Schwäbische Zeitung (Biberach)
Aus Werbung wird Realität
Nach den Abstiegen von Schalke und Bremen kommt tatsächlich die beste 2. Liga aller Zeiten
KÖLN (SID/dpa) - Uwe Seeler war verärgert. Als „totalen Blödsinn“bezeichnete die Club-Ikone des Hamburger SV Anfang Juli die Nachricht, dass er womöglich zum ersten Heimspiel am 1. August nicht ins Stadion kommen dürfe. Als Zuschauer ohne Hamburger Erstwohnsitz sahen das die Corona-Auflagen gegen Dynamo Dresden kurzzeitig nicht vor. Doch das Theater war nur von kurzer Dauer: Die Behörden lenkten ein. Nun kann DFB-Ehrenspielführer doch bei einem der ersten Highlights einer besonderen Zweitliga-Saison dabei sein.
Es wird bei Weitem nicht das letzte seiner Art bleiben. Wohl noch nie war der lange Jahre besonders im TV viel zitierte Begriff der „besten 2. Liga“so angebracht wie diesmal. Die Erwartungen der Fans sind riesig. Schließlich klingt die Liste der teilnehmenden Vereine alles andere als zweitklassig: Schon das Auftaktspiel enthält geballte Europacup-Vergangenheit: Schalke 04 empfängt am Freitag (20.30 Uhr/Sky und Sat.1) den HSV. Zwar dürfen dann noch nicht alle 62 271 Plätze in der Veltins-Arena besetzt werden, doch mit bis zu 25 000 erlaubten Zuschauern kehrt auch in Liga 2 erstmals wieder ein bisschen Normalität zurück.
Trotz ihrer Katastrophensaison 2020/21 machen die Königsblauen dem HSV den Status als „gefühltester Bundesligist“streitig. Und als wäre das nicht genug, gesellt sich mit dem zweiten Absteiger Werder Bremen, bei dem der Ravensburger Ömer Toprak zum neuen Kapitän gewählt wurde, ein ähnlich prominenter Bundesliga-Dino dazu. Und dann wären da ja noch der zweimalige Fast-Aufsteiger Holstein Kiel sowie die langjährigen Erstligisten Fortuna Düsseldorf, 1. FC Nürnberg und Hannover 96. Mit Dynamo Dresden und Hansa Rostock stiegen obendrein zwei Traditionsvereine aus der 3. Liga auf. 309 Jahre Bundesliga sind in der 2. Liga vereint. Allein Bremen, der HSV und Schalke kommen auf 165 Jahre in der Beletage. Nur fünf Teams (Kiel, Heidenheim, Aue, Regensburg und Sandhausen) waren dort noch nicht vertreten.
„Es kann Spieltage geben, da präsentiert die 2. Liga attraktivere Paarungen
als die Bundesliga“, sagte Manager-Legende Reiner Calmund Anfang Juni dem Sportbuzzer. Mit dieser Meinung steht er nicht alleine da. 43 deutsche Meistertitel und noch viel mehr Tradition tummeln sich im Unterhaus. Die Bundesliga kommt „nur“auf 59 Titel, 31 davon allein durch Rekordmeister Bayern München.
Das freut auch die TV-Macher. Die prominenten Absteiger versprechen mehr Zuschauer und höhere Quoten. „Das haben wir uns verdient mit dem ganzen Aufwand, den wir über zwölf Monate vorher betrieben haben, um die Rechte zu akquirieren“, sagte Sport1-Boss Olaf Schröder. „Damit sind wir sehr glücklich. Der 1. FC Köln wäre der i-Punkt gewesen – aber man muss ja nicht übertreiben.“Sport1 hatte sich bei der Rechteauktion die neuen Live-Übertragungen im frei zugänglichen Fernsehen am Samstagabend gesichert, an dem ab dieser Saison das über Jahre am Montagabend ausgetragene Topspiel stattfinden wird. Zum Auftakt (20.30 Uhr/Sport1) gibt es dort gleich den Nordkracher Werder Bremen gegen Hannover 96.
Der erste Spieltag könnte gleich ein wichtiger Fingerzeig in der Aufstiegsfrage sein, die offener ist denn je. Sowohl der HSV nach nun drei vergeblichen Anläufen in Folge als auch Schalke und Bremen hoffen auf die Rückkehr dorthin, wo sie nicht nur ihre eigenen Fans sehen. Aber auch Clubs wie Kiel und Düsseldorf sind heiß auf die Bundesliga. Wer aufsteigen will, darf sich noch weniger Schwächephasen erlauben als sonst.
Der Druck ist für viele Teams gigantisch, einen der beiden festen Aufstiegsränge oder zumindest die ungeliebte Relegation zu ergattern. Wer das nicht schaffe, müsse sich „auf mehrere Jahre Zweitliga-Fußball einstellen“, glaubt Calmund. Das Beispiel des HSV gilt in Bremen und auf Schalke als Horrorszenario, das es unbedingt zu verhindern gilt.
Für die Fans hingegen verspricht die sportliche Konstellation emotional-aufgeladene Begegnungen en masse, die sie zudem endlich wieder live im Stadion verfolgen dürfen. Und Uwe Seeler freut sich besonders auf den Stadionbesuch.