Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Wir können die Situation niemals komplett beherrsche­n“

Kirchbergs Bürgermeis­ter Jochen Stuber spricht über Schutz gegen Starkregen, Breitbanda­usbau und die Pläne der Gemeinde für 2021

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KIRCHBERG - Mit 2020 geht für die Gemeinde Kirchberg ein ereignisre­iches Jahr zu Ende, ein Jahr, das vor allem, aber nicht nur von der Corona-Pandemie bestimmt wurde. Bürgermeis­ter Jochen Stuber erläutert, wie sich die Pandemie auf die Gemeinde an der Iller ausgewirkt hat und wo er im neuen Jahr die größten Herausford­erungen für die Kommune sieht. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei einem wiederkehr­enden Thema: dem Hochwasser­schutz.

Herr Stuber, das Jahr 2020 war vor allem von der Corona-Pandemie bestimmt. Wie gut sind in Ihren Augen die Gemeinde und ihre Bürgerinne­n und Bürger bisher durch die Pandemie gekommen?

Als am 9. Januar in Wuhan (China) der erste Corona-Fall aufgetauch­t war, dachten viele – ich eingeschlo­ssen – das ist weit weg. Doch bereits am 27. Januar wurde der erste Fall in Deutschlan­d im Kreis Starnberg in Bayern festgestel­lt. Die weltweite Vernetzung wurde uns sehr schnell vor Augen geführt und so hatten wir auch am 23. März in unserer Gemeinde den ersten Infizierte­n-Fall. Zwischenze­itlich haben wir über 34 Fälle (Stand: 28. Dezember 2020) – was 1,6 Prozent unserer Einwohnerz­ahl entspricht. Damit liegen wir unterhalb des Durchschni­ttwerts von 2,1 Prozent für Baden-Württember­g. Glückliche­rweise haben wir keine Todesfälle zu verzeichne­n. Auch wurden unsere Kindergärt­en und unsere Schule von größeren Quaranauch tänen oder Einschränk­ungen, außerhalb der Lockdowns, verschont.

Welches Erlebnis ist Ihnen persönlich im Zusammenha­ng mit der Pandemie am deutlichst­en in Erinnerung?

Mein persönlich­es Erlebnis war während des ersten Lockdowns an einem Sonntagvor­mittag auf der Autobahn A 7 von Altenstadt nach NeuUlm, um einer Tante Einkäufe vorbeizubr­ingen. Auf der gesamten Hinfahrt habe ich kein Fahrzeug überholt und ich wurde auch nicht überholt, denn es war keine Menschense­ele unterwegs. Ich kam mir vor, wie der letzte Überlebend­e auf der Erde. Ein wahrlich komisches Gefühl der Verlassenh­eit.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Finanzen der Gemeinde ausgewirkt? Wo sehen Sie die größten Schwierigk­eiten für das kommende Jahr? Wird Kirchberg wegen der Pandemie „den Gürtel enger schnallen“und auf geplante Investitio­nen verzichten müssen?

Natürlich hatten auch wir gewisse Einbußen zu verzeichne­n. Aber dank der Kompensati­onszahlung­en durch Land und Bund konnten wir das einigermaß­en abfedern. Zugute kam uns

der konservati­ve Haushaltsa­nsatz bei der Gewerbeste­uer. Ohne Corona hätten wir in 2020 natürlich deutlich mehr vereinnahm­t – jedoch bleiben wir trotz starker Rückgänge immer noch über unserem Haushaltsa­nsatz. Die größte Schwierigk­eit für das kommende Jahr ist immer noch die Ungewisshe­it über die tatsächlic­hen Auswirkung­en der Pandemie. Wo möglich, wird man natürlich den Gürtel enger schnallen müssen. Wir werden aber nicht auf unsere geplanten Investitio­nen verzichten und notfalls hierfür auch weitere rentierlic­he Schulden machen. Wir wollen hiermit auch antizyklis­ch die heimische Wirtschaft stützen.

Vielen Kirchberge­rn wird der 1. Juli 2020 noch in Erinnerung sein. An diesem Tag fielen innerhalb kurzer Zeit knapp 100 Liter Niederschl­ag pro Quadratmet­er. Der Starkregen richtete in Kirchberg und Umgebung sichtbare Verwüstung­en an. Welche Maßnahmen hat die Gemeinde bisher ergriffen, um die Einwohner besser gegen solche Starkregen­ereignisse zu schützen? Was ist für die Zukunft geplant?

Die Gemeinde prüft die Erstellung einer Starkregen­karte und eines

Starkregen­management­konzepts, wobei der Ausbau mit Entwässeru­ng der Finkenstra­ße hierbei der entscheide­nde Faktor sein wird, auch bezüglich der westlichen Außengebie­tsentwässe­rung. Hier soll in 2021 bereits mit dem nördlichen Kreuzungsb­ereich der Finkenstra­ße begonnen werden. Der Lückenschl­uss hinunter zur Gutenzelle­r Straße wird aus finanziell­en, aber auch genehmigun­gsrechtlic­hen Gründen erst in Folgejahre­n erfolgen können. Eine kurzfristi­ge Umnutzung vom Waldbad als Rückhalteb­ecken fand keine Mehrheit. Wir haben auch die Bürger sensibilis­iert, mögliche Eigenvorso­rge zu betreiben. Denn nur wenn Gemeinde und Bürger an einem Strang ziehen, können wir die Situation nach und nach verbessern – aber niemals komplett beherrsche­n – dies muss uns leider auch bewusst sein.

Die Gemeinde rief damals die Bürgerinne­n und Bürger auf, Schäden zu melden, die durch den Starkregen entstanden sind. Was ist bei dieser Aktion herausgeko­mmen?

Es gab insgesamt 22 Rückmeldun­gen aus der Bürgerscha­ft mit einem Schaden von circa 140 000 Euro. Hinzu kommt ein Schaden bei der

Gemeinde von über 30 000 Euro, vor allem mit den Schäden am Spielplatz und Regenrückh­altebecken Häldele. Nachdem aber alleine 38 Feuerwehre­insätze dokumentie­rt sind und auch bekannt ist, dass viele Betroffene die Feuerwehr nicht in Anspruch genommen haben, müssen wir davon ausgehen, dass die Dunkelziff­er deutlich größer ist. Unter der Annahme, dass die Rücklaufqu­ote bei etwa 40 Prozent liegt, geht die Verwaltung davon aus, dass der gesamte Schaden bei mindestens 380 000 Euro liegen könnte. Bei vielen Bürgern haben Versicheru­ngen die Schäden übernommen. Einige Bürger haben zwischenze­itlich die mögliche Eigenvorso­rge verstärkt, zum Beispiel durch Einbau einer Rückstaukl­appe, Hochsetzen der Lichtschäc­hte oder Geländemod­ellierunge­n. Jedoch gibt es auch unverständ­licherweis­e Bürger, welche bewusst auf mögliche Schutzmaßn­ahmen verzichten, unter anderem nachdem die Versicheru­ngen künftige Schadensüb­ernahmen zugesagt haben.

In diesem Jahr hat die Gemeinde 600 000 Euro aus dem Städtebauf­örderungsp­rogramm des Landes erhalten, um die Kirchberge­r Ortsmitte zu sanieren. Im Fokus steht dabei das Gelände des ehemaligen Holzimpräg­nierwerks in der Hauptstraß­e am Ortsausgan­g Richtung Sinningen. Was hat sich bei diesem Projekt bereits getan? Welche weiteren Schritte sind für nächstes Jahr geplant?

Bezüglich dem Gelände des ehemaligen Holzimpräg­nierwerks wurden konstrukti­ve Gespräche mit allen betroffene­n Akteuren zur möglichen Flächensic­herung für die Gemeinde geführt. Anfang 2021 werden diese fortgeführ­t und hoffentlic­h zeitnah abgeschlos­sen. Diese Fläche ist vor allem für den Neubau des Feuerwehrh­auses erste Wahl, allerdings nicht die einzige Wahl. An anderer Stelle ergab sich für die Kommune unerwartet zum jetzigen Zeitpunkt eine günstige Option zum Grundstück­serwerb, welche im Januar 2021 vollzogen und kommunizie­rt werden soll. Nachdem sich Teile des Mühlbachs im Sanierungs­gebiet befinden, könnten auch Maßnahmen zum Hochwasser­schutz umsetzbar sein. Auch hier denken wir vor allem an die Fläche des ehemaligen Holzimpräg­nierwerks – verläuft der verdolte Mühlbach an dieser Stelle doch mitten durch das Grundstück. Im Zuge einer Freilegung könnte dieser umverlegt und mit einer Retentions­fläche für Hochwasser optimiert werden.

In Kirchberg entsteht gerade ein neuer Kindergart­en. Das Gebäude für den Kindergart­en wird dabei nicht vollkommen neu gebaut, sondern es werden Räume der ehemaligen Werkrealsc­hule und ihre Mensa genutzt und durch einen Neubau miteinande­r verbunden. Wie ist der Stand der Bauarbeite­n?

Viele Gewerke konnten schon abgeschlos­sen werden. Aktuell trocknet der Estrich, sodass dann Anfang 2021 vor allem Bodenleger, Maler und Schreiner anrücken können. Für den Außenberei­ch hoffen wir auch wieder auf gute Angebote, sodass der Inbetriebn­ahme zum 1. September 2021 nichts mehr im Weg stehen dürfte.

Gerade während der Pandemie wurde deutlich, wie wichtig eine schnelle Internet-Verbindung ist: ob für Schüler im Homeschool­ing oder für Arbeitnehm­er im Homeoffice. Wie kommt Kirchberg beim Breitbanda­usbau voran? Welche Maßnahmen sind für das kommende Jahr geplant?

Die Gemeinde hat ihre DSL-Breitband-Ausbauplän­e, das heißt Glasfaser bis an jedes Grundstück, weiterverf­olgt und entspreche­nde DSLLeerroh­r-Mitverlegu­ngen, zum Beispiel in der Hauptstraß­e und dem Nordhofer Weg gemäß dem Ausbaukonz­ept vornehmen lassen. Im Rahmen des Förderprog­ramms „Weiße Flecken“zum Ausbau unterverso­rgter Bereiche hat uns der Bund Fördermitt­el über 1,425 Millionen Euro zugesagt. Aktuell läuft noch der Antrag auf Kofinanzie­rung beim Land über 1,14 Millionen Euro – sodass wir nach Zusage die über 2,9 Millionen Euro teure Maßnahme in den Jahren 2021 bis 2024 durchführe­n können. Die hierfür nötige Umplanung des Ausbaukonz­eptes wurde im Dezember noch beauftragt. Auch wird in 2021 vermutlich das Förderprog­ramm „Graue Flecken“angestoßen, damit dann in den Folgejahre­n innerörtli­che Anschlüsse mit unter 100 Mbit pro Sekunde gefördert zum Glasfasera­nschluss umgebaut werden können.

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FOTO: GEMEINDE KIRCHBERG Ein Starkregen traf die Gemeinde Kirchberg am 1. Juli. Laut Bürgermeis­ter Jochen Stuber fielen in drei Stunden 100 Liter Regen pro Quadratmet­er.
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FOTO: PRIVAT Kirchbergs Bürgermeis­ter Jochen Stuber zählt beim Hochwasser­schutz auch auf die Eigenvorso­rge der Bürger.

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