Schwäbische Zeitung (Biberach)
Damit kein Kind den Anschluss verliert
Wie Schulsozialarbeit in der Pandemie Schüler und Eltern unterstützt
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OCHSENHAUSEN - Dass Schüler zu Hause lernen und nicht zur Schule gehen, ist eine Ausnahme. Doch aufgrund der Corona-Pandemie wurde diese Ausnahme für drei Monate zur Regel. Erst seit 15. März werden Grundschüler und Schüler der Abschlussklassen wieder in Präsenz unterrichtet. „Auf unserem Pausenhof laufen jetzt wieder glückliche Kinder“, sagt Antje Licht, Leiterin der Gemeinschaftsschule Ochsenhausen-Reinstetten.
Insgesamt besuchen 280 Kinder die Schule, die von der ersten bis zur zehnten Klasse reicht. Aktuell lernen laut Licht noch vier Schulklassen komplett zu Hause. Die Schüler von der ersten bis zur sechsten Klasse sind im Präsenzunterricht und die Neunt- und Zehntklässler, die ihren Abschluss machen werden, sind im Wechselunterricht an der Schule. „Wir haben Kinder, die haben während der Schulschließung weniger gelernt. Aber kein Kind ging verloren“, sagt die Schulleiterin. Sie und Schulsozialarbeiterin Karin Schneider schildern im SZ-Gespräch, wie Schulleitung, Lehrer und Schulsozialarbeit verhinderten, dass Kinder während des Lockdowns den Anschluss verloren.
Einen Vorteil sieht Licht im Klassenlehrer-Prinzip der Schule. „Die Klassenlehrer sind nah an den Schülern und Eltern. In der Pandemie haben wir dieses Prinzip noch verstärkt“, sagt Licht. Um Kontakte zu reduzieren, wurden Klassen und Lehrer in drei Zeitschienen eingeteilt. Die Klassenlehrer übernahmen mehr Unterricht in ihren eigenen Klassen, teilweise auch fachfremd. „Das erwies sich im Lockdown als Vorteil“, sagt Schneider. „Die Lehrer sind sehr engagiert. Ich konnte dadurch sehr nah und schnell an den Schülern sein.“
Die Schulsozialarbeit an der Gemeinschaftsschule wird wie an allen Ochsenhauser Schulen im Auftrag der Stadt vom Biberacher Verein „Lernen Fördern“übernommen. Wie der Verein berichtet, stellt die Pandemie die Schulsozialarbeit vor herausfordernde Aufgaben. „Die Schulsozialarbeit lebt üblicherweise von der Beziehungsarbeit und dem persönlichen Kontakt. Unter Pandemiebedingungen gestaltet sich die Kommunikation jedoch komplizierter, sodass andere Wege zum Austausch geschaffen werden müssen“, so der Verein.
Eine Möglichkeit des persönlichen Kontakts war das Abholen der Lernpakete. „Das war ein wichtiges Instrument“, sagt Licht. Wie sie erläutert, handelt es sich bei den Lernpaketen nicht um digitale Dokumente, sondern um „einen Packen Papier mit dem Namen des Schülers drauf“. Das Abholen der Lernpakete erfolgte unter Einhaltung der Hygieneregeln am Samstag und Montag in der Schule. „Das Abholen wurde immer von zwei Personen beaufsichtigt“, sagt Licht. Eine der zwei Personen war die Schulsozialarbeiterin.
„Das war für mich eine gute Möglichkeit für Kontakte und Gespräche mit Eltern und Schülern. Man merkt dann schon, wenn jemand reinkommt, wie es demjenigen geht“, sagt Schneider. Dadurch sei sehr vieles sehr früh erkannt worden, meint sie.
Doch nicht immer wurden alle Lernpakete auch abgeholt. In solchen Fällen oder bei anderen Auffälligkeiten wurden Lehrer und Schulsozialarbeiterin aktiv. „Werden Unregelmäßigkeiten festgestellt wie beispielsweise dass Lernpakete nicht abgeholt werden, Hausaufgaben nicht abgegeben werden oder am Online-Unterricht nicht teilgenommen wird, nimmt in der Regel zunächst die Lehrkraft Kontakt zu den Erziehungsberechtigten oder den Jugendlichen auf“, beschreibt „Lernen Fördern“das Vorgehen. Häufig werde die Schulsozialarbeit bereits an diesem Zeitpunkt miteinbezogen.
Dass ein Schüler nicht am Online-Unterricht teilgenommen hatte, konnte laut Schneider verschiedene Gründe haben. „Manchmal steckte ein technisches Problem dahinter. Oder dem Schüler war gar nicht bewusst, dass er Online-Unterricht hatte“, sagt Schneider.
Sie betont, dass es bei der Schulsozialarbeit keinen festen Ablaufplan gibt. „Manchmal reicht ein Telefonat, manchmal ist es langwieriger und komplexer.“
„Bleibt das Problem bestehen oder erweist sich die Sachlage als komplizierter, wird ein Runder Tisch mit Schulleitung, Lehrkräften, Schulsozialarbeit, den Erziehungsberechtigten und gegebenenfalls dem Jugendlichen sowie dem Jugendamt auf Initiative der Schule einberufen“, sagt der Verein „Lernen Fördern“. Der Runde Tisch kann persönlich oder online stattfinden.
Laut Licht und Schneider gab es an der Gemeinschaftsschule zweimal während der Schulschließung einen solchen Runden Tisch. „Es waren Familien, die wir schon kennen, und wir wussten, da braucht es mehr Hilfe“, sagt Licht. Das bestätigt Schneider. „Man kennt die Familien ja schon und weiß, wo Probleme liegen.“Beim Runden Tisch wird versucht, eine auf den Einzelfall individuell angepasste Lösung zu finden. Ein Vertreter des Jugendamts kann mit am Tisch sitzen, muss aber nicht, sagt Schneider. „Ein Runder Tisch ist auch ein Signal an die Familien, dass sie gesehen werden und nicht durchrutschen“, sagt die Schulsozialarbeiterin. Nach ihren Angaben haben beide Runden Tische zu Verbesserungen geführt.
Um Schüler und Eltern zu unterstützen, schlug die Schulleitung zusätzlich noch einen anderen Weg ein. „Ich habe einzelne Schüler für ein paar Tage an die Schule geholt“, sagt Licht. Sie saßen dann alleine in einem Klassenzimmer und haben dort ihre Aufgaben gemacht.
„Für Einzelne war das wie ein Geschenk, sie haben das genossen. Manchmal hatten sie zu Hause Probleme mit dem Internet oder ihnen ist die Decke auf den Kopf gefallen“, sagt die Schulleiterin.
Sie berichtet von einem Schüler, der seinem Lehrer signalisierte, dass er an die Schule möchte, weil er das sonst nicht schaffe. In einem anderen Fall wandte sich eine Mutter an die Klassenlehrerin und meinte, sie komme mit ihrer pubertierenden Tochter nicht mehr klar. „Die Tochter kam dann für drei Tage an die Schule“, sagt Licht.
„Viele Schüler nutzen aktuell die Möglichkeit, sich online mit mir auszutauschen. Pubertierende sind in einem Ablösungsprozess. Wenn dann nur die Eltern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, leidet die Beziehung. Dass sie sich nicht treffen können, es keinen Sport oder andere Gruppen gibt, ist für Jugendliche kein normaler Zustand“, sagt Schneider. „Wir sehen gerade, wie unglaublich wichtig Schule für die Entwicklung ist.“
Doch nicht nur Jugendliche waren dankbar, wenn sie einmal mit jemand anderem als ihren Eltern reden konnten, auch Eltern reagierten positiv auf Gesprächsangebote. „Manche sagten, dass sie keine Hilfe brauchen, andere waren froh, dass sie reden konnten“, berichtet Schneider. Ihr sei es darauf angekommen, Eltern wie Schüler zu ermutigen: „Alle sitzen allein zu Hause. Es muss nicht alles perfekt sein, und wenn es mal nicht so klappt, ist es kein persönliches Versagen.“