraufhin habe er auf die Spuckschutzscheibe im Büro eingeschlagen und schließlich die Mitarbeiterinnen mit den Holzklötzen, an denen die Scheibe befestigt war, bedroht. Aus Sorge vor einer Eskalation habe eine Kollegin in diesem Moment die Polizei gerufen.
Zwischenzeitlich hatte der Mann laut Anklage mit den Holzklötzen das Büro verlassen und zwischen Foyer und Zulassungsstelle auf die Beamten gewartet, wo sich diverse Mitarbeiter versammelt hatten. Als die Polizisten eintrafen, habe der Mann die Klötze beiseite gelegt und ein Küchenmesser aus seinem Rucksack gezogen, plötzlich eine Mitarbeiterin in den Schwitzkasten genommen und sie mit dem Messer bedroht, „um eine Abschiebung zu verhindern“, so Wissmann. Die Polizisten setzten
Pfefferspray ein und warfen den Mann zu Boden, nachdem sie ihm damit gedroht hatten, ihre Schusswaffen zu nutzen. So befreiten sie die Frau. Diese erlitt laut Anklageschrift ein Trauma und Schmerzen an Hals und Nacken. Im Nachgang, so ein zweiter Vorwurf, habe der Mann am Boden die Polizisten getreten. Rötungen und Abschürfungen bei den Beamten waren die Folge.
Der Angeklagte, der nach eigenen Angaben seit fünf Jahren in Deutschland lebt und dort seit zwei Jahren geduldet wird, schob den Vorfall auf seine Vergangenheit und erzählte daraufhin ausschweifend von seiner Zeit in Nigeria, woher er stammt. Bei seiner Ausführung spielte vor allem eine dreimonatige Entführung nach Algerien und Libyen eine Rolle. Zuvor sei er gejagt und von „bösen Männern“in Gefangenschaft genommen worden, die Geld von ihm wollten. Die Geiselnahme erklärt der 25-Jährige mit der Entführung: Als die Polizei vor ihm gestanden habe, seien Erinnerungen daran hochgekommen und haben ihn in diese Zeit zurückversetzt. Er habe sich gejagt gefühlt und deshalb panisch reagiert.
Die Geschädigte, die auch als Nebenklägerin auftritt, schilderte ihre Sicht im Zeugenstand. Die 63-Jährige sei nur zufällig in die Situation geraten, weil sie sich, wie viele andere sagt die Geschädigte
im Zeugenstand.
Mitarbeiter auch, aufgrund der Lautstärke im Nachbarbüro in die Zulassungsstelle begeben habe. Mit brüchiger Stimme schilderte sie, wie der Mann sich dort benahm – an den eigentlichen Vorfall erinnerte sie sich aber nur bruchstückhaft. Sie habe etwas übers Gesicht laufen gespürt und schließlich am Boden gelegen, wo ein Kollege sie wegzerrte. Seitdem ist sie arbeitsunfähig und nimmt eine Traumatherapie in Anspruch. „Das hat mich aus dem Leben geworfen“, sagte sie unter Tränen. Die Entschuldigung, die ihr der Angeklagte vor wenigen Wochen geschickt habe, wolle sie deshalb nicht annehmen.
Auch ihre Kolleginnen schildern den Vorfall als drastisch. Dass der Angeklagte gefährlich werden könnte, habe sich aber zuvor schon angedeutet, wie die zuständige Sachbearbeiterin aussagte. Bereits vor dem Termin habe sie ein mulmiges Gefühl gehabt und ihre Chefin dazugebeten, denn der 25-Jährige reagiere häufiger aggressiv. Mehr als 20 Mal sei er bereits wegen der verweigerten Arbeitserlaubnis in der Ausländerbehörde gewesen – ohne einen Identitätsnachweis zu besorgen, der die Arbeitserlaubnis ermöglicht hätte. Kurz vor der Geiselnahme habe der Mann zwar eine Geburtsurkunde besorgen können, doch sie reiche als Dokument ebenfalls nicht aus – sie diene jedoch dazu, einen Pass zu beantragen. Diese Information verstand der Angeklagte auch vor Gericht nicht.
Nachdem die betroffenen Mitarbeiter des Landratsamts ausgesagt haben, sind beim nächsten Termin die Polizisten geladen, die den Angeklagten festgenommen haben. Auch das Gutachten des psychologischen Sachverständigen steht noch aus. Das Urteil fällt voraussichtlich nächste Woche am Donnerstag.
„Das hat mich aus dem
Leben geworfen“,