Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wenn der Zahnarzt-Notdienst in Nöte gerät
Außergewöhnlich viele Patienten brauchten am Montag die Hilfe eines Zahnarztes, was zu langen Wartezeiten führte
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LAUPHEIM/BIBERACH - An einem Tag rund 50 Patienten, die teils stundenlang mit Abstand und CoronaSchutzmaske im Treppenhaus warten mussten: Diese Extremsituation hat sich am Montag beim zahnärztlichen Notdienst für den Kreis Biberach in der Praxis Dr. Biffar in Laupheim zugetragen. Der Arzt war bis in den späten Abend damit beschäftigt, die Menschen zu behandeln. Die Bezirkszahnärztekammer spricht von einer „absoluten Ausnahmesituation“.
Eine Laupheimer Mutter, die mit ihrem neunjährigen Sohn, der Zahnschmerzen hatte, den Zahnarzt-Notdienst in Anspruch nehmen wollte, schildert die Situation so: „Wir haben bei der Notdienstpraxis angerufen, dort hieß es, wir sollen einfach gleich vorbeikommen, ohne Termin. Das haben wir gemacht – und sind dort auf rund 20 andere Leute getroffen, die bereits im Treppenhaus gewartet haben und gar nicht bis zur eigentlichen Praxis vorgedrungen sind.“
Die Leute seien aus dem ganzen Landkreis Biberach gekommen. „Es ging nur sehr zögerlich voran, in einer Stunde sind wir einmal ein paar Treppenstufen vorwärts gekommen, mehr nicht.“Weil völlig unklar gewesen sei, wie lange es dauern würde, bis man an der Reihe ist, sei sie mit ihrem Sohn wieder nach Hause gegangen, berichtet die Mutter.
„In 30 Berufsjahren war das mein Notdienst mit den meisten Patienten“, sagt Dr. Christian Biffar. Um 9.30 Uhr hat er seine Praxis in der Laupheimer Mittelstraße am Montag geöffnet – und einen regelrechten Ansturm erlebt. Um ihn zu bewältigen, holte er unverzüglich Mitarbeiterinnen aus dem Urlaub. „Wir waren dann zu siebt, hatten Vollschutz angelegt und pausenlos zu tun.“Er selbst zwölf Stunden lang, bis weit nach 21 Uhr. „Damit habe ich kein Problem“, betont er. „Ich habe mein Möglichstes getan.“
Dass an diesem Montag derart viel los war und Patienten längere Wartezeiten als üblich in Kauf nehmen mussten, erklärt sich Biffar zum einen mit dem Umstand, dass Weihnachten dieses Jahr nahtlos in ein Wochenende überging. „Das waren in Summe vier, fünf Tage am Stück, an denen viele Leute es offenbar unbedingt vermeiden wollten, zum Zahnarzt zu gehen, auch wenn sie Beschwerden
hatten.“Dabei stand an jedem dieser Tage ein Notdienst bereit.
Biffar war auch am Sonntag eingeteilt. „An diesem Tag habe ich 16 Patienten behandelt“, berichtet er. Das sei locker zu schaffen gewesen. Auch unterjährig reichten die Notdienstkapazitäten nach seiner Beobachtung vollkommen aus.
Am Montag indes stand das Telefon nicht still. Unablässig meldeten Menschen aus dem halben Kreisgebiet ihr Kommen an, andere erschienen unangekündigt. „Man kann im Notdienst nie vorhersagen, wie viele es werden“, sagt Biffar. „Notfälle sind schlicht nicht planbar.“
50 Menschen hat er an diesem Tag geholfen, Wurzeln und Abszesse behandelt, herausgefallene Kronen fixiert, Füllungen erneuert. Die letzte Person, die auf dem Stuhl saß, rief um 20.30 Uhr an. Er dürfe im Notdienst niemanden abweisen, betont Biffar, wisse allerdings aus Erfahrung, dass nur 15 bis 20 Prozent dieser Patienten tatsächlich akute Notfälle
seien. „Die anderen benötigen zwar eine Behandlung, das Problem ist jedoch schon länger existent.“Nur hätten diese Menschen eben nicht schon früher einen Zahnarzt aufgesucht.
Erschwerend dazu kam Corona. „Wir müssen auf die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln achten und Risiken abwägen“, betont Biffar. „Zum Schutz der Patienten, denen wir sehr nahe kommen, und zu unserem eigenen Schutz.“Im Wartezimmer könnten deshalb deutlich weniger Menschen Platz nehmen als sonst; der Andrang am Montag habe es unumgänglich gemacht, Stühle auf den Gang zu stellen und im Treppenhaus anzustehen. „Wir haben durchaus versucht, Patienten, die vorab anriefen, zeitlich ein wenig über den Tag zu verteilen“, berichtet Biffar. „Und wir haben ihnen gesagt, dass es dauern kann.“Die meisten hätten verständnisvoll reagiert. Ein jeder müsse derzeit auch wegen möglicher Corona-Symptome befragt werden, was ebenfalls Zeit koste.
Ungeahnte Herausforderungen gibt es ebenfalls. Trotz der Bitte, maximal eine Begleitperson mitzubringen, sei eine Familie mit mehreren Kindern in die Praxis gekommen. Man sehe keine andere Betreuungsmöglichkeit. Was tun? „Dazwischenschleusen und schnell alle zusammen in ein Zimmer lotsen.“
Dr. Wilfried Forschner aus Biberach, Vorsitzender der zuständigen Bezirkszahnärztekammer Tübingen, beurteilt das Geschehen ähnlich und spricht von einer „absoluten Ausnahmesituation“, die man beim zahnärztlichen Notdienst am Montag erlebt habe. So hoch sei das Patientenaufkommen in den Vorjahren nach Weihnachten nie gewesen. Nicht nur im Kreis Biberach, sondern zum Beispiel auch in Tübingen sei die Zahl der Notfallpatienten am Montag weit über dem Erwartbaren gewesen, wie er mittlerweile erfahren habe. Ähnlich wie sein Laupheimer
Kollege vermutet er, dass die Aufeinanderfolge von Heiligabend, zwei Feiertagen und einem Sonntag mit dem hohen Aufkommen an Patienten in Zusammenhang stehe.
Es sei ärgerlich, wenn Patienten an solchen Tagen länger warten müssten, sagt Forschner. Er verweist aber auf die Möglichkeit, auf andere Notfallpraxen auszuweichen. „Wir haben für das Kreisgebiet jeweils zwei Kollegen pro Tag, die Notdienst tun.“Einer sei für den östlichen Bereich mit Laupheim und Biberach zuständig, der anderen für den Westen mit Riedlingen und Bad Saulgau. „Weil das Notdienstgebiet nicht völlig identisch mit den Kreisgrenzen ist, kann es sein, dass ein Patient auch mal in einen Nachbarlandkreis fahren muss.“
Diese Möglichkeit bestehe ohnehin immer. „Wer die Hotline für den Zahnarzt-Notdienst im Landkreis Biberach anruft, erhält per Band auch die Notfallnummern aus den Nachbarlandkreisen Alb-Donau, Ulm, NeuUlm und Ravensburg angesagt, außerdem die Kliniken in Baden-Württemberg, die bei kieferchirurgischen Notfällen helfen“, so Forschner. Natürlich könne man auch versuchen, seinen Hauszahnarzt anzurufen. „Manche geben ihren Patienten ihre Handynummer und behandeln dann im Notfall auch mal an einem Feiertag.“
Aufgrund der vielen Patienten am Montag werde die Notdiensteinteilung der Zahnärzte aber nicht kurzfristig verändert. „Die Einteilung der Notdienste wird von der Bezirkszahnärztekammer in der Regel rund ein Jahr vorher anhand einer alphabetischen Liste aller Zahnärzte im Landkreis erstellt“, erklärt Forschner. Normalerweise gebe es da auch keine Probleme. „Ich selbst hatte schon Notdienste mit 20 Patienten, aber auch solche mit nur zwei Patienten.“Was am Montag passiert sei, sei „so nicht erwartbar“gewesen. Aufgrund von Corona sei es auch nicht möglich, dass sich alle Patienten im Wartezimmer aufhalten können. „Dass kann dazu führen, dass Leute auch mal im Freien stehen müssen“, so Forschner.
Im Übrigen wolle er keinem Patienten zu nahe treten, wisse aber aus der Erfahrung, dass nicht jeder, der als Notfall in die Praxis komme, aus zahnmedizinischer Sicht tatsächlich ein Notfall sei. „Manchmal geht es um Dinge, die sich bereits Tage oder Wochen zuvor angekündigt haben und die man hätte früher behandeln können.“