Schwäbische Zeitung (Biberach)
Merkels letzte Sommerkonferenz
Kanzlerin räumt Fehler in Klimapolitik ein und wünscht sich mehr Gleichberechtigung
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BERLIN - 29 Auftritte in der Bundespressekonferenz hatte Angela Merkel in den vergangenen 16 Jahren als Kanzlerin. Dass sie es noch auf 30 bringen wird, ist eher unwahrscheinlich, aber nicht ganz ausgeschlossen. „Keine weiteren Versprechungen“, sagt sie, nachdem sie sich eineinhalb Stunden lang den Fragen der Hauptstadtpresse gestellt hat. „Es war mir eine Freude.“In ihrer letzten Sommerpressekonferenz, die in Berlin Tradition hatte, ging es um aktuelle Probleme, aber auch um eine Bilanz ihrer Amtszeit – und die damit verbundenen Herausforderungen für die nächste Bundesregierung.
Trotz der Besuche in den Hochwassergebieten in den vergangenen Tagen wirkt die Kanzlerin gutgelaunt, heiter, aber auch selbstkritisch. Sie räumt ein, dass in ihrer Amtszeit nicht alles so geklappt habe, wie sie es sich gewünscht hätte. Zum Beispiel in der Klimapolitik: Sie habe viel Kraft für den Klimaschutz aufgewandt, habe dafür geworben, den Klimaschutz auch in der eigenen Partei voranzutreiben. „Dennoch reicht das Tempo in der Klimapolitik nicht aus“, sagt Merkel. Die Wissenschaft mahne zu noch mehr Eile, die Politiker müssten dafür Mehrheiten finden.
Das Klimathema – während ihrer gesamten Amtszeit und auch schon zuvor hat es Merkel begleitet. Die Erwartungen an die studierte Physikerin, die unter dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl vier Jahre lang als Umweltministerin in seinem Kabinett saß, waren groß. Zwei Jahre nach Beginn ihrer Amtszeit, im Jahr 2007, präsentierte sie sich als Klimakanzlerin – unvergessen die Fotos, wie sie sich neben dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) im roten Anorak im ewigen Eis ablichten ließ. Doch je länger sie Kanzlerin war, desto mehr erweckte sie den Eindruck, sie habe ihre Klimaziele den Interessen der deutschen Industrie untergeordnet.
Ganz so schlecht fällt die Bilanz der Bundeskanzlerin erwartungsgemäß nicht aus. „Es ist durchaus einiges passiert, und wir sollten nicht so tun, als wäre nichts passiert“, sagt sie. So habe sich der Anteil der erneuerbaren Energien im Laufe ihrer Amtszeit von zehn auf 40 Prozent erhöht. Nur gemessen an dem Vorhaben, die Erderwärmung auf „deutlich unter zwei Grad oder möglichst nah an 1,5 Grad“zu begrenzen, sei nicht ausreichend viel passiert. Die Verantwortung dafür schiebt Merkel aber auch all jenen Staaten zu, die sich geweigert hätten, das von ihr mitverhandelte Kyoto-Protokoll umzusetzen. Sie habe „viele Enttäuschungen“erlebt.
Ob ihr die Bezeichnung „Krisenkanzlerin“gefalle, will eine Journalistin wissen. Krisen zu bewältigen, sei die Aufgabe der Politik, antwortet Merkel zunächst recht allgemein, dann zählt sie jedoch konkret die Krisen ihrer Kanzlerschaft auf: die Euro- und Finanzkrise, die hohe Zahl von Flüchtlingen, die Coronakrise – und natürlich die Klimakrise. Allein mit nationaler Politik seien sie nicht zu bewältigen , sondern „Teil einer Weltgesamtheit“. Dass es beispielsweise in der Flüchtlingspolitik nicht gelungen sei, eine gemeinsame europäische Linie zu etablieren, sei eine schwere Bürde für die Europäische Union. „Das muss in den kommenden Jahren gelöst werden“, fordert die Kanzlerin.
Auch das wird in ihrer 90-minütigen Abschiedsvorstellung klar: Die Baustellen, die sie ihrer Nachfolgerin oder ihrem Nachfolger überlässt, sind herausfordernd und mit gesellschaftlichen Umwälzungen verbunden. Gerade die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass Deutschland bei der Digitalisierung besser sein könnte, so Merkel. Es erfordere einen „großen Kraftakt“von Bund, Ländern und Kommunen, zu einem schnelleren Tempo zu kommen. „Es geht zum Teil sehr langsam. Das mag damit zusammenhängen, dass wir eine recht gute Verwaltung haben, die glaubt, auch ohne Digitalisierung weiter gut arbeiten zu können.“Aber immerhin sei Deutschland ein „starkes, kraftvolles Land“, das sein „Licht nicht unter den Scheffel“stellen müsse.
Luft nach oben sieht Merkel auch bei der Gleichberechtigung von Frauen in Deutschland. Sie habe es sich einfacher vorgestellt, Frauen in Führungspositionen zu bringen, räumt sie ein. Deshalb ihre Erkenntnis
nach 30 Jahren in der Politik: Freiwillige Selbstverpflichtungen bringen nichts, die Festlegung einer Mindestquote in den Vorständen sei notwendig gewesen. Auf die Frage, ob sie Unterschiede in der Zusammenarbeit mit Männern und Frauen festgestellt habe, antwortet die Bundeskanzlerin in der ihr eigenen Art: „Tendenziell gibt es bei Frauen eine gewisse Sehnsucht nach Effizienz.“Das klingt ein wenig so, als würde sich Merkel selbst beschreiben.
„Ich werde und bin gefordert, das wird sich bis zum letzten Tage meiner Amtszeit fortsetzen“, antwortet die Kanzlerin auf die Frage, ob sie bereits nostalgische Gefühle habe. Die Herausforderungen – gerade mit Blick auf die Corona-Pandemie und die Hochwasser-Katastrophe – seien gewaltig. Und was erwartet sie sich nach 16 Jahren an der Regierungsspitze von der Zeit danach, wenn sie sozusagen Politik-Rentnerin ist? „Ich werde dann schon mit der Zeit etwas anfangen können“, sagt sie dazu lapidar.