Schwäbische Zeitung (Biberach)
Woran liegt der Abstieg der CDU?
Die einst „schwarze“Hochburg wurde von den Grünen erobert – Eine Ursachenforschung
WANGEN/ILLERTAL - Es ist noch nicht allzu lange her, da waren für die Christdemokraten in der Region Wahlergebnisse mit einem Stimmenanteil von 50 Prozent und mehr quasi eine Selbstverständlichkeit. Diese Zeiten sind vorbei. Zum dritten Mal in Folge büßt die CDU bei Landtagswahlen im Wahlkreis Wangen-Illertal Stimmen ein. Und das so deutlich, dass das einst „schwarze“Allgäu inzwischen auch politisch grün ist, wie der erstmalige Verlust des Direktmandats deutlich zeigt. Eine Ursachenforschung.
Wie haben sich die Ergebnisse der CDU entwickelt?
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Der Wahlkreis Wangen-Illertal besteht in dieser Form seit 1976. Bis zum Sonntag hatten die Christdemokraten stets die Mehrheit und schickten ihre Kandidaten direkt nach Stuttgart. Erst Josef Siedler (1976), dann Josef Dreier (1980, 1984, 1988, 1992), anschließend Helmut Kiefl (1996, 2001) sowie Paul Locherer (2006, 2011) und zuletzt Raimund Haser (2016). Haser zog am Sonntag zwar erneut in den Landtag ein. Erstmals schaffte dies ein CDU-Mann allerdings nicht auf direktem Weg, weil Petra Krebs (Grüne) mit einer hauchdünnen Mehrheit vor ihm lag. Die Landtagswahlergebnisse der vergangenen 25 Jahre zeigen überdies: Die CDU hat hierzulande zum dritten Mal in Folge Federn lassen müssen. Heißt übersetzt: Seit die Grünen mit Winfried Kretschmann an der Spitze in die Wahlen zieht, verliert die CDU in ihrem einstigen Stammland und einer als Hochburg geltenden Region.
Liegt der Abstieg also an Winfried Kretschmann?
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Ja, sagt CDU-Kreisvorsitzender Christian Natterer – bezogen auf den aktuellen Wahlausgang: „Er hat die Wahl gewonnen, nicht die Grünen und auch das Klimathema war nicht entscheidend.“Darüber hinaus spielten aus seiner Sicht mehrere weitere Faktoren eine Rolle: das Amt von CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann als Kultusministerin, die zunehmende Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit dem Corona-Management im Bund und in den Ländern und nicht zuletzt die Maskenaffäre um einzelne Bundestagsabgeordnete der Union. Ein Fehler sei es zudem gewesen, Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) zu Jahresbeginn beim Impfthema „nicht für bestimmte Verfehlungen zu stellen“.
Teilweise ähnliche Ursachen sieht der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Waldemar Westermayer in der Wahlniederlage: „Das Grundsatzprogramm ist gut, daran hat es nicht gelegen“, so der Leutkircher. Die Wählerinnen und Wähler hätten sich aber weniger daran als mehr an Personen orientiert. Vor allem bei CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann sei „der Funke einfach nicht übergesprungen“.
War Susanne Eisenmann also eine Fehlbesetzung?
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Von Jan Peter Steppat, Wolfgang Heyer, Simon Nill und Susi Weber
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Dazu sagt Christian Natterer: Als Thomas Strobl im Sommer 2019 zu ihren Gunsten verzichtete, sei es „ein spannendes Experiment“gewesen, mit einer amtierenden Kultusministerin an der Spitze in eine Wahl zu gehen. Sie habe in ihrem Amt bis dato viel bewegt, grün-rote Fehler in der Bildungspolitik korrigiert und die Realschulen stabilisiert. Zugleich gibt der Bundestagsabgeordnete zu: „Es war ein Wagnis.“Corona schließlich habe einen Wahlsieg „zu einem unmöglichen Unterfangen gemacht“. Dies zeige allein die Debatte um Schulöffnungen. Angesichts teils gegensätzlicher Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen habe Susanne Eisenmann es nicht allen recht machen können. Und: „So wäre es jedem Kultusminister ergangen.“
Allgemeiner, aber in eine ähnliche Richtung geht die Einschätzung des ehemaligen Landtagsabgeordneten Paul Locherer (CDU): „Frau Eisenmann ist nicht an- und rübergekommen.“
Hatte die CDU eine Chance im Wahlkreis „gegen den Strom“zu schwimmen?
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Angesichts des Landtagswahlsystems mit nur einer Stimme gibt es dazu unterschiedliche Meinungen. Der Vergleich von Landes- und Wahlkreisergebnis zeigt, dass dies eigentlich nur sehr schwer möglich ist. Die Grünen legten in der Region nicht ganz so stark zu wie im Land, die CDU verlor allerdings noch deutlicher.
Diese Einschätzung teilt Christian Natterer: „Gegen den Trend kann man sich schnell stellen.“Zumal sich seine Partei in Wahlkreisen mit nur einem (CDU-) Abgeordneten leichter getan habe als in der hiesigen Region, in der die Grünen ebenfalls schon vor dem jüngsten Urnengang mit Petra Krebs eine Parlamentarierin stellten. Dem hält der Kreisvorsitzende indes entgegen: Im ländlichen Raum, wie dem hiesigen, gebe es „noch Möglichkeiten. Da gehen die Uhren etwas anders“.
Dafür spricht das Resultat von Raimund Haser. Mit 30,6 Prozent gelang es ihm, noch eines der besten
CDU-Ergebnisse im Land einzufahren. Denn nur in vier weiteren der landesweit 70 Wahlkreise holte die CDU 30 Prozent oder mehr. Für Christian Natterer „ist das sicher auch seiner Arbeit geschuldet“. Auch Hasers Vorgänger Locherer attestiert diesem „einen guten Job“.
Zudem konstatierte Wahlsiegerin Petra Krebs angesichts ihres guten Abschneidens in ihrer Heimatstadt schon am Sonntagabend, dass eine Landtagswahl „auch eine Persönlichkeitswahl ist“. Gleichwohl: Nicht nur im Wahlkreis, sondern auch in der Allgäustadt fiel der prozentuale Stimmenzuwachs für sie und ihre Partei geringer aus als im Land.
Warum kommt die CDU schon so lange nicht mehr auf die Beine?
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Den Abwärtstrend der CDU führt der Bundestagsabgeordnete Axel Müller auf drei Gründe zurück. Einerseits „hängt das mit der Aufspaltung der Parteienlandschaft zusammen“, so Müller. Die Stimmen verteilen sich eben nicht mehr auf die großen Volksparteien, sondern auf diverse Fraktionen.
Andererseits „gelingt es der CDU nicht mehr so wie früher, ganze Milieus von Wählern an sich zu binden“, erklärt der 57-Jährige CDUselbstkritisch und ergänzt: „Aber diese Milieus gibt es auch nicht mehr so sehr.“Exemplarisch nennt er das klassisch katholische Milieu oder die christlich demokratische Arbeitnehmerschaft, die sich früher stärker organisiert hätten. Nicht zuletzt sei auch eine „größere Wechselstimmung der Wähler“wahrnehmbar. So mancher Wähler würde sich bei beinahe jeder Wahl für eine andere Partei entscheiden.
Der frühere Bundestagsabgeordnete Waldemar Westermayer benennt ebenfalls die sich verändernde Gesellschaft. Vor allem Umweltthemen seien viel stärker in den Fokus der Menschen gerückt. Dadurch konnten die Grünen seiner Einschätzung nach stark zulegen. „Die CDU hat die Themen zu sehr vernachlässigt und auch zu spät reagiert“, gesteht er. Hinzu komme, dass Errungenschaften in Bildungs- und Wirtschaftsfragen „nicht mehr so zugkräftig“seien.
In diese Richtung geht auch die Analyse von Christian Natterer – und sie trifft nach seiner Meinung besonders auf das Württembergische Allgäu zu. Zum einen, weil dieses Zuzugsregion sei und sich deshalb die Bevölkerungsstruktur ändere. Zum anderen, weil es den Menschen hier wirtschaftlich in großen Teilen (sehr) gut gehe: Je größer der Wohlstand, desto mehr rückten Themen wie Arbeitsplätze oder Wirtschaft in den Hinter-, dafür Klima, Nachhaltigkeit und Tierwohl aber in den Vordergrund. In diesen Regionen würden die Grünen überproportional oft gewählt.
Natterer erläutert plastisch: Die CDU habe über 50 bis 60 Jahre hinweg dazu beigetragen, Wohlstand zu generieren und dazu Baugebiete für Einfamilienhäuser ausgewiesen – „gegen den Widerstand der Grünen“. Mit dem Ergebnis, dass darin oft Grünen-Wähler wohnten, wie er am extremen Beispiel Amtzells verdeutlicht: Vor wenigen Jahren hat Paul Locherer noch in seiner Heimatgemeinde ein Landtagswahlergebnis von fast 70 Prozent eingefahren. Heute haben die Grünen dort die Nase vorn. „Insofern sind wir Opfer unseres eigenen Erfolgs“, so Natterer.
Was könnte der CDU einen Aufschwung bringen?
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Wie oft nach Wahlschlappen von Parteien, gibt es auch in der hiesigen CDU Stimmen nach einer personellen Erneuerung. Waldemar Westermayer etwa sagt, seine Partei müsse sich jetzt personell gut aufstellen. Der frühere Abgeordnete Paul Locherer fordert ebenfalls: „Wir müssen uns erneuern.“Und er nennt direkt Namen. Jüngere Landtagsmitglieder wie Raimund Haser, der Biberacher Thomas Dörflinger oder Generalsekretär Manuel Hagel aus Ehingen müssten Verantwortung übernehmen – aber auch Verantwortung übernehmen dürfen.