Schwäbische Zeitung (Biberach)
Alptraum Alpen
Wahre Freunde der bayerischen Glückseligkeit dürfen sofort erleichtert aufatmen: Ich, ein echtes Kind des Ruhrgebiets, das nicht einmal im Traum an der Existenz von Borussia Dortmund gezweifelt hat, liebe das wundervolle Allgäu abgöttisch – heute, am Ende des sechsten Lebensjahrzehnts. Als Knirps in den ausgehenden 1960er-Jahren aber war meine Vorstellung vom Paradies auf Erden eine durchaus andere, wenn wieder die Koffer für Oberstdorf gepackt werden mussten.
Eine gefühlt drei Tage währende Anfahrt über ruckelige Landstraßen mit dem Ford 17M oder gern auch mit der Deutschen Bummelbahn – nur Lebertran war für ein schmächtiges Kerlchen wie mich schlimmer. Menschen in komischen Klamotten, für die ich in der Schule eine Tracht Prügel bezogen hätte, und überdies mit einer Sprache gestraft, die meinem lupenreinen Ruhrgebietshochdeutsch („Wen gehört der Mopped in Hoff ? – Ich!“) strikt zuwiderlief – die ganze Welt schien Kopf zu stehen. Endlos in der Gluthitze sich ziehende, steinige Wanderwege („Papi sitzt das ganze Jahr im Büro, er braucht Bewegung“, wie Mutter zu sagen pflegte), Hoheitsgebiet von Heerscharen von fiesen, bissigen Mücken und Wespen – Jugendamt, wo bist du gewesen? Und dann, als krönender Abschluss eines gelungenen Tages, die bimmelnden, monströsen, angsteinflößenden Kühe, die mitten durchs Dorf zurück in den Stall getrieben wurden und ihre übelriechenden Haufen mitten auf dem Gehweg hinterließen – ein Alptraum mitten in den Alpen.
Ach, wie schön war doch das Ruhrgebiet!