Schwäbische Zeitung (Biberach)
Bundesländer dürfen keine Mietendeckel beschließen
Bundesverfassungsgericht kippt das Gesetz des Landes Berlin – Was das für den Wohnungsmarkt im Südwesten bedeutet
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BERLIN - Das Bundesverfassungsgericht hat den Mietendeckel des Landes Berlin für unzulässig erklärt. Hunderttausende Privathaushalte müssen wohl Miete nachzahlen. In Baden-Württemberg stößt die Entscheidung vom Donnerstag neue Diskussionen um den Umgang mit steigenden Mieten an.
Mit dem Gesetz zum Mietendeckel hatte der rot-rot-grüne Senat der Hauptstadt die Mieten vieler Wohnungen im freifinanzierten Wohnungsbau eingefroren und teilweise sogar die Absenkung der Zahlungen durch die Mieter ermöglicht.
Das Vorgehen sei mit dem Grundgesetz so nicht zu vereinbaren, erklärte das Verfassungsgericht. Wesentlicher Grund: Das Mietenrecht falle in die Kompetenz des Bundes. Der kümmere sich auch um die Rechtssetzung in diesem Bereich. Deswegen dürften einzelne Bundesländer keine konkurrierenden Regelungen erlassen, die das Bundesrecht aushebeln.
„Es ist zu befürchten, dass viele Haushalte nachzahlen müssen“, sagt Wibke Werner, die Vize-Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. Carsten Brückner, Berliner Vorstand der Eigentümer-Vereinigung Haus und Grund, sagt, dass die Immobilienbesitzer überwiegend nicht auf die ausstehenden Forderungen verzichten wollten. Trotzdem sei nicht mit massenhaften Kündigungen von Mietverhältnissen zu rechnen, wenn die Bewohner das Geld nicht sofort aufbringen könnten. Der Immobilienkonzern Vonovia erklärt derweil, keine Nachzahlungen zu fordern.
Klage beim Verfassungsgericht hatten unter anderem Bundestagsabgeordnete von Union und FDP erhoben. Für den Berliner Senat aus SPD, Grünen und Linken stellt die Entscheidung eine erhebliche Niederlage dar. Doch das Land Berlin gibt sich im Bemühen um Mittel gegen die Mietpreis-Steigerungen nicht geschlagen. „Im Senat werden wir am Dienstag über die Konsequenzen aus dem Urteil beraten“, kündigt Sebastian Scheel (Linke), Berliner Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, an. „Dabei sieht sich der Senat auch in der Verpflichtung, sozial verträgliche Lösungen für Mieterinnen und Mieter zu entwickeln.“
Für andere Bundesländer hat das Urteil ebenfalls eine Bedeutung. So dürfte das Volksbegehren für einen Mietenstopp in Bayern damit wohl erledigt sein. Handlungsbedarf besteht im Südwesten aber weiterhin, denn: Neun der 20 teuersten Gemeinden Deutschlands lagen 2020 laut einer Mietspiegelauswertung in Baden-Württemberg, fünf in Bayern. Stuttgart hat die höchsten Mieten aller deutschen Großstädte, aber auch in ländlichen Regionen wie Bodensee-Oberschwaben fehlen Tausende Wohnungen. Über die richtigen Lösungen herrscht Uneinigkeit.
„Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt unsere Auffassung, dass den Ländern keine Gesetzgebungskompetenz für eine solche Regelung zusteht. Ein Mietendeckel schafft viel Bürokratie, aber keine einzige zusätzliche Wohnung. Wir brauchen positive Anreize für mehr Mietwohnungsbau statt Hemmnisse für Investitionen“, sagt Baden-Württembergs Wohnungsbauministerin Nicole HoffmeisterKraut (CDU). Man wolle deshalb „möglichst schnell genügend Wohnraum“schaffen.
Bislang hat die grün-schwarze Landesregierung dazu bereits einiges versucht. Der Sozialwohnungsbau ist in den vergangenen Jahren zwar vorangekommen, lobt sogar der Mieterbund. Allerdings sei der Südwesten hier noch immer Schlusslicht im Ländervergleich, der Bedarf sei deutlich größer als das Angebot.
Nach anfänglichem Ruckeln werden inzwischen auch die Töpfe, mit denen das Land den Wohnungsbau fördert, kräftig genutzt. Die 250 Millionen Euro für das Jahr 2019, das auch die ersten drei Monate von 2020 beinhaltet, wurden praktisch ausgeschöpft. Das Land hilft zudem
Kommunen dabei, sich Entwicklungsflächen zu sichern.
Durch eine Reform der Landesbauordnung 2019 hat das Land auf Betreiben der CDU Hürden abgebaut – etwa die starre Pflicht, beim Bauen auch Fahrrad-Stellplätze mitzuplanen. Dass die grün-schwarzen Regierungspartner eine PV-Pflicht künftig auch für Wohnhäuser festschreiben wollen, wird die Baukosten indes wohl wieder verteuern.
In der Landes-Opposition sind Reaktionen auf das Urteil aus Karlsruhe gemischt. „Grund zum Jubeln sehen nach diesem Urteil wohl nur Immobilienkonzerne und MarktFundamentalisten“, kommentiert Daniel Born, wohnungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Hohe Mieten blieben in Baden-Württemberg ein großes Problem, das der Markt nicht selbst lösen könne. Die Fraktion der Linken sieht das Urteil als „herben Rückschlag im Kampf für bezahlbare Mieten“, wie Sprecherin Sahra Mirow betont. Da die Miete das soziale Thema der Gegenwart sei, sei jetzt der Bund gefragt. „Wir brauchen dringend ein soziales Mietrecht und einen bundesweiten Mietendeckel oder eine Öffnungsklausel, die den Ländern die Begrenzung der Miete erlaubt“, so Mirow.
Bei der AfD im Land stößt das Urteil auf Zustimmung. „Bereits seit Jahren machen wir darauf aufmerksam, dass solche Obergrenzen rechtlich bedenklich sind. Ohnehin liegt die Lösung für ein verknapptes Angebot nicht in der Deckelung der Preise, sondern in der Bereitstellung neuen Wohnraums“, sagt Anton Baron, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion.
Die wohnungsbaupolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gabriele Reich-Gutjahr, begrüßt die
Entscheidung ebenfalls. Sie sei „über Berlin hinaus von Bedeutung. Schafft sie doch Klarheit für Parlamentarier und für alle privaten und kommunalen Akteure im Wohnungsbau und in der Immobilienwirtschaft: Der Mietpreisdeckel verstößt gegen das Grundgesetz.“
Die Ablehnung eines Mietpreisdeckels teilt Ottmar Wernicke, Landesgeschäftsführer des Eigentümerverbands Haus und Grund in BadenWürttemberg. „Instrumente wie den Mietpreisdeckel oder die Mietpreisbremse halte ich für politische Placebos“, sagt er. Die Regulierungen würden dafür sorgen, dass sich Vermietung nicht mehr lohne. Die einzige Möglichkeit, immer weiter steigende Mieten zu bremsen, sei der Bau von mehr Wohnungen. „Davor drückt sich die Politik allerdings, weil das mehr Flächenversiegelung bedeuten würde.“
Udo Casper, Landesgeschäftsführer des Mieterbunds glaubt nicht, dass Angebot und Nachfrage den Markt allein entspannen können. „Seit 10 Jahren steigen die Mieten stetig, es besteht jetzt dringender Handlungsbedarf. Wir brauchen gesetzliche Regelungen zur Stabilisierung“, sagt er. Ein „atmender“Mietendeckel, bei dem die gesetzlichen Mietobergrenzen angepasst an Lebenshaltungskosten langsam steigen würden, wäre auch für Baden-Württemberg ein sinnvolles Instrument gewesen, so Casper.
Die sogenannte Mietpreisbremse, die seit Juni in 89 ausgewählten Gemeinden in Baden-Württemberg regelt, dass Neuverträge die ortsüblichen Mieten um nicht mehr als zehn Prozent übersteigen dürfen, würde der Mieterbund gerne flächendeckend sehen. Allerdings gebe es derzeit noch zu viele Ausnahmeregelungen und außer Rückzahlungen keine Sanktionen bei Verstößen.
Der baden-württembergische Gemeindetag, der vor allem kleine und mittlere Kommunen vertritt, unterstützt nach eigenen Angaben das Ziel, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Ob Restriktionen wie die Mietpreisbremse allerdings langfristigen Erfolg bringen, müsse man abwarten. Der Verbund fordert vor allem mehr sozialen Wohnungsbau, den das Land aus eigenen Mitteln bezuschussen soll.