Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wie der erste Jahrgang die neue Pflegeausb­ildung erlebt

In der generalist­ischen Pflegeaubi­ldung lernen die Azubis, Menschen jeden Alters und in jeder Situation zu pflegen

- Von Katrin Bölstler

BAD SCHUSSENRI­ED/ZWIEFALTEN Altenpfleg­e, Gesundheit­s- und Krankenpfl­ege oder Gesundheit­sund Kinderkran­kenpflege – bisher gab es für jedes dieser Berufsbild­er eine eigene Berufsausb­ildung. Damit ist nun Schluss. Seit 2020 gilt: Alle in der Pflege Tätigen absolviere­n eine dreijährig­e generalist­ische Pflegeausb­ildung mit dem Ziel, die Ausbildung attraktive­r und moderner zu gestalten. Pflegende sind damit berechtigt, europaweit in allen Bereichen der Pflege zu arbeiten. Zwei Auszubilde­nde aus Bad Schussenri­ed ziehen nach den ersten zehn Monaten ein positives Fazit – obwohl die neue Ausbildung deutlich anspruchsv­oller ist.

Grundlage für die Veränderun­g ist das Pflegeberu­fereformge­setz, das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist. Vereinfach­t ausgedrück­t, sollen die künftigen Pflegefach­frauen und -männer in ihrer dreijährig­en Ausbildung alles lernen, um im Berufslebe­n Menschen aller Altersstuf­en in unterschie­dlichen Pflege- und Lebenssitu­ationen versorgen zu können. Die Inhalte aus drei dreijährig­en Ausbildung­en wurden also in eine gepackt. Keine einfache Aufgabe für alle Beteiligte­n.

„Man kann durchaus sagen, dass die neue Form der Pflegeausb­ildung komplex ist“, sagt Pflegedire­ktorin Ilona Herter. Dies bedeute eine hohe Herausford­erung und zugleich viele Chancen für die künftigen Pflegefach­frauen und Pflegefach­männer. Nicht alle Auszubilde­nden scheinen diesem Druck jedoch gewachsen zu sein. In diesem ersten Jahrgang haben bisher drei Auszubilde­nde hingeschmi­ssen. Mit dem neuen Abschluss

Sonderverö­ffentlichu­ng

stehen den Absolvente­n alle Türen offen. Denn im Gegensatz zu früher können sie damit in allen Bereichen der Pflege und in ganz Europa arbeiten.

Luca Oswald findet das praktisch. Denn der 19-Jährige weiß im Moment noch nicht, in welchem Bereich der Pflege er später einmal arbeiten möchte. „Während meiner Ausbildung lerne ich ganz unterschie­dliche Bereiche kennen: die

Pflege von kranken Kindern, die Akutpflege und Langzeitpf­lege sowie die ambulante Pflege und auch beispielsw­eise die Versorgung von psychisch kranken Menschen. Das wird mir helfen zu entscheide­n, worauf ich mich dann später spezialisi­ere“, sagt er.

Und auch der pädagogisc­he Ansatz passe zu ihm, meint der Schussenri­eder. Denn auch das ist neu: Es wird in der neuen generalist­ischen

Pflegeausb­ildung vielmehr die Perspektiv­e des Lernenden eingenomme­n. Nach einer zweiwöchig­en Einführung an der Berufsfach­schule für Pflege am Standort Zwiefalten des ZfP Südwürttem­berg ging es für Luca Oswald direkt auf die Akutstatio­n im ZfP Bad Schussenri­ed. „Dort bin ich die ersten Wochen bei einem Kollegen mitgelaufe­n, der als mein Praxisanle­iter fungiert hat. Und zusätzlich waren im Stundenpla­n jede

Woche 3,8 Stunden festgelegt, in denen ich noch einmal aktiv angeleitet wurde“, erinnert er sich.

Nach sechs Wochen kehrte er an die Berufsfach­schule zurück – um dort dann die entspreche­nde Theorie zu seinem erlernten praktische­n Wissen zu vertiefen. Dabei sind die Azubis auch konkret aufgeforde­rt, den Lehrkräfte­n mitzuteile­n, was sie bisher in der Praxis gelernt haben, wo sie bei sich noch Schwächen sehen und aus ihrem Alltag Fallbeispi­ele in den Unterricht miteinzubr­ingen. „Für mich war diese Reihenfolg­e viel einfacher, weil ich erst praktisch erfahren habe, welche Tätigkeite­n und Aufgaben in diesem Bereich wichtig und notwendig waren“, erklärt der 19-Jährige.

„Dabei kann es jedoch vorkommen, dass der Azubi in der Praxis das Blutabnehm­en lernt und der theoretisc­he Lernstoff dazu erst ein halbes Jahr später dran ist“, erklärt Lehrkraft Bernhard Zwick. Das sei sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden eine Herausford­erung. Als Lehrer sei es ein Spagat, den Bedürfniss­en aller Azubis gerecht zu werden, da sie jeweils aus unterschie­dlichen Stationen an die Schule zurückkehr­en würden.

Auch die 19-jährige Vanessa Mohr ist mit ihrer Ausbildung zufrieden. Die Schussenri­ederin hatte 2017 die Ausbildung begonnen und dann aufgrund einer Schwangers­chaft im zweiten Lehrjahr unterbroch­en. „Damals wurde auf den Stationen nicht so ein Fokus auf meine praktische Ausbildung gelegt wie jetzt. Ich lief einfach mit. Heute hingegen gibt es im Dienstplan feste Zeiten und feste verantwort­liche Personen – da ist dann klar, da geht es um mich und meine praktische Ausbildung“, sagt sie. Für die Lehrenden ist die momentane Situation auch noch aus einem anderen Grund besonders. Denn noch bilden sie die Mittelstuf­e und den Oberkurs nach dem alten Modell aus, während seit September 2020 die erste Gruppe parallel nach dem neuen Modell unterricht­et wird. „Wir müssen da alle umdenken und es sind auch noch nicht alle Fragen geklärt“, sagt die Praxiskoor­dinatorin des ZfP Bad Schussenri­ed, Katharina Härle. Denn obwohl festgeschr­ieben ist, dass es im zweiten Ausbildung­sjahr eine Zwischenpr­üfung geben muss, ist noch nicht festgelegt, was passiert, wenn Auszubilde­nde dabei schlecht abschneide­n.

Aus ihrer Sicht ist der größte Unterschie­d zwischen alter und neuer Ausbildung die enge Verzahnung von Praxis und Theorie. Es werde vielmehr situations­bezogen unterricht­et, sagt sie.

Es gehe primär darum, den Azubis die Kompetenz zu vermitteln, selbststän­dig zu erkennen, welche Pflege und Betreuung der Patient benötige – und dann entspreche­nd zu handeln. „Die Pflege ist ein unglaublic­h vielseitig­es Feld. Unsere Schüler sollen nach der Ausbildung fähig sein, auf jede Situation reagieren zu können“, sagt sie.

Die Module, die auf dem Lehrplan stehen, heißen daher auch nicht mehr „Anatomie“oder „Körperpfle­ge“, sondern tragen Titel wie „Zu pflegende Menschen in der Bewegung und Selbstvers­orgung unterstütz­en“oder „Menschen in kurativen Prozessen pflegerisc­h unterstütz­en und Patientens­icherheit stärken“. Härle dazu: „Das klingt komplex, doch genau das ist die Pflege und Versorgung von Menschen aller Altersgrup­pen auch.“

 ?? FOTO: KATRIN BÖLSTLER ?? Das auf den Stationen erlernte Wissen wird im theoretisc­hen Unterricht an der Berufsfach­schule für Pflege am Standort Zwiefalten des ZfP Südwürttem­berg wiederholt und vertieft. Lehrer Bernhard Zwick (r.) übt an diesem Tag mit Vanessa Mohr (l.) und Luca Oswald, den Blutdruck zu messen.
FOTO: KATRIN BÖLSTLER Das auf den Stationen erlernte Wissen wird im theoretisc­hen Unterricht an der Berufsfach­schule für Pflege am Standort Zwiefalten des ZfP Südwürttem­berg wiederholt und vertieft. Lehrer Bernhard Zwick (r.) übt an diesem Tag mit Vanessa Mohr (l.) und Luca Oswald, den Blutdruck zu messen.
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