Schwäbische Zeitung (Biberach)
Kürnbach bleibt virtuell geöffnet – mittels Kräuterrezepten
Im Oberschwäbischen Museumsdorf verrät das Team leckere Rezepte
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KÜRNBACH - Immer wieder freitags meldet sich das Oberschwäbische Museumsdorf bei seinen Fans mit Kräuterrezepten. Natürlich nicht persönlich. Sophia Distler arbeitet im Museum als wissenschaftliche Volontärin im Bereich Marketing und veröffentlicht am „Kräuterfreitag“bei Facebook und Instagram Leckereien.
Die Idee dazu ist schon ein Jahr alt und nahm während der verordneten Pandemiepause Gestalt an. „Unsere Ehrenamtliche Karola Wachter, Vorstand im Förderverein, und Regina Neumann, geringfügig beschäftigte Kräutergärtnerin, kochen jeden dritten Samstag miteinander“, erklärt Sophia Distler. So würden die Besucher trotz Schließung erreicht. Aufgrund der aktuellen Gartenbegeisterung der Menschen falle die Aktion auf fruchtbaren Boden.
Die beiden Kräuter-Fachfrauen bereiten die Speisen direkt im Kräutergarten des Museums zu und sie sehen dabei sehr zufrieden aus. „Gerade jetzt brauchen wir die Heilkraft der Natur als Lebensmut,“erklärt Regina Neumann ihre positive Stimmung. „Ich finde es wichtig, mich auf die kleinen Dinge wertschätzend zurückzubesinnen und finde hier im Garten Frieden. Das Museumsdorf, die Ruhe und die Natur sind wunderbar. Und natürlich auch die frischen zarten Kräuter, die reinigen, kräftigen, lecker und bekömmlich sind.“
Auch Karola Wachter bestätigt, dass das Wissen um die Kräutervielfalt in der Vergangenheit stets die sogenannte „Arme-Leute-Küche“bereichert habe. „Aus der Not heraus entstanden so tolle Rezepte und ich liebe es, in alten Kochbüchern zu stöbern.“
Beide Köchinnen haben in ihrer Freizeit zu diesem Thema weiterführende Ausbildungen absolviert und wählen bewusst den Vorfrühling für ihren Plan. Sie wollen diese Phase der Natur nutzen, wenn die Kräuter zart und frisch sind. Karola Wachter fühlt sich dabei ihrer Mutter verbunden, die in der Nachkriegszeit mit allerlei Kräutern bodenständige Gerichte bereicherte. „Für mich lebt so noch einmal die ,arme Zeit’ meiner Kindheit auf.“Besonders kostbar erscheint ihr, dass sie sich mit ihrer Mutter zum Thema austauschen kann und jetzt erst richtig schätzt, was die Mutter damals leistete. „Sie machte aus Nichts eine Köstlichkeit!“
Für die „Schwäbische Zeitung“haben die Frauen ihren Arbeitsplatz im Kräutergarten liebevoll dekoriert und die Speisen duften verführerisch. „Es ist einfach eine tolle Atmosphäre, draußen zu kochen,“lobt Regina Neumann und Karola Wachter deutet ringsherum und freut sich, dass hier wirklich alles noch ganz frisch und auf dem allerkürzesten Weg unters Messer kommt.
Ihr Mann Johann lugt derweil neugierig über den historischen Zaun. Er kocht zwar nicht aktiv mit, ist aber ein wichtiger Teil der Aktion. Er bereichert das hessisch-sächsische Duo mit Memminger Tipps. Kräuter wachsen überall, nicht nur in Oberschwaben. Die heute präsentierten „Frikadellen“können tatsächlich überall zubereitet werden, wo es braune Linsen und wilde Zwiebeln, Sauerampfer und Schnittlauch gibt. Johann Wachter nennt sie „Kiachla“und verspeist seines in vorgeschriebenem Abstand außerhalb des Gärtchens – auch die „Falschen Kapern“.
Die kleinen Knubbel sind nicht etwa Linsen, sondern winzige Knospen des Allrounders Löwenzahn, vorher gesalzen und eingelegt in Öl oder Essig. „Dieses Rezept habe ich in einem Kochbuch von 1950 entdeckt“, freut sich Karola Wachter und betont, welch reizvolle Herausforderung es sei, eine Pflanze in allen Facetten und Stadien zu verwenden.
Ebenfalls in großem Abstand beißt Museumsleiter Jürgen Kniep in sein ebenfalls vor Ort gebackenes Pfannenbrötchen: „Das Besondere an diesen Posts ist für uns, dass unser Dorf so ,geöffnet’ ist. Dieser ,Kräuterfreitag’ ist genau das, was Kürnbach ausmacht. Wir vermitteln Inhalte, die die Menschen interessieren. Natürlich ersetzt der Dialog in den sozialen Medien nicht das Gespräch vor Ort, aber es ist wenigstens eine Möglichkeit des Kontakts. Man kann das Museum zu sich auf die Couch holen und sich auf diese Weise anstecken lassen und es wird sehr gut angenommen. 1000 Menschen und mehr schauen auf die Posts – das könnten wir in der Realität gar nicht bewältigen. Ja, es ist viel mehr als eine digitale Spielerei, wir erreichen die Leute wirklich!“
Wer also wissen möchte, wie viel Mädesüß, Honig und Schlüsselblumen in die süße Butter gehören oder wie man Brennesselsuppe kocht, kann sich die Rezepte auf Facebook und Instagram anschauen. Das uralte Museumsmodel kann natürlich nicht mitgeliefert werden.