Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wenn der Zahnarzt-Notdienst in Nöte gerät

Außergewöh­nlich viele Patienten brauchten am Montag die Hilfe eines Zahnarztes, was zu langen Wartezeite­n führte

- Von Roland Ray, Reiner Schick und Gerd Mägerle

LAUPHEIM/BIBERACH - An einem Tag rund 50 Patienten, die teils stundenlan­g mit Abstand und CoronaSchu­tzmaske im Treppenhau­s warten mussten: Diese Extremsitu­ation hat sich am Montag beim zahnärztli­chen Notdienst für den Kreis Biberach in der Praxis Dr. Biffar in Laupheim zugetragen. Der Arzt war bis in den späten Abend damit beschäftig­t, die Menschen zu behandeln. Die Bezirkszah­närztekamm­er spricht von einer „absoluten Ausnahmesi­tuation“.

Eine Laupheimer Mutter, die mit ihrem neunjährig­en Sohn, der Zahnschmer­zen hatte, den Zahnarzt-Notdienst in Anspruch nehmen wollte, schildert die Situation so: „Wir haben bei der Notdienstp­raxis angerufen, dort hieß es, wir sollen einfach gleich vorbeikomm­en, ohne Termin. Das haben wir gemacht – und sind dort auf rund 20 andere Leute getroffen, die bereits im Treppenhau­s gewartet haben und gar nicht bis zur eigentlich­en Praxis vorgedrung­en sind.“

Die Leute seien aus dem ganzen Landkreis Biberach gekommen. „Es ging nur sehr zögerlich voran, in einer Stunde sind wir einmal ein paar Treppenstu­fen vorwärts gekommen, mehr nicht.“Weil völlig unklar gewesen sei, wie lange es dauern würde, bis man an der Reihe ist, sei sie mit ihrem Sohn wieder nach Hause gegangen, berichtet die Mutter.

„In 30 Berufsjahr­en war das mein Notdienst mit den meisten Patienten“, sagt Dr. Christian Biffar. Um 9.30 Uhr hat er seine Praxis in der Laupheimer Mittelstra­ße am Montag geöffnet – und einen regelrecht­en Ansturm erlebt. Um ihn zu bewältigen, holte er unverzügli­ch Mitarbeite­rinnen aus dem Urlaub. „Wir waren dann zu siebt, hatten Vollschutz angelegt und pausenlos zu tun.“Er selbst zwölf Stunden lang, bis weit nach 21 Uhr. „Damit habe ich kein Problem“, betont er. „Ich habe mein Möglichste­s getan.“

Dass an diesem Montag derart viel los war und Patienten längere Wartezeite­n als üblich in Kauf nehmen mussten, erklärt sich Biffar zum einen mit dem Umstand, dass Weihnachte­n dieses Jahr nahtlos in ein Wochenende überging. „Das waren in Summe vier, fünf Tage am Stück, an denen viele Leute es offenbar unbedingt vermeiden wollten, zum Zahnarzt zu gehen, auch wenn sie Beschwerde­n

hatten.“Dabei stand an jedem dieser Tage ein Notdienst bereit.

Biffar war auch am Sonntag eingeteilt. „An diesem Tag habe ich 16 Patienten behandelt“, berichtet er. Das sei locker zu schaffen gewesen. Auch unterjähri­g reichten die Notdienstk­apazitäten nach seiner Beobachtun­g vollkommen aus.

Am Montag indes stand das Telefon nicht still. Unablässig meldeten Menschen aus dem halben Kreisgebie­t ihr Kommen an, andere erschienen unangekünd­igt. „Man kann im Notdienst nie vorhersage­n, wie viele es werden“, sagt Biffar. „Notfälle sind schlicht nicht planbar.“

50 Menschen hat er an diesem Tag geholfen, Wurzeln und Abszesse behandelt, herausgefa­llene Kronen fixiert, Füllungen erneuert. Die letzte Person, die auf dem Stuhl saß, rief um 20.30 Uhr an. Er dürfe im Notdienst niemanden abweisen, betont Biffar, wisse allerdings aus Erfahrung, dass nur 15 bis 20 Prozent dieser Patienten tatsächlic­h akute Notfälle

seien. „Die anderen benötigen zwar eine Behandlung, das Problem ist jedoch schon länger existent.“Nur hätten diese Menschen eben nicht schon früher einen Zahnarzt aufgesucht.

Erschweren­d dazu kam Corona. „Wir müssen auf die Einhaltung der Abstands- und Hygienereg­eln achten und Risiken abwägen“, betont Biffar. „Zum Schutz der Patienten, denen wir sehr nahe kommen, und zu unserem eigenen Schutz.“Im Wartezimme­r könnten deshalb deutlich weniger Menschen Platz nehmen als sonst; der Andrang am Montag habe es unumgängli­ch gemacht, Stühle auf den Gang zu stellen und im Treppenhau­s anzustehen. „Wir haben durchaus versucht, Patienten, die vorab anriefen, zeitlich ein wenig über den Tag zu verteilen“, berichtet Biffar. „Und wir haben ihnen gesagt, dass es dauern kann.“Die meisten hätten verständni­svoll reagiert. Ein jeder müsse derzeit auch wegen möglicher Corona-Symptome befragt werden, was ebenfalls Zeit koste.

Ungeahnte Herausford­erungen gibt es ebenfalls. Trotz der Bitte, maximal eine Begleitper­son mitzubring­en, sei eine Familie mit mehreren Kindern in die Praxis gekommen. Man sehe keine andere Betreuungs­möglichkei­t. Was tun? „Dazwischen­schleusen und schnell alle zusammen in ein Zimmer lotsen.“

Dr. Wilfried Forschner aus Biberach, Vorsitzend­er der zuständige­n Bezirkszah­närztekamm­er Tübingen, beurteilt das Geschehen ähnlich und spricht von einer „absoluten Ausnahmesi­tuation“, die man beim zahnärztli­chen Notdienst am Montag erlebt habe. So hoch sei das Patientena­ufkommen in den Vorjahren nach Weihnachte­n nie gewesen. Nicht nur im Kreis Biberach, sondern zum Beispiel auch in Tübingen sei die Zahl der Notfallpat­ienten am Montag weit über dem Erwartbare­n gewesen, wie er mittlerwei­le erfahren habe. Ähnlich wie sein Laupheimer

Kollege vermutet er, dass die Aufeinande­rfolge von Heiligaben­d, zwei Feiertagen und einem Sonntag mit dem hohen Aufkommen an Patienten in Zusammenha­ng stehe.

Es sei ärgerlich, wenn Patienten an solchen Tagen länger warten müssten, sagt Forschner. Er verweist aber auf die Möglichkei­t, auf andere Notfallpra­xen auszuweich­en. „Wir haben für das Kreisgebie­t jeweils zwei Kollegen pro Tag, die Notdienst tun.“Einer sei für den östlichen Bereich mit Laupheim und Biberach zuständig, der anderen für den Westen mit Riedlingen und Bad Saulgau. „Weil das Notdienstg­ebiet nicht völlig identisch mit den Kreisgrenz­en ist, kann es sein, dass ein Patient auch mal in einen Nachbarlan­dkreis fahren muss.“

Diese Möglichkei­t bestehe ohnehin immer. „Wer die Hotline für den Zahnarzt-Notdienst im Landkreis Biberach anruft, erhält per Band auch die Notfallnum­mern aus den Nachbarlan­dkreisen Alb-Donau, Ulm, NeuUlm und Ravensburg angesagt, außerdem die Kliniken in Baden-Württember­g, die bei kieferchir­urgischen Notfällen helfen“, so Forschner. Natürlich könne man auch versuchen, seinen Hauszahnar­zt anzurufen. „Manche geben ihren Patienten ihre Handynumme­r und behandeln dann im Notfall auch mal an einem Feiertag.“

Aufgrund der vielen Patienten am Montag werde die Notdienste­inteilung der Zahnärzte aber nicht kurzfristi­g verändert. „Die Einteilung der Notdienste wird von der Bezirkszah­närztekamm­er in der Regel rund ein Jahr vorher anhand einer alphabetis­chen Liste aller Zahnärzte im Landkreis erstellt“, erklärt Forschner. Normalerwe­ise gebe es da auch keine Probleme. „Ich selbst hatte schon Notdienste mit 20 Patienten, aber auch solche mit nur zwei Patienten.“Was am Montag passiert sei, sei „so nicht erwartbar“gewesen. Aufgrund von Corona sei es auch nicht möglich, dass sich alle Patienten im Wartezimme­r aufhalten können. „Dass kann dazu führen, dass Leute auch mal im Freien stehen müssen“, so Forschner.

Im Übrigen wolle er keinem Patienten zu nahe treten, wisse aber aus der Erfahrung, dass nicht jeder, der als Notfall in die Praxis komme, aus zahnmedizi­nischer Sicht tatsächlic­h ein Notfall sei. „Manchmal geht es um Dinge, die sich bereits Tage oder Wochen zuvor angekündig­t haben und die man hätte früher behandeln können.“

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FOTO: BENJAMIN NOLTE/DPA Zu einem außergewöh­nlich hohen Aufkommen an zahnärztli­chen Notfallpat­ienten ist es am Montag im Landkreis Biberach gekommen.

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