Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die EZB bleibt weiter locker
Notenbank belässt den Leitzins im Euroraum auf Rekordtief von null Prozent – Sorgen um weitere Pandemie-Entwicklung
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FRANKFURT - Mit steigenden Zinsen ist weiter nicht zu rechnen. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) bleibt locker, auch wenn die Wirtschaft sich weiter erholt. Sorgen aber bereitet der Notenbank die weitere Pandemieentwicklung.
Unsicher sei noch, ob die DeltaVariante wieder zu stärkeren Einschränkungen führen werde. Deshalb behält die EZB ihre aktuelle Geldpolitik bei, mehr noch: Sie wird die Zinsen wahrscheinlich noch länger auf ihrem aktuell sehr niedrigen Niveau belassen. Das ist das Ergebnis der Ratssitzung der EZB am Donnerstag.
Die war mit Spannung erwartet worden, weil die Notenbank vor zwei Wochen ihre Strategie neu definiert hatte. Nun hat sie sich ein Inflationsziel von zwei Prozent gesetzt, wobei sie aber auch ein vorübergehendes Überschießen duldet. Zuvor sollte die Preissteigerung mittelfristig bei „unter, aber nahe zwei Prozent“liegen.
„Während die Risken neuer Infektionswellen offenbar stark beachtet werden, ist das Interesse für die unverkennbaren Signale einer beginnenden Überhitzung von Teilen der Wirtschaft gering“, kritisierte Friedrich Heinemann, Ökonom des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, den EZB-Beschluss.
Man schaue sich drei Etappen der Preisentwicklung an, erklärte EZBPräsidentin
Christine Lagarde nach der Sitzung des EZB-Rats. Dabei komme es vor allem darauf an, ob das Ziel von zwei Prozent nicht nur vorübergehend erreicht werde. Dabei hat die Notenbank die mittelfristige Perspektive im Blick. Mittelfristig ist für die EZB der Zeitraum von drei Jahren, also aktuell bis 2023. Im Juni sind die Preise im Euroraum zwar um 1,9 Prozent gestiegen, sie dürften im Jahresverlauf auch weiter zulegen. Doch für das kommende Jahr erwartet die Notenbank nur noch eine Inflation von 1,4 Prozent – also deutlich niedriger als aktuell. Denn dann dürften die Energiepreise nicht mehr so stark zulegen, die Lieferprobleme für Baumaterialien gelöst sein, die diese aktuell so verteuern, und schließlich der Effekt der vorübergehenden Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland verschwunden sein.
Diese Preissprünge sehe die Notenbank, sie schaue aber auch auf deren Effekte, sagt David Kohl, Chefvolkswirt des Bankhauses Julius Bär. Denn die bewirkten, dass die Nachfrage zurückgeht.
Dann weite sich in diesen Bereichen das Angebot aus, aber die Preise steigen nicht mehr. Wenn sie aber kontinuierlich leicht kletterten und das dauerhaft, dann verstetigt sich diese Entwicklung, dann würde es für die EZB Zeit, zu handeln. Doch noch befinde man sich an der unteren Grenze, und das bedeutet der EZB-Präsidentin zufolge: „Wir müssen besonders kraftvoll antworten und beharrlich sein.“Wenn aber die zwei Prozent nicht nur vorübergehend erreicht seien, „dann werden andere Entscheidungen getroffen“, sagte sie.
Erst dann also könnten die Zinsen gegebenenfalls wieder steigen. So bleibt es auch bei den Anleihekäufen, die die EZB, wie sie schon zuvor deutlich gemacht hatte, im laufenden Quartal sogar noch ausweiten will, obwohl der Wirtschaftsaufschwung an Tempo gewinnt. Über die Zukunft der Anleihekäufe sei aber im Rat nicht diskutiert worden, sagte Lagarde nach der Sitzung.
Das Notfallprogramm PEPP will die Notenbank noch mindestens bis März kommenden Jahres weiterführen. Über eine Ausstiegsstrategie zu diskutieren, dazu sei jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt, hatte die EZB-Präsidentin schon in der vergangenen Woche gesagt. Die Geldpolitik bleibt also weiter locker, Wirtschaft und Sparer würden „leider noch lange Zeit mit Negativzinsen leben müssen. Und dies trotz deutlich steigender Preise“, sagte Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken.