Schwäbische Zeitung (Biberach)
Pflegekräfte hadern mit der Impfung
Dabei stammt jeder dritte Corona-Tote aus einem Pflegeheim – Welche Sorgen Beschäftigte haben
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LANDKREIS BIBERACH - Pflegekräfte gehören neben Heimbewohnern zu den ersten, die sich impfen lassen dürfen. Auch im Landkreis Biberach sind die Impfungen vergangene Woche gestartet. Doch offenbar plagen viele Pflegekräfte Zweifel, ob sie dieses Privileg wirklich nutzen wollen.
Sich gegen Covid-19 impfen lassen? Benjamin Robiller beantwortet diese Frage für sich mit „Ja“. Er ist Einrichtungs- und Pflegedienstleiter im Kirchdorfer Seniorenzentrum Rosenpark, das zum Träger Allgäustift mit Hauptsitz in Kempten gehört. Einerseits hat er im Seniorenzentrum viel Kontakt mit Pflegenden. Andererseits wünscht er sich eine Rückkehr zur Normalität, allein schon mit Blick auf seine Kinder, die durch den Shutdown vermehrt zu Hause sind. Zudem lebt er mit seinen Schwiegereltern in einem Haus, die ebenfalls zu einer Risikogruppe zählen. Er möchte ein Vorbild für seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sein, sagt er.
So entschlossen sind nicht alle Pflegekräfte. Viele hadern noch. Im Rosenpark sind 37 Menschen im Pflege-, Betreuungs- und im Hauswirtschaftsbereich beschäftigt. Zehn wollen sich impfen lassen, also nicht einmal jeder Dritte. „Die Bereitschaft zur Impfung bei unseren Mitarbeitern ist aufgrund aktuell vieler Unsicherheiten zur tatsächlichen Wirkung noch verhalten“, erklärt Allgäustift-Geschäftsführerin Yvonne Spöcker. Ein ähnliches Bild ergibt sich in den Charleston-Pflegeeinrichtungen in Biberach, Bad Schussenried und Warthausen. Laut einem Sprecher wollen sich etwa 40 Prozent der 235 in der Pflege beschäftigen Mitarbeiter bei erster Gelegenheit impfen lassen.
Nach Angaben der St.-ElisabethStiftung, sie und ihr Tochterunternehmen (St. Elisabeth gGmbH) betreiben unter anderem Heime in Biberach, den Umlandgemeinden, Ochsenhausen, Laupheim und Riedlingen, wollen sich je nach Einrichtung zwischen 25 und nahe 100 Prozent impfen lassen. Beim ebenfalls angefragten Bürgerheim in Biberach lag zunächst keine klare Einschätzung vor. Bundesweit wird derzeit berichtet, es gebe beim Pflegepersonal möglicherweise eine zu geringe Impfbereitschaft.
Außenstehende mag es verwundern, warum Pflegekräfte überhaupt zögern. Erleben sie doch aus nächster Nähe, welche Folgen ein CoronaAusbruch in Heimen mit sich bringen kann. Beispiele lassen sich auch im Kreis Biberach finden. In der stark vom Coronavirus getroffenen Einrichtung der St.-Elisabeth-Stiftung, dem Wohnpark am Jordanbad in Biberach, sind sechs Bewohnerinnen und Bewohner an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben (Stand 8. Januar).
Fast alle Bewohner und die Hälfte der Mitarbeiter hatten sich infiziert. „Wir haben selbst hautnah erlebt, was es bedeutet, wenn mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden mit einer Corona-Infektion ausfällt“, sagt Annette Köpfler, Leiterin der Altenhilfe der St.-Elisabeth-Stiftung. „Diese Gefahr wäre durch eine Impfung gebannt.“Die Bundeswehr hielt den Betrieb des Heims aufrecht.
Unter den mehr als 3500 bestätigten Coronafällen waren nach Angaben des Landratsamts Biberach 174 Menschen, die in Pflegeheimen lebten (Stand 7. Januar). Das klingt nach wenig Betroffenen. Doch von den 78 gemeldeten Toten in Zusammenhang mit Covid-19 sind mindestens 26 Menschen in Pflegeheimen im Kreis Biberach gestorben. Demnach stammt mindestens jeder dritte Corona-Tote aus einem Heim. Mindestens
deshalb, weil bei den verstorbenen Pflegeheimbewohnern diejenigen fehlen, die im Krankenhaus starben und zuvor in einem Pflegeheim lebten. Das kann das Landratsamt aus seiner Statistik nicht herauslesen. Insgesamt gibt es inklusive der ambulant betreuten Wohngemeinschaften 1600 Pflegeheimbewohner im Kreis Biberach. Somit hat sich bereits mehr als jeder zehnte von ihnen mit dem Virus angesteckt.
Die Gründe für die Zurückhaltung sind verschieden. „Es ist ein Irrglaube, dass jemand automatisch eine positive Einstellung zu Corona-Schutzmaßnahmen oder Impfungen hat, weil er oder sie in der Pflege arbeitet“, sagt Köpfler. „Ängste und Vorbehalte sind genauso verbreitet wie in der restlichen Bevölkerung.“Auf Anfrage schildern die Einrichtungen, dass sich Beschäftigte wegen schwerer Nebenwirkungen, der vergleichsweise schnellen Entwicklung oder der Neuartigkeit der mRNA-Impfstoffe fürchten. Teilweise fühlen sie sich als Versuchskaninchen. „Auch ist die Sorge gerade bei jungen Mitarbeiterinnen groß, dass die Fruchtbarkeit reduziert wird“, sagt Yvonne Spöcker. Vergleiche zum damaligen Medikament Contergan würden herangezogen. Ein Sprecher der Charleston-Einrichtungen möchte nicht von einer grundsätzlichen Ablehnung der Impfung sprechen, stattdessen wollten viele erst einmal abwarten: „Generell stellen wir auch fest, dass die Impfbereitschaft mit zunehmendem Alter steigt.“
Bei den zugelassenen Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna traten in der Phase-3-Studie ähnliche Nebenwirkungen wie bei anderen Impfungen auch auf. Im Allgemeinen waren sie schwach bis mäßig und klangen nach kurzer Zeit ab. „Der Nutzen einer Impfung überwiegt jedoch bei Weitem die Risiken“, heißt es seitens des Robert-Koch-Instituts. Ein Impfstoff werde erst nach ausreichender Überprüfung auf den Markt gebracht. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) empfiehlt den Pflegekräften, soweit nicht persönliche Gesundheitsrisiken dagegen sprechen, sich impfen zu lassen. Eine Impfpflicht soll es nicht geben. „Es ist wichtig, durch gezielte Informationen die Impfbereitschaft auch in den Gesundheitsberufen zu erhöhen“, so die Präsidentin Christel Bienstein.
Dem wollen die angefragten Pflegeheime auch nachkommen. „Unsere Einrichtungsleitungen gehen mit den Mitarbeitern in das persönliche Gespräch, hören zu, klären auf, stellen Informationsmaterial zur Verfügung und stellen auch die Wichtigkeit dieser Impfungen für die Bekämpfung der Pandemie heraus“, erläutert zum Beispiel der Charleston-Sprecher. Mitarbeiter, die sich später oder gar nicht impfen lassen wollen, müssten keine beruflichen Konsequenzen fürchten. Das sieht auch Yvonne Spöcker so: „Jeder Mitarbeiter muss für sich selber entscheiden dürfen.“Die St.-Elisabeth-Stiftung geht davon aus, dass sich am Ende die Mehrzahl impfen lässt. Köpfler: „Wenn die Impfungen erfolgt sind, werden wir die Situation neu analysieren.“
Einige Beschäftigte der Allgäustift-Einrichtungen in Bayern hatten schon die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. „Es gibt kaum Impfreaktionen, die Impfung wird weitestgehend gut vertragen von Bewohnern sowie von Mitarbeitern“, berichtet Geschäftsführerin Spöcker. In den kommenden Wochen wird es vor allem darauf ankommen, wie aufgeklärt und gut informiert sich Pflegekräfte fühlen. Und ob die Skeptiker ihre Einstellung, eine Virusinfektion sei nicht so schlimm wie eventuelle Spätfolgen einer Impfung, überwinden können. Entscheidend dazu beitragen wird auch, was Impfwillige wie Benjamin Robiller nach dem Piks im Kollegenund Bekanntenkreis berichten.
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