Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Die einfachen Dinge sind viel wichtiger geworden“
Berkheimer Motorradprofi Sandro Cortese spricht über seinen schweren Sturz, die Folgen und seine weitere Karriere
BERKHEIM - Vier Monate nach seinem schweren Sturz bei einem Rennen der Superbike-WM in Portimao kämpft sich der frühere MotorradWeltmeister Sandro Cortese aus Berkheim wieder in den Alltag zurück. Im Gespräch mit Tobias Rehm erzählt er, dass er mittlerweile nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen und eine Entscheidung über seine sportliche Zukunft noch nicht gefallen ist: „Wie es mit meiner Karriere weitergeht, hängt von meinem Körper ab.“
Herr Cortese, wie geht es Ihnen?
Aktuell jeden Tag ein bisschen besser. Ich war zuletzt vier Wochen lang in der Reha am Tegernsee, das hat mir richtig gut getan. Jetzt bin ich soweit, dass ich mehrmals in der Woche auf meinem Hometrainer sitzen und trainieren kann.
Können Sie Ihren Alltag schmerzfrei bewältigen?
Allzu lange sitzen oder mich irgendwo anlehnen kann ich mit meiner Platte im Rücken nicht. Aber wenn sie im nächsten Jahr rauskommt, gehe ich davon aus, dass es ein ähnlich befreiendes Gefühl wird wie vor Jahren, als mir eine Titanplatte aus dem Arm entfernt wurde.
Ihr siebter Brustwirbel wurde bei dem Sturz zertrümmert, sie hatten fünf gebrochene Rippen und weitere Verletzungen im Sprunggelenk und im Knie. Hätten Sie gedacht, dass Sie vier Monate später wieder in einer solch verhältnismäßig guten Verfassung sind?
Nein, davon konnte ich nicht ausgehen. Ich saß nach dem Unfall im Rollstuhl, ging wochenlang an Krücken. Bis zum Sturz war ich topfit, dann hatte ich innerhalb von zwei
Wochen fast keine Muskeln mehr. Es war schmerzhaft zu erfahren, wie viele vermeintlich selbstverständliche Dinge nicht mehr funktionierten. Jetzt bin ich nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen. Mein großes Ziel war, einfach wieder auf meinen eigenen Beinen stehen zu können. Ich bin sehr froh und dankbar, dass das geklappt hat. Denn es war ein extrem harter Sturz mit schweren Verletzungen.
Ab welchem Zeitpunkt haben Sie sich Gedanken über Ihre sportliche
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Zukunft gemacht?
Unmittelbar nach dem Sturz war das für mich gar kein Thema. Mittlerweile ist es natürlich schon so, dass ich meine Zukunft planen muss. Ich stehe dazu in engem Kontakt mit meinem Manager, gemeinsam wägen wir mögliche Optionen für nächstes Jahr ab. Coronabedingt ist das alles schwierig, weil die Budgetplanungen der einzelnen Teams sehr unsicher sind. Für mich wäre es wichtig, einen Vertrag zu bekommen, von dem ich leben kann. Mit dem Motorsport verdiene ich mein
Geld. Ich bin keine 15 mehr.
Heißt das, Sie setzen Ihre Karriere fort?
Ich möchte heute nicht sagen: Ich fahre nie mehr oder ich fahre weiter. Zunächst einmal muss ich fit werden, das wird noch sehr lange dauern. Wie es mit meiner Karriere weitergeht, hängt von meinem Körper ab. Ich sitze erst wieder auf ein Motorrad, wenn ich zu 100 Prozent schmerzfrei bin. Dann kann ich schauen, was es für Möglichkeiten gibt. Ich bin auch immer offen für Neues.
Zum Beispiel?
Dem Motorsport werde ich mit Sicherheit treu bleiben. Sollte ich mich umorientieren müssen, gibt es Möglichkeiten, bei den Teams in irgendeiner Form tätig zu sein oder auch als TV-Experte einzusteigen. Aber auch etwas ganz anderes ist denkbar. So habe ich mich über Jahre hinweg auch aufgrund eines treuen Sponsors immer wieder mit Immobilien befasst.
Wie geht es in nächster Zeit bei Ihnen weiter?
Ende Januar habe ich meine Nachbesprechung in der Unfallklinik in Murnau, dann weiß ich, wo ich stehe und wie es weitergehen kann. Mein Vertrag beim Outdo-KawasakiTeam läuft Ende des Jahres aus. Sollte ich wieder einsteigen, kommt es mir entgegen, dass die neue Saison erst Ende April, Anfang Mai startet. Bis dahin kann noch viel passieren. Klar ist: Wenn ich nochmal fahre, kommt nur die Superbike-Klasse infrage. In meinem Alter ist sie die richtige. In der Moto2-Klasse sind die Fahrer zwischen 19 und 23, das ist für mich kein Thema mehr.
Sollten Sie im März noch keinen neuen Vertrag haben, werden Sie vermutlich nicht nervös.
Das stimmt, in der Hinsicht bin ich mittlerweile sehr gelassen. Dieses Jahr habe ich meinen Vertrag zwei Wochen vor dem ersten Rennen unterschrieben. Ich mache mir deshalb keinen Stress. Es kommt im Leben immer so, wie es soll. Jetzt genieße ich es, mehr Zeit für Familie und Freunde zu haben. Die einfachen Dinge sind mir in den vergangenen Monaten sehr viel wichtiger geworden. Zum Beispiel mit dem Hund laufen zu gehen.