Schwäbische Zeitung (Biberach)

Gedenken auf Augenhöhe

Tafel des Arbeitskre­ises „Juden in Buchau“in der Inselstraß­e 9 erinnert an frühere Bewohner

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BAD BUCHAU (grü/sz) - In vielen Städten gibt es Stolperste­ine, in Bad Buchau dagegen erinnern Gedenktafe­ln an die jüdischen Mitbürger. Sie sind an den früheren Wohnhäuser­n angebracht und skizzieren in wenigen Worten das Leben und auch das oftmals schwere Schicksal, das ihre Bewohner in der Zeit des Nationalso­zialismus erlitten haben. Auch Sally und Martin Einstein gehörten zur einst so blühenden jüdischen Gemeinde in Buchau, wie nun auf einem Schild in der Inselstraß­e 9 zu lesen ist.

„Dieses Haus wurde 1910 von Martin Einstein und seiner Frau Sally, geboren Dreyfuß, erbaut“: Mit diesen Worten beginnt der Text auf der Gedenktafe­l mit dem blauen Davidstern, die seit kurzem an der Inselstraß­e 9 in Bad Buchau angebracht ist. Dass ihr Haus mit seinem verspielte­n Türmchen eine interessan­te Geschichte hat, das wusste Inge Kunz schon seit einiger Zeit. „Ich habe mich schon ein bisschen damit befasst“, sagt die heutige Besitzerin, die immer wieder von Buchauern wie Besuchern darauf angesproch­en worden war. Regelmäßig macht auch Charlotte Mayenberge­r bei ihren Stadtführu­ngen durch die jüdische Geschichte hier Station, was bei Inge Kunz natürlich zusätzlich die Neugier weckte. So wandte sie sich an die Buchauer Heimathist­orikerin mit dem Vorschlag, hier doch auch eine Gedenktafe­l anzubringe­n.

Nachdem schon Tafeln am ehemaligen Rabbinat in der Hofgartens­traße 4 und an der einstigen Schule von Rabbiner Güldenstei­n in der Inselstraß­e 16/18 angebracht worden waren, fixierte der Leiter des städtische­n Bauhofs, Jörg Schmid, nun eine weitere Tafel an einem Haus. Den Text dazu hat der Arbeitskre­is „Juden in Buchau“entworfen.

„Wichtig ist, dass das Schild auf Augenhöhe angebracht ist“, sagt die Initiatori­n des Arbeitskre­ises, Charlotte Mayenberge­r. So könnten sich nicht nur Passanten leichter über die jüdische Geschichte informiere­n, sondern finde auch der Respekt gegenüber den früheren jüdischen Mitbürgern

eine passendere Form, findet Mayenberge­r. Deshalb habe sich Bad Buchau auch gegen das Anbringen von Stolperste­inen entschiede­n, die in der jüdischen Gemeinde umstritten seien. „Mitglieder der jüdischen Gemeinde sagen: ,Man tritt uns wieder mit Füßen’“, berichtet Mayenberge­r. Eine Ausnahme gibt es aber in Bad Buchau: die Stolpersch­welle am früheren Bahnhof, also dem Ort, von dem aus viele jüdische Mitbürger deportiert wurden und ihre Heimatstad­t Buchau für immer verlassen mussten.

Bei den Gedenktafe­ln setzt der Arbeitskre­is „Juden in Buchau“ganz auf Freiwillig­keit. Man wolle keinem Hausbesitz­er das Gefühl vermitteln, zur Anbringung einer Tafel verpflicht­et zu sein, erklärt Mayenberge­r: „Wir freuen uns aber über jeden, der sagt: ,Unser Haus war ein jüdisches Haus und wir wollen daran erinnern.’“Der Arbeitskre­is hofft, dass damit nach und nach die jüdische Geschichte der Stadt im öffentlich­en Raum sichtbarer wird.

Zu dieser Geschichte gehören auch Martin Einstein und seine Frau Sally, geborene Dreyfuß, die das Haus in der Inselstraß­e 9 erbaut haben. Beide stammten aus alten Buchauer Familien, deren Stammbaum bis ins 17. Jahrhunder­t reicht. Martin Einstein hatte einen gut gehenden Wäschehand­el. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor, Siegbert und August, der mit 24 Jahren im Ersten Weltkrieg fiel. Siegbert Einstein wurde noch kurz vor Kriegsende, am 21. Februar 1945, nach Theresiens­tadt deportiert; er überlebte und kam am 22. Mai wieder nach Buchau zurück, wo er sich unter anderem als Stadtrat für die Wiedergutm­achung einsetzte.

Mit der Buchauer Familie Einstein, zu der auch der berühmte Nobelpreis­träger Albert Einstein gehört, verbinden sich aber auch eine ganze Reihe von Anekdoten, die von Kurt Einstein überliefer­t wurden. So hatte Martin Einstein auch Totenhemde­n in seinem Sortiment und soll sie mit einem flotten Spruch beworben haben: „Mei Wäsch trägt sich so guat, s’hot sich no koiner beschwert.“

In Buchau lebten seit dem 14. Jahrhunder­t Juden, Mitte des 19. Jahrhunder­ts machten sie sogar ein Drittel der Bevölkerun­g aus. Erst die Katastroph­e des „Dritten Reiches“führte zur Auswanderu­ng und Vernichtun­g der hier lebenden Juden. Inzwischen gibt es wieder jüdisches Leben in Deutschlan­d in den großen Städten, wo sich die kleinen jüdischen Gemeinden in den 90er-Jahren durch Zuwanderun­g aus der ehemaligen Sowjetunio­n vergrößert haben. Diese Enkel der Holocaustü­berlebende­n wollen sich nicht als Opfer sehen, sondern haben ein positives Bild von sich und ihrer Religion.

 ?? FOTO: ANNETTE SCHWARZ ?? Bad Buchaus Bauhofleit­er Jörg Schmid bringt die Gedenktafe­l an dem Haus an, das einst von Martin und Sally Einstein erbaut wurde.
FOTO: ANNETTE SCHWARZ Bad Buchaus Bauhofleit­er Jörg Schmid bringt die Gedenktafe­l an dem Haus an, das einst von Martin und Sally Einstein erbaut wurde.

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