Schwäbische Zeitung (Biberach)
Scharfe Kritik an Südwest-Impfstrategie
Koalitionspartner CDU mit Seitenhieb auf Grünen-Minister Lucha – Kretschmann verteidigt Krisenmanagement
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STUTTGART (lsw) - Chaos oder Krisenmanagement mit Augenmaß? Darüber waren sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und die Oppositionsfraktionen im Stuttgarter Landtag am Donnerstag naturgemäß uneins. Die Debatte im Überblick.
Infektionslage: Kretschmann verkündete: ● „Der Lockdown wirkt. Unsere Anstrengungen zahlen sich aus.“Dies sei ein sehr wichtiges Signal. Aber: Die neuen Virusvarianten aus Großbritannien und Südafrika könnten die Lage wieder verschärfen. „Die Mutationen sind sehr viel ansteckender als das bisherige Coronavirus.“Die Angaben der Experten schwankten zwischen 30 und 70 Prozent. Es sei keine Frage, „ob sie sich verbreiten, sondern wann und wie stark“. Deshalb müsse der Lockdown bis 14. Februar fortgesetzt werden. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke warnte vor dauerhaften Freiheitsbeschränkungen. Die nächtlichen Ausgangssperren etwa seien unverhältnismäßig, sagte er. CDU-Fraktionschef Reinhart warf die Frage auf, ob man die Schraube immer fester ziehen könne. Fast alle AfD-Abgeordneten weigerten sich im Plenum eine Maske zu tragen.
Schule: Es werde nur eine schrittweise ● Öffnung bei den Grundschulen geben, sagte Kretschmann. Höchstens die Hälfte einer Klasse könne zur selben Zeit unterrichtet werden. Die Winterferien vom 15. Februar an werde man nutzen, um das Infektionsgeschehen zu überprüfen. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz ergänzte, zunächst würden die ersten und zweiten Klassen im Wechselunterricht wieder beginnen. FDP und SPD monierten, das nun von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) angeforderte Konzept hätte längst erarbeitet werden müssen. FDP-Fraktionschef Rülke äußerte den Verdacht, die Spitze des Ministeriums sei in „Kurzarbeit“.
Der Ministerpräsident erklärte, er habe sich intensiv von Virologen, Epidemiologen sowie Kinder- und Jugendärzten beraten lassen, ob man Kitas und Grundschulen öffnen könne. Sie seien keine „Treiber“des Infektionsgeschehens. Je länger der Lockdown dauere, desto mehr litten die Kleinsten. „Sie brauchen andere Kinder wie der Fisch das Wasser.“Er warb auch persönlich um Vertrauen für seine Entscheidung: „Ich habe ja den Beruf des Lehrers nicht zufällig ergriffen. Deswegen wiege ich hier auch nicht mit der Viehwaage, sondern mit der Goldwaage.“Kretschmann sieht sich damit auf einer Linie mit seiner Kultusministerin, die seit Wochen massiv für eine Öffnung der Schulen wirbt. Eisenmann und er lägen auch nicht weit auseinander in der Beurteilung der Sache, sagte Kretschmann. Die Kultusministerin selbst trat am Donnerstag nicht ans Rednerpult.
Impfen: Zum wiederholten Mal ● hielt die Opposition der Regierung vor, Baden-Württemberg liege beim Impfen in der Rangliste der Länder auf dem letzten Platz. „Lucha ist der FC Tasmania 1900 des Impfens“, spottete FDP-Fraktionschef Rülke in Anspielung auf den Verein, der den Sieglos-Rekord der Fußball-Bundesliga hält. Er forderte Kretschmann auf, Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) die Koordination für die Impfkampagne zu entziehen. Auch CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart konnte sich Seitenhiebe auf Lucha nicht verkneifen. „Ganz unten in der Bundesliga wollen wir nicht liegen.“Und: „Wir vertrauen jetzt auf eine steile Lernkurve.“
Kretschmann hielt dagegen. BadenWürttemberg setze auf Sicherheit und Verantwortung, indem das Land die Hälfte der verfügbaren Impfdosen für die zweite Impfung zurückhalte, während andere Länder einen größeren Teil des Impfstoffs sofort verimpften. „Wir liegen da ganz richtig.“Bei der Zahl der Menschen mit Zweitimpfung liege Baden-Württemberg auf Platz eins. Er wolle aber nicht behaupten, dass es reibungslos laufe. Kretschmann nannte Fehlbuchungen, falsche Dateneingaben und Probleme mit der Hotline. Eine Impfkampagne sei aber kein „Windhundrennen“, sagte er.
Homeoffice: Regierungschef ●
Kretschmann verteidigte die neue Maßnahme, um mehr Menschen zum Arbeiten von zu Hause anzuhalten. „Da, wo Homeoffice möglich ist, müssen die Arbeitgeber ihren Beschäftigten dies gewähren.“Aus der Verordnung des Bundesarbeitsministeriums entstehe kein Klagerecht oder gar ein Anrecht auf Homeoffice für den Arbeitnehmer, sagte Kretschmann. Die Unternehmen müssten sich lediglich gegenüber den Behörden erklären. „Das ist nicht mehr als ein gewisses Druckmittel, damit die Wirtschaft das auch macht.“AfD-Fraktionschef Bernd Gögel und Rülke bezeichneten die Verordnung aus dem Bundesarbeitsministerium hingegen als „Bürokratiemonster“.