Schwäbische Zeitung (Biberach)
Sonntäglicher Videoanruf verbindet Quito mit Biberach
Die frühere Biberacher SZ-Redaktionspraktikantin Leonie Werner lebt und arbeitet in Ecuador
BIBERACH/QUITO - Leonie Werner, die familiäre Wurzeln in Biberach hat und 2012/13 als Redaktionspraktikantin für die „Schwäbische Zeitung Biberach“tätig war, lebt und arbeitet seit vergangenem Jahr in Quito, der Hauptstadt von Ecuador. Bereits im März schilderte die 26-Jährige den SZ-Lesern, wie sich Corona auf ihr Leben und auf das der Menschen in dem südamerikanischen Land auswirkte. Nun erzählt sie, wie ihr Jahr 2020 weiterging, inklusive einer abenteuerlichen Reise zu Weihnachten nach Biberach.
„Als ich Mitte März dieses Jahres beschrieb, wie die Situation in Ecuador war, hätte ich mir nicht vorstellen können, wie sich das Jahr weiter entwickeln würde. Ich berichtete, dass meine Schwester Hals über Kopf aus Ecuador abreisen musste, mein Vater plante, aus Tansania zurück nach Deutschland zu fliegen, und meine Mutter sich in Biberach bei ihren Eltern in selbstgewählter Isolation aufhielt. In Ecuador waren etwas mehr als 500 Corona-Fälle registriert. Wir unterlagen einer Ausgangssperre von 19 bis 5 Uhr und das soziale Leben war weitestgehend heruntergefahren, sodass ich die meiste Zeit zu Hause saß, bei den Eltern meines Freundes Jordi, und an meiner Masterarbeit schrieb. Einmal pro Woche ging ich nach draußen, samstags zum Supermarkt, und in der sonst so lebhaften Stadt fühlte es sich fast schon verboten an, selbst Einkäufe zu tätigen, so leer waren die Straßen.
Im Lauf des Jahres hat sich dann noch einmal viel geändert: Es dauerte etwa fünf Monate, bis meine Eltern nach Tansania zurückkehren konnten. Die Fälle in Ecuador stiegen kontinuierlich, der Höhepunkt der Kurve wurde etwa Ende Juli erreicht. Die Ausgangssperre wurde Ende März ausgeweitet auf 14 bis 5 Uhr und aus den geplanten zwei Wochen wurden drei Monate, die ich bei den Eltern meines Freundes verbrachte. Erst danach wurden die Regeln so weit gelockert, dass ich in meine eigene Wohnung zurückkehren konnte, ohne dort in vollkommener Isolation leben zu müssen. Parks durften wieder besucht werden, die Einkaufszentren öffneten teilweise wieder, ebenso Cafés und Restaurants und man durfte sich mit weniger Einschränkungen nach draußen begeben.
Anfang Juli verteidigte ich erfolgreich meine Masterarbeit online, meine Betreuerin habe ich nie persönlich kennengelernt und eine Abschlussfeier gab es nur im ganz kleinen Rahmen, zu der ich mich online dazuschalten konnte. Ich bin dankbar, dass ich schon eine Woche später meinen Dienst als Volontärin beim Bevölkerungsfond der Vereinten Nationen (UNFPA), bei dem ich im Vorjahr mein Praktikum absolviert hatte, antreten durfte. Dort habe ich als Koordinatorin eines Projekts für sexuelle und reproduktive Gesundheit und für ein Leben frei von Gewalt für junge Menschen und Frauen mit Behinderungen auf virtuellem Wege wunderbare Menschen kennenlernen dürfen.
Der Zusammenhalt unter Projektpartnern und -partnerinnen war groß, man fragte nach, wie es dem oder der Gesprächspartnerin zu Hause erging und unterstützte sich, wo es möglich war. Das Projekt konnte gerade in der Pandemie viele Menschen erreichen, da auch Personen aus ländlichen Gegenden sich online dazuschalten konnten, wo es eventuell keine Möglichkeit gegeben hätte, persönlich anzureisen. Außerdem konnten wir die Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg ausbauen – von Ecuador nach Argentinien, Chile, Brasilien, Panama, Costa Rica, Mexiko, die USA und sogar Deutschland. Ich konnte Kurse zu ecuadorianischer Gebärdensprache und Barrierefreiheit belegen, die ich sonst eventuell zeitlich nicht hätte unterbringen können. Dennoch war es auch eine sehr herausfordernde Zeit. Zwar kannte ich das Team von UNFPA bereits, aber der persönliche Kontakt fehlte mir doch. Arbeitszeiten waren weder gesetzlich noch institutionell geregelt und es wurde verstärkt über Zeitzonen hinweg gearbeitet, sodass oft erwartet wurde, außerhalb der normalen Arbeitszeiten und an Wochenenden erreichbar zu sein.
Freunde und Freundinnen sah ich kaum, nur ganz vereinzelt an der frischen Luft und mit Maske. Zwar durfte man irgendwann auch wieder bis zu zehn Personen treffen, allerdings schreckten die sozialen Medien mich dann doch ab, die zeigten, dass einige meiner Freunde auf Familienfeiern tanzten, sich mit politischen Gruppen trafen und auf Reisen gingen. Auch wenn es schwer fiel, traf ich sie konsequenterweise nicht und blieb bei Online-Treffen. Stattdessen unternahm ich mit meinem Partner Streifzüge durch die Parks und die Stadt. An meinem Geburtstag im September, als die Zahlen niedriger waren, wagten wir uns mit der Gondel auf den Hausberg Quitos und einmal fuhren wir mit dem Auto hinaus aufs Land, um ein Wochenende in der Natur zu genießen. So entdeckte ich viele neue Ecken in der Stadt, probierte die Lieferservices kleiner Restaurants und Läden aus und nahm mir an den Wochenenden Zeit, um mit Familie und Freunden weltweit in Kontakt zu bleiben. Sogar eine ganz neue Familientradition wurde eingeführt: Die sonntägliche Familienanrufe im größeren Kreise zwischen Biberach, München, Bern, Daressalam und Quito.
Obwohl Ecuador zu einer zweiten Heimat geworden ist, gibt es doch nichts, was an Weihnachten bei der Familie heranreicht, und so entschied ich, über die Feiertage nach Deutschland zu fliegen, um lang ersehnten persönlichen Kontakt nach einem Jahr voller Isolation nachzuholen und wieder Kraft zu tanken. Die Ungewissheit war groß, wie eine solche Reise stattfinden konnte. Und auch wenn die Kampagne #loveisnottourism den Erfolg verbuchen konnte, dass auch unverheiratete Partner und Partnerinnen von EUBürgern einreisen dürfen, so werden noch keine Visa erteilt und das Flughafenpersonal darf in seinem eigenen Ermessen entscheiden, wer am Ende das Flugzeug betreten darf. So durfte mein Partner, ein ecuadorianischer Staatsbürger, dem die Biberacher Weihnacht ans Herz gewachsen ist, mich nicht begleiten.
Nach Ausfüllen des Einreiseformulars, einem langen Zwischenstopp und vielen Maskenwechseln, der obligatorischen Quarantäne und einem negativen PCR-Testergebnis, habe ich es schließlich rechtzeitig für die Weihnachtsfeiertage nach Biberach geschafft. Dieses Jahr war alles anders, aber es war dennoch ein schönes Fest. Über einen Videoanruf kamen unsere Familie und mein Freund wie auch bei den sonst sonntäglichen Anrufen zusammen, um gemeinsam zu singen, die Weihnachtsgeschichte zu lesen und Geschenke auszupacken. Dank vieler engagierter Menschen und des wohlbekannten unterstützenden Miteinanders in Biberach, konnten wir auch das „Christkindle Ralassa“online anschauen – danke an dieser Stelle an alle, die sich auf verschiedenste Weise für andere in der Gesellschaft einsetzen, vor allem für die, welche schmerzhafte psychische und finanzielle Einschnitte hinnehmen müssen.
Denn das hat dieses Jahr trotz allem gezeigt: Es gibt viele Menschen, die zeigen, dass ein solidarisches und fürsorgliches Miteinander auch auf Abstand möglich ist. Sie haben sich mehr Zeit genommen, ihre Verwandten und Freunde anzurufen, Nachbarn zu helfen, anderen eine Freude zu machen und positive Veränderungen
ins Rollen zu bringen und es wurde in diesem Jahr auch besonders viel gespendet.
2021 ist ungewiss. Es ist unklar, wie die Welt aussehen wird, wenn ich meinen Rückflug in meine zweite Heimat antrete. Es ist unklar, wie mein Arbeitsverhältnis aussehen wird, da erst einmal geprüft werden muss, wie die Gelder bei meinem jetzigen Arbeitgeber geplant werden. Es ist unklar, wie lange wir unsere Kontakte werden beschränken müssen. Es ist unklar, wie die Impfungen verlaufen, und wie viele Menschen sich impfen lassen werden. Es ist unklar, wann wir wieder zu einer Art Alltag zurückkehren können. Was ich mir wünsche ist, dass die Solidarität anhält, sich verstärkt, wir wenn auch nicht physisch, dann doch emotional stärker zusammenrücken, wir mehr auf unsere Mitmenschen achten. Dass wir es beibehalten, ehrlich und interessiert nachzufragen, wie es anderen geht, ihnen zuhören und sie unterstützen, und nicht vergessen, uns gleichzeitig Zeit für uns