Schwäbische Zeitung (Biberach)
Was kommt Ihnen im Bildungsbereich noch zu kurz?
STUTTGART - Susanne Eisenmann ist in einer schwierigen Lage. Als Kultusministerin ist sie für mehr als eine Million Schüler zuständig. In der Corona-Pandemie hieß das bisher: Schulen schließen, Konzepte entwickeln, Digitalunterricht organisieren. Als Spitzenkandidatin der CDU soll sie gleichzeitig Wahlkampf machen. Kara Ballarin, Theresa Gnann und Hendrik Groth haben sie gefragt, wie sie auf die Landtagswahl blickt.
Frau Eisenmann, ist es ein Fluch, als Spitzenkandidatin einer Landtagswahl ausgerechnet das Kultusministerium zu verantworten?
Warum sollte es ein Fluch sein? In diesem Amt kann ich zeigen, dass ich Verantwortung übernehme. Als Kultusministerin habe ich einen Jahresetat von knapp 13 Milliarden Euro. Das ist der größte Einzeletat des Landes. Bildung ist Ländersache und hat bisher in jeder Landtagswahl eine sehr wichtige Rolle gespielt. Natürlich treffen bei den Schulthemen viele verschiedene Meinungen aufeinander, da werden Sie es nie allen recht machen können. Bildungspolitik heißt deshalb immer abwägen.
Erst stand der 11. Januar im Raum, dann der 18. Glauben Sie daran, dass am 1. Februar Grundschulen und Kitas zumindest schrittweise öffnen?
Ich kämpfe dafür. Mir geht es darum, dass Kinder und ihre Eltern nicht zu Verlierern dieser Pandemie werden. Und ich wundere mich, mit welcher Lässigkeit zum Teil darüber hinweggegangen wird. Ich frage mich: Wo ist die Stimme für die, die konkrete Unterstützung brauchen? Wo ist die Stimme für die Kinder? Wir haben die Pflicht, auch auf Kinderärzte zu hören.
Aber wenn sich herausstellt, dass die Schulen eben doch nicht geöffnet werden, ist das dann nicht ein Elfmeter für Ihre Gegner?
Wir spielen hier doch kein Fußball. Hier geht es auch nicht um mich oder Wahlkampf. Ich setze mich aus voller Überzeugung dafür ein, dass wir Kindern und deren Eltern auch in diesen schwierigen Zeiten eine Perspektive bieten. Weil ich aus dem ersten Lockdown vom Frühjahr etwas gelernt habe und die Einschätzungen von Kindermedizinern und Kinderpsychologen sehr ernst nehme. Damals haben sich alle geschworen, Kitas und Schulen nie mehr zu schließen. Ich wundere mich, wie wenige sich daran erinnern. Natürlich haben wir eine schwierige Corona-Situation, und ich stehe hinter diesem Lockdown. Aber wir sollten uns ein bisschen mehr Differenzierung zutrauen. Sonst müssen wir uns hinterher anschauen, welche Schäden wir bei den jungen Menschen angerichtet haben.
Sie und Winfried Kretschmann hatten sich darauf verständigt, keinen Corona-Wahlkampf zu führen. Sehen wir aber nicht genau das jetzt beim Streit um Schulöffnungen und um Verschärfung der Maßnahmen?
Keinen Corona-Wahlkampf zu machen heißt ja nicht, dass wir als CDU alles akzeptieren, was ein
Einzelner vorschlägt. Wir leben in einer Demokratie und wir sind uns absolut einig, dass der Lockdown verlängert werden muss, bis die Infektionszahlen deutlich sinken. Aber in der Frage, wie wir dabei vorgehen – zum Beispiel, ob wir Kindern einen höheren Stellenwert zukommen lassen oder ob wir auch Click-and-Collect für die Händler vor Ort ermöglichen, hat nichts mit Wahlkampf zu tun, sondern mit dem Ringen um den besten Weg. Gerade in einer Zeit, in der wir viele Grundrechte einschränken, halte ich das für besonders wichtig.
Der Wahlkampf wird voraussichtlich vor allem digital stattfinden. Fürchten Sie, dadurch nicht so gut an die Menschen heranzukommen?
Unsere Digitalformate funktionieren gut. Bei „Eisenmann will’s wissen – Digital“haben wir durchschnittlich 250 bis 300 Teilnehmer. Vieles hat sich durch die Pandemie ins Digitale verlagert, die Leute
● gehen damit um. Und zwar nicht nur die Jungen. Auch mein 85-jähriger Vater ruft inzwischen über Skype an. Vor einem Jahr wäre das unvorstellbar gewesen, da wäre er einfach vorbeigekommen. Natürlich führen wir in diesem Jahr einen völlig anderen Wahlkampf, aber das geht allen so. Zum Teil erreichen wir jetzt Menschen, die eher nicht zu einer Präsenzveranstaltung der CDU gekommen wären und nun anonym zuhören können.
Im Wahlprogramm, über das die CDU bei ihrem Parteitag am Samstag entscheiden wird, heißt es im Bildungsbereich vor allem „Weiter so“. Kann es sich das Land auf Dauer leisten, so viele Ressourcen in ein so zergliedertes Schulsystem, wie es in BadenWürttemberg existiert, zu stecken?
Eine Vereinheitlichung halte ich für falsch. Wir sind nun einmal nicht alle gleich. Es gibt in Klasse 1 Kinder, die können schon lesen. In der gleichen Klasse sitzen Kinder, die können noch nicht einmal einen Stift halten. Die Bildungsbiografien sind unterschiedlich. In unserer differenzierten Gesellschaft halte ich dieses differenzierte Schulsystem deshalb für das modernste, das man haben kann. Entscheidend ist dabei, dass eine hohe Durchlässigkeit besteht und dass kein Bereich über dem anderen steht.
Die CDU spricht sich für multiprofessionelle Teams an Schulen aus und dafür, Schulen unterschiedlich auszustatten, je nach sozialer Zusammensetzung ihrer Schüler. Ist das eine Vergrünung oder Sozialdemokratisierung der CDU?
Wieso? Als ich das Ministerium 2016 von meinem SPD-Vorgänger übernommen habe, lag dazu kein Konzept in den Schubladen. Richtig ist, dass wir als CDU mit multiprofessionellen Teams dafür sorgen wollen, dass neben den Lehrern auch etwa Schulpsychologen,
Schulsozialarbeiter oder Erzieher an der
Schule sind, um mit den Schülern zu arbeiten.
Damit tragen wir der Heterogenität der Schüler Rechnung und orientieren uns dabei an der Wissenschaft. International ist das inzwischen Standard.
Corona, dass immer mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten. Dadurch ändert sich auch das StadtLand-Gefüge. Wir müssen sicher noch mehr machen in Sachen Glasfaserausbau. Viele Menschen machen auch davon abhängig, wo sie sich niederlassen. Und wo Menschen sind, da ist auch Leben. Die starke Dezentralität, die wir haben, muss erhalten bleiben. Wenn man so durch das Land schaut, findet man überall kleinere oder mittlere Unternehmen, die zum Teil Weltmarktführer in ihren Branchen sind. Daneben gibt es an vielen Standorten berufliche Schulzentren, Ableger von Universitäten oder Forschungseinrichtungen. Das gibt es in Bayern in dieser Breite zum Beispiel nicht. Das müssen wir weiter stärken. Das Gleiche gilt für die medizinische Versorgung. Dass wir bei aller berechtigter Spezialisierung immer noch eine gewisse Dezentralität haben bei den Krankenhäusern, hat uns in der Pandemie geholfen.
LANDTAGSWAHLEN
2021
Gesellschaftlich gibt es eine hohe Fixierung auf das Abitur und das Hochschulstudium. Dabei sind akademische und berufliche Bildung absolut gleichwertig. Wir müssen deshalb handeln, um das auch wieder stärker abzubilden. Nicht nur, weil wir gut ausgebildete Fachkräfte brauchen, sondern auch, weil die berufliche Ausbildung für viele junge Menschen eine tolle Perspektive bietet. Ein Studium ist in Baden-Württemberg kostenlos. Wer aber zum Beispiel seinen Meister im Handwerk macht, bekommt auf unsere Initiative hin zwar eine Meisterprämie, die Kosten für die Ausbildung zahlt sie oder er aber selbst. Hier müssen wir aus meiner Sicht ansetzen. Ich setze mich dafür ein, die Meisterausbildung kostenlos zu machen.
Hätten Sie sich einen Wahlkämpfer Friedrich Merz an Ihrer Seite als Bundesvorsitzenden gewünscht für die Landtagswahl?
Das ist kein Geheimnis. Viele Menschen in Baden-Württemberg, auch viele Nicht-CDU-Mitglieder, haben sich aufgrund seines wirtschaftspolitischen Profils und einer stärkeren Erkennbarkeit der CDU zugunsten von Friedrich Merz ausgesprochen. Aber wir können mit Armin Laschet als Parteichef sehr gut leben. Es war ein fairer Wettstreit dreier toller Kandidaten, der der CDU nicht geschadet hat. Jetzt geht es darum, in diesem herausfordernden Jahr gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Die CDU ringt mit ihrer Standortbestimmung. Im Familienstärkungspapier des CDU-Landesvorstands heißt es: „Ehe und Familie sind für uns ein Wert an sich – unabhängig von ihren verschiedenen Formen.“Was bedeutet für Sie in der heutigen Zeit, konservativ zu sein?
Schauen wir uns Jens Spahn an: ein junger Konservativer mit klaren Werten, einer homosexuellen Orientierung und einer modernen Vorstellung unserer Gesellschaft. Er genießt hohe Beliebtheitswerte in der Bevölkerung, und er ist mit seinem Profil sehr geschätzt in der Partei. Das zeigt doch, dass die CDU weniger Vorurteile hat, als man ihr immer unterstellt. Die CDU hat sich entwickelt, was aber auch dringend notwendig war. Wir können als CDU nicht Antworten geben auf Fragen, die keiner mehr stellt. Das war eine ganze Weile unser Problem. Das hat sich aber geändert.
Wie wollen Sie in den kommenden Jahren sicherstellen, dass der ländliche Raum stark bleibt?
Das Thema gleichwertige Lebensverhältnisse wird an Bedeutung zunehmen. Wir sehen ja durch