Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wie sich die Musikbranche verändert
Tobias Schödl und Andreas Fabritius sprechen über ihr Berufsleben in Zeiten der Krise
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STUTTGART/KÖLN/BIBERACH - Ein Leben ohne Kunst und Kultur, noch vor der Corona-Pandemie war das kaum vorstellbar. Die Musik- und Veranstaltungsbranche leidet stark unter dem Lockdown und den aktuellen Corona-Beschränkungen. Seit Monaten gibt es weder Partys noch Konzerte oder andere Liveveranstaltungen. Die Clubs sind geschlossen, nicht alle werden die Krise überleben. Viele Soloselbstständige sehen sich bereits nach anderen Jobs um, keiner weiß, was die Zukunft bringt. Die Musikbranche wird sich verändern. Das spüren auch zwei Biberacher, die vor einigen Jahren nach Stuttgart und Köln gezogen sind, um sich ganz der Musik zu widmen. Tobias Schödl ist DJ, Booker und Tourmanager. Andreas Fabritius ist Musikproduzent.
„Die komplette Livebranche steht nun seit mehr als einem Jahr still“, sagt Tobias Schödl. Er ist Booker und Tourmanager bei einer bekannten Booking-Agentur in Stuttgart. Zusätzlich arbeitet er als DJ und Musikproduzent in seinem eigenen Studio. Die Zeiten sind hart. Normalerweise tourt der 40-Jährige um diese Zeit mit bekannten Künstlern durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Er würde die anstehende Festivalsaison vorbereiten und in seiner freien Zeit selbst als DJ auf Tour gehen. In der Vergangenheit hatte er weltweit Auftritte, unter anderem in den USA, Paris und London. Wäre die Corona-Krise nicht gekommen, hätte als Nächstes Asien auf dem Plan gestanden. „Dieses Leben fehlt mir extrem, ich war es immer gewohnt, nachts zu leben, und überall von Musik umgeben zu sein“, sagt Tobias Schödl, der in der Szene unter dem Namen Trve Hill bekannt ist.
Vor sieben Monaten haben er und seine Freundin eine Tochter bekommen. „Hätte ich jetzt kein Baby, um das ich mich kümmern kann, würde das alles psychisch ganz schön an mir nagen“, erzählt der gebürtige Biberacher. Aus Sorge um seine berufliche Zukunft in der Musikbranche hat er sich bereits vor ein paar Monaten einen Nebenjob im Krankenhaus gesucht. „Ich muss meine finanzielle Zukunft absichern, keiner weiß, wie und vor allem wann es weitergeht. Da schwingt eine große Unsicherheit mit.“Dennoch hat er die Hoffnung, dass irgendwann alles wieder so wird wie früher: „Ein Lichtblick ist da auf jeden Fall die Impfung“, sagt Tobias Schödl. Dennoch glaubt er nicht, dass es 2021 noch Konzerte oder gar ein Nachtleben geben wird.
Aber die Musikbranche steht dennoch nicht still. Vieles läuft jetzt online ab, in Videospielen oder auch im Film-, Serien- und Werbebereich. Und genau da ist der Musikproduzent Andreas Fabritius zu Hause. 2008 ist der 41Jährige von Biberach nach Köln gezogen, um sich hauptberuflich der Musik zu widmen. „Ich wollte einfach Kontakte im musikalischen Bereich knüpfen“, erzählt er. Ursprünglich hat er im Hip-Hop-Bereich angefangen und Beats für Rapkünstler produziert, mittlerweile kreiert er Musik für große Firmen, die exklusive Kompositionen für ihre Werbe- oder Imagefilme in Auftrag geben, oder auch für Agenturen, die im TV- und Medienbereich tätig sind. So komponierte Andreas Fabritius bereits unter anderem Musik für Werbespots von BMW, Mercedes und Porsche, aber auch schon für Firmen aus seiner Heimat wie Liebherr, Handtmann und Südpack.
Ihre musikalischen Anfänge hatten Andreas Fabritius und Tobias Schödl in jungen Jahren gemeinsam in Biberach. Im Jahr 1997 gründeten sie zusammen mit Dirk Klippel die HipHop-Gruppe „Der Reimkeim“. „Damals
habe ich angefangen, erstmals Beats für unsere eigene Gruppe zu produzieren und Texte zu schreiben mit Tobi als DJ“, erzählt Andreas Fabritius. Und beide haben ihre Leidenschaft später zum Beruf gemacht.
Gleich zu Beginn seiner Zeit in Köln startete Andreas Fabritius in der Bild- und Tonfabrik (btf) von Philipp Käßbohrer, ebenfalls aus Biberach, und Matthias Murmann. Damals leitete er die Produktion der Sendung „Roche & Böhmermann“musikalisch und tontechnisch. „Ich hatte hier nochmals andere Einblicke in die Musikbranche. Es dreht sich nicht alles um Künstler und Musiker, die Branche bietet viel mehr als das“, erzählt Andreas Fabritius. „Ich fand es interessant, auch andere Musik zu machen wie zum Beispiel für Filme und Bewegtbild oder auch Image-, Produktfilme und Werbung. Deshalb habe ich mich dann ganz auf meine eigene Firma Score Squad und diese Art Musik konzentriert.“
An den Beginn der Corona-Krise vor circa einem Jahr erinnert sich der Musikproduzent noch genau. „Plötzlich wurden einige Aufträge gecancelt, vor allem im Bereich Film. Die Drehs wurden auf unbekannte Zeit verschoben. Das war dann kurz schon ein Schock, weil ich nicht wusste, wo die Reise hingeht.“
Glücklicherweise hatte sich Andreas Fabritius neben der Auftragsarbeit noch ein weiteres Standbein geschaffen. „Ich produziere Musik für Soundtaxi, eine der größten OnlinePlattformen, wenn es um gemafreie Musik geht.“Dort können sich Kunden für ihre Projekte in verschiedenen Bereich wie für TV, Film, Messen, Online oder auch YouTube Musik lizenzieren und müssen keine extra GemaGebühren sagt Tobias Schödl, Tourmanager
und DJ aus Biberach.
bezahlen. „Das Geschäft mit der Library-Musik läuft ganz gut“, sagt Andreas Fabritius. „Außerdem kann ich dafür auch immer arbeiten und mir die Zeit frei einteilen.“Er musste auch in der Corona-Zeit in Neuerungen investieren. „Trotz Krisenzeiten musste ich in die Zukunft blicken und neue Projekte auf den Weg bringen, auch wenn zeitweise weniger Aufträge vorlagen.” Nach ein paar Monaten hatte sich die Auftragslage aber wieder einigermaßen stabilisiert. „Auch wenn Ende 2020 alles wieder relativ normal lief, stehen wir immer noch vor großen Veränderungen und werden uns noch lange mit den Nachwirkungen auseinandersetzen müssen“, sagt Andreas Fabritius.
Ähnlich sieht das auch Tobias Schödl: „Ich hoffe sehr, dass es bald wieder Touren, Konzerte und Partys gibt“, sagt der DJ. „Ich wusste das Privileg, das ich habe, zum Glück immer zu schätzen. Musik zu machen, damit zu reisen und dann auch noch Geld dabei zu verdienen, ist einfach ein Traum.“Bis es so weit ist, dass all dies wieder möglich ist, tut sich in der Musikbranche dennoch viel. „Klar, wir stellen auch auf digitale Strukturen um und überlegen uns unter anderem neue Streaming-Formate und sonstige coronakonforme Möglichkeiten. Die Leute warten ja auch drauf, neue Musik zu hören.“
Zu den aktuellen Überlegungen gehören auch sogenannte Picknick-Konzerte. „Wir haben alle einen unglaublichen Tatendrang und wollen das, was wir lieben, auch nach draußen bringen.“Aber die Lage habe sich total verändert. „Wir müssen die Kids jetzt zu Hause abholen. Möglicherweise über Musik in Videospielen und über Video- und Musikstreaming.“Der Branche stehe eine spannende Zeit bevor. „Gerade im Party- und Clubkontext fangen wir jetzt wieder bei null an, die Reset-Taste ist gedrückt. Es ist eine gute Zeit, um zu experimentieren und dann sehen wir, wie es weitergeht.“
„Im Party- und Clubkontext fangen wir jetzt wieder bei null an, die Reset-Taste
ist gedrückt“,