Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der hohe Preis der offenen Schulen
Weihnachtsferien-Hickhack lässt Frust größer werden – Warum sich eine Lehrerin hilflos fühlt
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LANDKREIS BIBERACH - Das Hickhack um die Weihnachtsferien im Südwesten verärgert auch Lehrer in der Region. „Ich fühle mich ohnmächtig, hilflos und den Entscheidungen von oben ausgeliefert“, schildert eine Lehrerin der „Schwäbischen Zeitung“. Nach den Bund-Länder-Beschlüssen schien die Sache eigentlich klar: Alle Kinder sollten bereits am 19. Dezember in die Ferien gehen. Doch die grün-schwarze Landesregierung hat anders entschieden.
Der krisenfeste Job von Paula
birgt in der Corona-Pandemie ein hohes Risiko: täglich mit Kindern und Jugendlichen aus Dutzenden Haushalten in einem Raum. Die Mittvierzigerin ist Lehrerin an einer weiterführenden Schule im Kreisgebiet. Die Weihnachtsferien für alle Schüler nicht früher beginnen zu lassen, ist für sie ein Fehler: „Die Regelung ist fahrlässig und könnte im schlimmsten Fall für manche Großeltern ,Last Christmas’ sein.“
Zwei Tage mehr Ferien machen aus ihrer Sicht einen gravierenden Unterschied. Inklusive des Wochenendes liegen zwischen Ferienbeginn und Weihnachten sechs statt zwei Tage. Bayern geht diesen Schritt. „Warum hält sich unsere Landesregierung nicht an Absprachen?“, fragt die Lehrerin, die anonym bleiben möchte.
Bund und Länder hatten vereinbart, die Kinder bereits am 19. Dezember in die Ferien zu entlassen, um Kontakte zu reduzieren. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verständigten sich nach längerem Hin und Her auf ein anderes Vorgehen für den 21. und 22. Dezember. Bis zur siebten Klasse gilt regulärer Präsenzunterricht. Eltern können ihre Kinder aber daheim lassen. Schüler ab der achten Klasse haben an den beiden Tagen Homeschooling. Zudem können Schulen bewegliche Ferientage einsetzen. Eine einheitliche Lösung? Fehlanzeige.
Der Alltag in den Schulen hat sich mit Corona ohnehin schon stark verändert; das zehrt an den Nerven. „Ich stelle die Küchenuhr, damit wir alle 20 Minuten für drei Minuten die Fenster öffnen“, erzählt Paula. Das Lüften bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sei „eine Zumutung“. Doch neben Maske und Hygiene bleibe kein anderes Mittel, um das Infektionsrisiko zu senken. Zumindest kein kostenneutrales, sagt sie. „Die Anschaffung von Raumluftfiltern scheint kein Thema mehr zu sein, obwohl zahlreiche seriöse Studien ihren Nutzen belegen.“Paula hat Zweifel, ob all die derzeitigen Maßnahmen wirklich reichen. In anderen Bereichen des
Schulalltags, zum Beispiel in der Pause, fehle die Kontrolle beziehungsweise die Konsequenz der Maßnahmen. Der Sportunterricht findet ohne Maske statt und Lehrer wechseln von Klasse zu Klasse.
„Vielleicht hatten wir bislang nur Glück, dass wir noch kein CoronaHotspot waren“, sagt die Lehrerin, die bei einem engen Angehörigen derzeit eine äußert schwere Covid-19-Erkrankung miterlebt. Sie wünscht sich eine „ehrliche Untersuchung“bezüglich des Infektionsgeschehens an Schulen. Beispielsweise, dass an ausgewählten Schulen flächendeckende Tests durchgeführt würden, um auch symptomfreie Fälle aufzuspüren. Inwiefern Kinder und Jugendliche infektiös sind, dazu fehlen weiter eindeutigen Studien.
„Die Datenlage ist immer noch schwierig und die Interpretation von
Daten durchaus auch von bestimmten Vorstellungen und verständlichen Wünschen mitbestimmt“, sagte der Ulmer Virologe Professor Thomas Mertens vergangene Woche im SZ-Interview. Paula hat das Gefühl, aus Sorge vor politisch unerfreulichen Ergebnissen schaut keiner genau hin. Die Kultusminister bekräftigen, Schulen seien nicht der Ort der Infektionen – diese würden von außen hereingetragen.
Diese Sorgen und Ängste kennt Heidrun Drews gut. Sie ist Lehrerin an der Mali-Gemeinschaftsschule in Biberach, Bezirkspersonalrätin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg sowie Personalratsvorsitzende am Staatlichen Schulamt Biberach. Insbesondere Grundschullehrerinnen seien verunsichert, weil hier keine Maskenpflicht für Schüler gilt und das Abstandsgebot nur schwer umsetzbar ist. Ständig neue Regeln sorgten für Mehrarbeit, die Schulleitern und Kollegium zugemutet werden, so Drews. „Seit Februar hatten viele Schulleiter keinen freien Tag.“
Der Schlingerkurs beim Ferienstart habe für noch mehr Frust gesorgt. „Wir hätten uns eine klare Regelung vom Kultusministerium gewünscht. Egal, wie sie ausgefallen wäre“, sagt Drews, die auch für die SPD im Biberacher Gemeinderat sitzt. Der jetzige Kompromiss bedeute nur Mehraufwand. Viele ihrer Kollegen überlegten sich, Weihnachten ohne Verwandte zu verbringen. Auch sie persönlich setzt auf ein digitales Weihnachten am Laptop: „Es geht nicht anders.“
Laut Drews geben sich alle große Mühe, die Corona-Regeln an der Schule einzuhalten. „Trotzdem haben wir das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen“, sagt sie. Der Respekt vor einer Erkrankung sei groß. Und sind dann Kollegen in Quarantäne, müssten in dieser Zeit die anderen die Arbeit mitmachen, so Drews. Alle seien am Limit und wünschten sich mehr Stabilität im Januar. Sie vermisse die Arbeitgeberfürsorge des Landes: „In der Industrie wäre so ein Vorgehen undenkbar.“
Paula hätte sich für den Jahreswechsel einen strikteren Lockdown gewünscht, um die Corona-Zahlen nach unten zu drücken. Aus ihrer Sicht hätte das schon früher passieren sollen. „In Frankreich sinken die Zahlen deutlich“, sagt sie. Ein Homeschooling für einen begrenzten Zeitraum wäre zumutbar. „Zumal viele Schulen mittlerweile – anders als im Frühjahr – durchaus vorbereitet sind“, sagt die Lehrerin. Die Hängepartie jetzt, das sehe sie auch an ihren eigenen Kindern, sei mindestens genauso belastend. Freizeitaktivitäten würden genauso wegfallen wie Freunde treffen.