Schwäbische Zeitung (Biberach)
Autohersteller in Sorge
Versicherer wollen besseren Zugriff auf Kfz-Daten
●
MÜNCHEN/BERLIN (dpa) - Im jahrelangen Zwist um das Milliardengeschäft mit Autoreparaturen und -dienstleistungen wittert ein Bündnis von Versicherern, ADAC, TÜV, freien Werkstätten und Teilehändlern Morgenluft. Sie alle erhoffen sich besseren und schnelleren Zugriff auf Autodaten. Anlass sind die geplanten Regelungen zu Datenteilung und -management in Brüssel und Berlin. Die EU arbeitet an einem „Data Governance Act“, der einen gemeinsamen europäischen Datenmarkt schaffen soll. Das Bundesforschungsministerium will im November den Ideenwettbewerb für künftige Datentreuhänder starten, wie eine Sprecherin sagt. Derzeit läuft die Ausschreibung.
Deutschlands größter Versicherer Allianz betont, dass er bei Unfällen vor allem ungehinderte Ursachenforschung betreiben – und beim Datenzugriff nicht vom Hersteller abhängig sein wolle. Einen wichtigen Anwendungsbereich für einen Datentreuhänder sieht die Allianz im Rahmen der Aufklärung von Unfällen mit hoch- und vollautomatisiert fahrenden Fahrzeugen, wie Jochen Haug, Vorstandsmitglied der Allianz Deutschland, sagt.
„Die Aufklärung der Unfallursache ist für die Allianz von erheblicher Bedeutung, da wir im Schadenfall feststellen können müssen, ob unser Kunde für den Unfall verantwortlich ist.“Das Argument der Allianz: Wenn nicht geklärt ist, wer oder was einen Unfall verursacht hat, kann der Schaden auch nicht reguliert werden.
Der Ideenwettbewerb des Forschungsministeriums bedeutet nicht, dass am Ende gleich Treuhänder gekürt würden, die über die Teilung von Auto- und sonstigen Daten wachen. Im ersten Schritt geht es darum, wie Treuhänder arbeiten könnten.
Dem TÜV ist der Bund zu langsam. „Eine schnellere Regulierung wäre essenziell“, sagt Richard Goebelt, Leiter des Geschäftsbereichs Mobilität beim Verband VdTÜV. „Da spielt ein Datentreuhänder natürlich eine riesengroße Rolle, bei dem Daten hochsicher abgelegt werden könnten, um Unfälle aufzuklären. Es würde Missbrauch Tür und Tor öffnen, wenn die Hersteller bestimmen, welche Daten zur Aufklärung von Unfällen freigegeben werden oder nicht.“Dabei geht es um die Frage, ob Hersteller versucht sein könnten, technische Mängel der Autos zu verschleiern: „Wenn ein Fehler am Fahrzeugsystem für den Unfall verantwortlich ist, zahlen wir zwar an den Geschädigten, nehmen dann aber beim Hersteller Regress, und der Schadenfreiheitsrabatt unseres Kunden wird nicht belastet“, so AllianzVorstand Haug.
„Das ist kein Thema, das nur die Herstellerseite angeht“, meint auch ADAC-Technikpräsident Karsten Schulze. „Der Auto-Besitzer weiß nicht einmal, welche Daten gesammelt, gespeichert und übermittelt werden. Das ist aus Sicht des Verbraucherschutzes nicht akzeptabel.“Allerdings ist der ADAC keine Bürgerrechtsvereinigung, in diesem Fall hat der Club das Eigeninteresse der Pannenhilfe im Blick. Aus den Daten ergebe sich eine Vielzahl digitaler Geschäftsmodelle, sagt Schulze – „sodass der bevorzugte Zugang der Hersteller andere Marktteilnehmer erheblich benachteiligt – etwa freie Werkstätten, unabhängige Prüfdienste, aber auch Automobilclubs.“
Autoteilehandel und Werkstätten geht es um Reparaturaufträge. Hersteller hätten früh „begonnen, die von ihnen produzierten Fahrzeuge mit Telematiksystemen auszustatten, mit denen sie exklusiv kommunizieren“, sagt ein Sprecher des Gesamtverbands Autoteile-Handel (GVA). „Damit besteht die Gefahr, dass unabhängige Marktakteure ihre Diagnose-, Reparaturund Wartungsleistungen für ein Fahrzeug nicht gleichberechtigt, das heißt zu fairen Wettbewerbsbedingungen durchführen können und so vom Kfz-Servicemarkt verdrängt werden.“
Eine Hauptfrage ist also, wer Autobesitzer in welche Werkstätten lenken darf und kann. Die Hersteller haben Vertragswerkstätten, ebenso die Versicherer, daneben gibt es ungebundene Werkstätten ebenso wie Reparaturketten, die mit Autoteilehändlern kooperieren. Die Autohersteller hingegen fürchten eine Situation, in der sie Autos und Software zuerst für viel Geld entwickeln, um dann die Früchte ihrer Arbeit mit unwillkommenen Nutznießern teilen zu müssen.