Schwäbische Zeitung (Biberach)
Sonnenkönige unter Vertuschungsverdacht
Hitzlsperger und Teile des VfB-Präsidiums sollen Aufklärung der Datenaffäre behindert haben
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STUTTGART - Bereits einen Tag vor Silvester zündete Thomas Hitzlsperger eine Rakete. Er, der Vorstandsvorsitzende der VfB Stuttgart AG, werde bei der Wahl im März gegen den amtierenden Präsidenten des Gesamtvereins, Claus Vogt, antreten. Das verkündete der Ex-Profi am 30. Dezember – und brachte damit auf einen Schlag das in der Öffentlichkeit gerne gepflegte Bild des mittlerweile in ruhigem Fahrwasser befindlichen VfB gehörig ins Wanken.
Denn der Donnerschlag war nur der erste von vielen, die den VfB seitdem erschüttern. Allein in dieser Woche wurden zwei weitere Vorgänge publik, die die Fans auf die Palme und die Clubführung in arge Bedrängnis bringen. Am Montag kündigte der Vereinsbeirat an, zusätzlich zu Vogt, Hitzlsperger und dem dritten Bewerber, Volker Zeh, mit einem PersonalDienstleister weitere Kandidaten für die Präsidentschaftswahl am 18. März zu suchen. Offenbar hatte der Verein deshalb auch schon bei Christian Riethmüller angeklopft. Das bestätigte der Geschäftsführer der Tübinger Buchhandelskette „Osiander“bei
Twitter. Bei der Wahl 2019 war Riethmüller Vogt mit knapp 300 Stimmen unterlegen, nun sollte er offenbar helfen, diesen zu stürzen.
Doch Riethmüller lehnte ab, stellt sich klar hinter seinen ehemaligen Konkurrenten Vogt: „Frechheit vom VfB-Vereinsbeirat. Anstatt uns Mitgliedern die Chance zu geben, den amtierenden, gewählten Präsidenten Claus Vogt wieder zu wählen, darf jetzt eine Personalagentur den zukünftigen Präsidenten aufstellen?“, schreibt der Buchhändler auf Twitter und ergänzt in Anlehnung an ein Protestplakat der Fans in der Canstatter Kurve am vergangenen Samstag: „Sonnenkönig 3.0! Hat der Vereinsbeirat einen Schatten?“Etwas sachlicher argumentiert Riethmüller in einem offenen Brief, den er gemeinsam mit Susanne Schosser und Martin Bizer, die 2019 ebenfalls zu den vier verbliebenen Bewerbern für das Präsidentenamt zählten, verfasst und an die Führungsebenen des Vereins und der AG gesendet hat. „Wir sorgen uns um die Zukunft unseres Herzensvereins“, heißt es in dem dreiseitigen Schreiben.
So wie den ehemaligen Präsidentschaftsanwärtern geht es aktuell vielen Anhängern des VfB Stuttgart. Immer lauter wird die Kritik an Präsidium und Vereinsbeirat. Neue Dimension hat der Ärger angenommen, nachdem die „Stuttgarter Zeitung“am späten Dienstagabend einen Artikel auf ihrer Homepage veröffentlichte, in dem sie aus Zwischenberichten der Berliner Kanzlei Esecon zitiert. Esecon war von Claus Vogt beauftragt worden, die Datenaffäre aufzuklären, nachdem der Verein zwischen 2016 und 2018 mehr als 40 000 Mitgliederdaten weitergegeben haben soll, um verdeckt Stimmung für eine Ausgliederung der Profi-Abteilung aus dem Verein zu machen.
Eigentlich sollte der Abschlussbericht erst Anfang Februar vorliegen, doch schon jetzt ist klar, dass das VfB-Präsidium und der Clubvorstand nicht gut wegkommen werden. Schließlich gebe es „umfangreiche Anhaltspunkte“dafür, dass tatsächlich Daten weitergegeben wurden. „Es ist davon auszugehen, dass der Verein in Vorbereitung auf die Mitgliederversammlung zur Ausgliederung zu Mitteln gegriffen hat, die im Sinne von Transparenz und Ethik sicherlich durch die Mitglieder beanstandet werden können“, zitiert die
„Stuttgarter Zeitung“aus dem Zwischenbericht.
Zudem bemängeln die Ermittler gleich an mehreren Stellen die Bereitschaft der Verantwortungsträger, bei der Aufklärung mitzuhelfen. „Der Vorstand der AG sowie Teile des Präsidiums hätten versucht, gegen den erklärten Willen des Präsidenten, das juristische Mandat der die Vorwürfe untersuchenden Rechtsanwaltsgesellschaft zu beenden“, heißt es. Auch Vorstandschef Thomas Hitzlsperger soll Einfluss genommen haben. Aus dem Esecon-Zwischenbericht geht hervor, dass er es abgelehnt haben soll, zwei beschuldigten Mitarbeitern die IT-Zugänge zu entziehen, „um Manipulationen nachweisbar auszuschließen“.
Weder die VfB-Geschäftsstelle noch Präsidiumsmitglied Rainer Mutschler (der Bad Saulgauer und Ex-Marketingchef des DEL2-Clubs Ravensburg Towerstars zählt zu den Beschuldigten) haben am Mittwoch auf eine Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“reagiert. Der Abschlussbericht der Berliner Kanzlei wird Anfang Februar erwartet. Bis dahin ist in der Stuttgarter Mercedesstraße mit weiteren Böllerschlägen zu rechnen.