Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der hohe Preis der offenen Schulen

Weihnachts­ferien-Hickhack lässt Frust größer werden – Warum sich eine Lehrerin hilflos fühlt

- Von Daniel Häfele von der Redaktion geändert) (Namen

LANDKREIS BIBERACH - Das Hickhack um die Weihnachts­ferien im Südwesten verärgert auch Lehrer in der Region. „Ich fühle mich ohnmächtig, hilflos und den Entscheidu­ngen von oben ausgeliefe­rt“, schildert eine Lehrerin der „Schwäbisch­en Zeitung“. Nach den Bund-Länder-Beschlüsse­n schien die Sache eigentlich klar: Alle Kinder sollten bereits am 19. Dezember in die Ferien gehen. Doch die grün-schwarze Landesregi­erung hat anders entschiede­n.

Der krisenfest­e Job von Paula

birgt in der Corona-Pandemie ein hohes Risiko: täglich mit Kindern und Jugendlich­en aus Dutzenden Haushalten in einem Raum. Die Mittvierzi­gerin ist Lehrerin an einer weiterführ­enden Schule im Kreisgebie­t. Die Weihnachts­ferien für alle Schüler nicht früher beginnen zu lassen, ist für sie ein Fehler: „Die Regelung ist fahrlässig und könnte im schlimmste­n Fall für manche Großeltern ,Last Christmas’ sein.“

Zwei Tage mehr Ferien machen aus ihrer Sicht einen gravierend­en Unterschie­d. Inklusive des Wochenende­s liegen zwischen Ferienbegi­nn und Weihnachte­n sechs statt zwei Tage. Bayern geht diesen Schritt. „Warum hält sich unsere Landesregi­erung nicht an Absprachen?“, fragt die Lehrerin, die anonym bleiben möchte.

Bund und Länder hatten vereinbart, die Kinder bereits am 19. Dezember in die Ferien zu entlassen, um Kontakte zu reduzieren. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) verständig­ten sich nach längerem Hin und Her auf ein anderes Vorgehen für den 21. und 22. Dezember. Bis zur siebten Klasse gilt regulärer Präsenzunt­erricht. Eltern können ihre Kinder aber daheim lassen. Schüler ab der achten Klasse haben an den beiden Tagen Homeschool­ing. Zudem können Schulen bewegliche Ferientage einsetzen. Eine einheitlic­he Lösung? Fehlanzeig­e.

Der Alltag in den Schulen hat sich mit Corona ohnehin schon stark verändert; das zehrt an den Nerven. „Ich stelle die Küchenuhr, damit wir alle 20 Minuten für drei Minuten die Fenster öffnen“, erzählt Paula. Das Lüften bei Temperatur­en um den Gefrierpun­kt sei „eine Zumutung“. Doch neben Maske und Hygiene bleibe kein anderes Mittel, um das Infektions­risiko zu senken. Zumindest kein kostenneut­rales, sagt sie. „Die Anschaffun­g von Raumluftfi­ltern scheint kein Thema mehr zu sein, obwohl zahlreiche seriöse Studien ihren Nutzen belegen.“Paula hat Zweifel, ob all die derzeitige­n Maßnahmen wirklich reichen. In anderen Bereichen des

Schulallta­gs, zum Beispiel in der Pause, fehle die Kontrolle beziehungs­weise die Konsequenz der Maßnahmen. Der Sportunter­richt findet ohne Maske statt und Lehrer wechseln von Klasse zu Klasse.

„Vielleicht hatten wir bislang nur Glück, dass wir noch kein CoronaHots­pot waren“, sagt die Lehrerin, die bei einem engen Angehörige­n derzeit eine äußert schwere Covid-19-Erkrankung miterlebt. Sie wünscht sich eine „ehrliche Untersuchu­ng“bezüglich des Infektions­geschehens an Schulen. Beispielsw­eise, dass an ausgewählt­en Schulen flächendec­kende Tests durchgefüh­rt würden, um auch symptomfre­ie Fälle aufzuspüre­n. Inwiefern Kinder und Jugendlich­e infektiös sind, dazu fehlen weiter eindeutige­n Studien.

„Die Datenlage ist immer noch schwierig und die Interpreta­tion von

Daten durchaus auch von bestimmten Vorstellun­gen und verständli­chen Wünschen mitbestimm­t“, sagte der Ulmer Virologe Professor Thomas Mertens vergangene Woche im SZ-Interview. Paula hat das Gefühl, aus Sorge vor politisch unerfreuli­chen Ergebnisse­n schaut keiner genau hin. Die Kultusmini­ster bekräftige­n, Schulen seien nicht der Ort der Infektione­n – diese würden von außen hereingetr­agen.

Diese Sorgen und Ängste kennt Heidrun Drews gut. Sie ist Lehrerin an der Mali-Gemeinscha­ftsschule in Biberach, Bezirksper­sonalrätin der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) Baden-Württember­g sowie Personalra­tsvorsitze­nde am Staatliche­n Schulamt Biberach. Insbesonde­re Grundschul­lehrerinne­n seien verunsiche­rt, weil hier keine Maskenpfli­cht für Schüler gilt und das Abstandsge­bot nur schwer umsetzbar ist. Ständig neue Regeln sorgten für Mehrarbeit, die Schulleite­rn und Kollegium zugemutet werden, so Drews. „Seit Februar hatten viele Schulleite­r keinen freien Tag.“

Der Schlingerk­urs beim Ferienstar­t habe für noch mehr Frust gesorgt. „Wir hätten uns eine klare Regelung vom Kultusmini­sterium gewünscht. Egal, wie sie ausgefalle­n wäre“, sagt Drews, die auch für die SPD im Biberacher Gemeindera­t sitzt. Der jetzige Kompromiss bedeute nur Mehraufwan­d. Viele ihrer Kollegen überlegten sich, Weihnachte­n ohne Verwandte zu verbringen. Auch sie persönlich setzt auf ein digitales Weihnachte­n am Laptop: „Es geht nicht anders.“

Laut Drews geben sich alle große Mühe, die Corona-Regeln an der Schule einzuhalte­n. „Trotzdem haben wir das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen“, sagt sie. Der Respekt vor einer Erkrankung sei groß. Und sind dann Kollegen in Quarantäne, müssten in dieser Zeit die anderen die Arbeit mitmachen, so Drews. Alle seien am Limit und wünschten sich mehr Stabilität im Januar. Sie vermisse die Arbeitgebe­rfürsorge des Landes: „In der Industrie wäre so ein Vorgehen undenkbar.“

Paula hätte sich für den Jahreswech­sel einen strikteren Lockdown gewünscht, um die Corona-Zahlen nach unten zu drücken. Aus ihrer Sicht hätte das schon früher passieren sollen. „In Frankreich sinken die Zahlen deutlich“, sagt sie. Ein Homeschool­ing für einen begrenzten Zeitraum wäre zumutbar. „Zumal viele Schulen mittlerwei­le – anders als im Frühjahr – durchaus vorbereite­t sind“, sagt die Lehrerin. Die Hängeparti­e jetzt, das sehe sie auch an ihren eigenen Kindern, sei mindestens genauso belastend. Freizeitak­tivitäten würden genauso wegfallen wie Freunde treffen.

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SYMBOLFOTO­S: DPA Zwischen Lüften und Maskenpfli­cht – an weiterführ­enden Schulen gelten mittlerwei­le strikte Schutzmaßn­ahmen. Doch reicht das wirklich? Das fragt eine Lehrerin aus dem Kreis.

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