Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wie der erste Jahrgang die neue Pflegeausbildung erlebt
In der generalistischen Pflegeaubildung lernen die Azubis, Menschen jeden Alters und in jeder Situation zu pflegen
●
BAD SCHUSSENRIED/ZWIEFALTEN Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege oder Gesundheitsund Kinderkrankenpflege – bisher gab es für jedes dieser Berufsbilder eine eigene Berufsausbildung. Damit ist nun Schluss. Seit 2020 gilt: Alle in der Pflege Tätigen absolvieren eine dreijährige generalistische Pflegeausbildung mit dem Ziel, die Ausbildung attraktiver und moderner zu gestalten. Pflegende sind damit berechtigt, europaweit in allen Bereichen der Pflege zu arbeiten. Zwei Auszubildende aus Bad Schussenried ziehen nach den ersten zehn Monaten ein positives Fazit – obwohl die neue Ausbildung deutlich anspruchsvoller ist.
Grundlage für die Veränderung ist das Pflegeberufereformgesetz, das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist. Vereinfacht ausgedrückt, sollen die künftigen Pflegefachfrauen und -männer in ihrer dreijährigen Ausbildung alles lernen, um im Berufsleben Menschen aller Altersstufen in unterschiedlichen Pflege- und Lebenssituationen versorgen zu können. Die Inhalte aus drei dreijährigen Ausbildungen wurden also in eine gepackt. Keine einfache Aufgabe für alle Beteiligten.
„Man kann durchaus sagen, dass die neue Form der Pflegeausbildung komplex ist“, sagt Pflegedirektorin Ilona Herter. Dies bedeute eine hohe Herausforderung und zugleich viele Chancen für die künftigen Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner. Nicht alle Auszubildenden scheinen diesem Druck jedoch gewachsen zu sein. In diesem ersten Jahrgang haben bisher drei Auszubildende hingeschmissen. Mit dem neuen Abschluss
Sonderveröffentlichung
stehen den Absolventen alle Türen offen. Denn im Gegensatz zu früher können sie damit in allen Bereichen der Pflege und in ganz Europa arbeiten.
Luca Oswald findet das praktisch. Denn der 19-Jährige weiß im Moment noch nicht, in welchem Bereich der Pflege er später einmal arbeiten möchte. „Während meiner Ausbildung lerne ich ganz unterschiedliche Bereiche kennen: die
Pflege von kranken Kindern, die Akutpflege und Langzeitpflege sowie die ambulante Pflege und auch beispielsweise die Versorgung von psychisch kranken Menschen. Das wird mir helfen zu entscheiden, worauf ich mich dann später spezialisiere“, sagt er.
Und auch der pädagogische Ansatz passe zu ihm, meint der Schussenrieder. Denn auch das ist neu: Es wird in der neuen generalistischen
Pflegeausbildung vielmehr die Perspektive des Lernenden eingenommen. Nach einer zweiwöchigen Einführung an der Berufsfachschule für Pflege am Standort Zwiefalten des ZfP Südwürttemberg ging es für Luca Oswald direkt auf die Akutstation im ZfP Bad Schussenried. „Dort bin ich die ersten Wochen bei einem Kollegen mitgelaufen, der als mein Praxisanleiter fungiert hat. Und zusätzlich waren im Stundenplan jede
Woche 3,8 Stunden festgelegt, in denen ich noch einmal aktiv angeleitet wurde“, erinnert er sich.
Nach sechs Wochen kehrte er an die Berufsfachschule zurück – um dort dann die entsprechende Theorie zu seinem erlernten praktischen Wissen zu vertiefen. Dabei sind die Azubis auch konkret aufgefordert, den Lehrkräften mitzuteilen, was sie bisher in der Praxis gelernt haben, wo sie bei sich noch Schwächen sehen und aus ihrem Alltag Fallbeispiele in den Unterricht miteinzubringen. „Für mich war diese Reihenfolge viel einfacher, weil ich erst praktisch erfahren habe, welche Tätigkeiten und Aufgaben in diesem Bereich wichtig und notwendig waren“, erklärt der 19-Jährige.
„Dabei kann es jedoch vorkommen, dass der Azubi in der Praxis das Blutabnehmen lernt und der theoretische Lernstoff dazu erst ein halbes Jahr später dran ist“, erklärt Lehrkraft Bernhard Zwick. Das sei sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden eine Herausforderung. Als Lehrer sei es ein Spagat, den Bedürfnissen aller Azubis gerecht zu werden, da sie jeweils aus unterschiedlichen Stationen an die Schule zurückkehren würden.
Auch die 19-jährige Vanessa Mohr ist mit ihrer Ausbildung zufrieden. Die Schussenriederin hatte 2017 die Ausbildung begonnen und dann aufgrund einer Schwangerschaft im zweiten Lehrjahr unterbrochen. „Damals wurde auf den Stationen nicht so ein Fokus auf meine praktische Ausbildung gelegt wie jetzt. Ich lief einfach mit. Heute hingegen gibt es im Dienstplan feste Zeiten und feste verantwortliche Personen – da ist dann klar, da geht es um mich und meine praktische Ausbildung“, sagt sie. Für die Lehrenden ist die momentane Situation auch noch aus einem anderen Grund besonders. Denn noch bilden sie die Mittelstufe und den Oberkurs nach dem alten Modell aus, während seit September 2020 die erste Gruppe parallel nach dem neuen Modell unterrichtet wird. „Wir müssen da alle umdenken und es sind auch noch nicht alle Fragen geklärt“, sagt die Praxiskoordinatorin des ZfP Bad Schussenried, Katharina Härle. Denn obwohl festgeschrieben ist, dass es im zweiten Ausbildungsjahr eine Zwischenprüfung geben muss, ist noch nicht festgelegt, was passiert, wenn Auszubildende dabei schlecht abschneiden.
Aus ihrer Sicht ist der größte Unterschied zwischen alter und neuer Ausbildung die enge Verzahnung von Praxis und Theorie. Es werde vielmehr situationsbezogen unterrichtet, sagt sie.
Es gehe primär darum, den Azubis die Kompetenz zu vermitteln, selbstständig zu erkennen, welche Pflege und Betreuung der Patient benötige – und dann entsprechend zu handeln. „Die Pflege ist ein unglaublich vielseitiges Feld. Unsere Schüler sollen nach der Ausbildung fähig sein, auf jede Situation reagieren zu können“, sagt sie.
Die Module, die auf dem Lehrplan stehen, heißen daher auch nicht mehr „Anatomie“oder „Körperpflege“, sondern tragen Titel wie „Zu pflegende Menschen in der Bewegung und Selbstversorgung unterstützen“oder „Menschen in kurativen Prozessen pflegerisch unterstützen und Patientensicherheit stärken“. Härle dazu: „Das klingt komplex, doch genau das ist die Pflege und Versorgung von Menschen aller Altersgruppen auch.“