Schwäbische Zeitung (Biberach)
Stuttgarts Bahnhof bröckelt
Loch in der Außenfassade des denkmalgeschützten Gebäudes – Was das für das Bahnprojekt Stuttgart 21 bedeutet
●
STUTTGART (dpa) - Seit Jahrzehnten schon laufen die Planungen für das milliardenschwere Bahnprojekt Stuttgart 21. Seit fast ebenso langer Zeit macht das Vorhaben Schlagzeilen – immer wieder geht es um ausufernde Kosten. Dieses Mal im Fokus: ein Loch in der Außenfassade.
In der Nacht zum Dienstag hatten sich an am denkmalgeschützten Gebäude des Hauptbahnhofs, dem Bonatzbau, mehrere Steine aus der Fassade gelöst und ein Loch von rund drei Metern Durchmesser hinterlassen. Verletzt wurde niemand, die Höhe des Schadens durch den Abbruch der Steine blieb zunächst unklar. Experten der Deutschen Bahn sowie Statiker waren vor Ort, um weitere Maßnahmen abschätzen zu können. Der Bahnverkehr war nicht beeinträchtigt. Passagiere wurden über das Gelände der Landesbank BadenWürttemberg und den Schlossgarten zu den Zügen umgeleitet.
Das fast 100 Jahre alte Empfangsgebäude und Wahrzeichen Stuttgarts wird seit 2019 von der Deutschen Bahn saniert. Die Steine fielen oberhalb zweier Fenster heraus, aus einer Höhe von etwa 15 Metern. Die Feuerwehr setzte Sonderfahrzeuge ein, mit einer Drehleiter erkundeten sie die Bruchstelle.
Ein Sprecher der Deutschen Bahn gab zunächst nur spärliche Informationen preis: „Wann genau die letzten
Arbeiten hinter dem Fenster stattgefunden haben, entzieht sich meiner Kenntnis.“Und: „Die Deutsche Bahn hat noch in den frühen Morgenstunden mit Hochdruck begonnen, gemeinsam mit einem Expertenteam zu ermitteln, warum sich die Fassadenteile lösen konnten. Sobald das weitere Vorgehen feststeht, wird die Deutsche Bahn über die weitere Entwicklung informieren.“
Laut Plan erhält das Bauwerk im Zuge der Modernisierung ein neues Tragwerk und moderne Gebäudetechnik. Das Äußere soll jedoch erhalten bleiben. Bringt der Zwischenfall den Zeitplan des umstrittenen Großprojekts Stuttgart 21 durcheinander? Nein, betonte der Bahnsprecher. „Verzögerungen im Projekt Stuttgart 21 sind nicht zu erwarten.“In dem betroffenen Bereich des Gebäudes seien früher Büroräume gewesen.
Der umstrittene Bahnhof mit einem Kostenrahmen von 8,2 Milliarden Euro soll nach diversen Kostensteigerungen und zeitlichen Verschiebungen 2025 fertig sein. Im Finanzierungsvertrag zwischen Bahn,
Land und weiteren Partnern waren 2009 noch 4,5 Milliarden Euro festgelegt worden. Im Rahmen des Großprojektes wird der bestehende Kopfbahnhof durch einen tiefergelegten und um 90 Grad gedrehten Durchgangsbahnhof ersetzt. Die Planungen für die Modernisierung des Bonatzbaus wurden von der Bahn, der Stadt, den Denkmalschutzbehörden und dem Architekturbüro Ingenhoven entwickelt. Der Entwurf sieht vor, die bestehenden, prägenden Gebäudeteile des Baus – Turm, Kopfbahnsteighalle, Mittelaufgang sowie kleine und große Schalterhalle – zu erhalten und durch das neue Tragwerk zu entlasten.
Dagegen regten sich nach dem Baubeginn heftige Proteste. Im Sommer 2010 gingen Zehntausende Stuttgart-21-Gegner auf die Straße. Ganz Deutschland blickte auf die Schwabenmetropole und deren „Wutbürger“, die gegen den Bau protestierten.
Am „Schwarzen Donnerstag“im September 2010 eskalierte der Konflikt zwischen Gegnern und Polizei. Polizisten traktierten Demonstranten gegen das Bauvorhaben mit Schlagstöcken und Pfefferspray. Wasserwerfer zielten auf Menschen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart erklärte den Einsatz im November 2015 für rechtswidrig. Der eskalierte Polizeieinsatz führte unter anderem auch zu einer Schlichtung, Untersuchungsausschüssen im Landtag und einer Volksabstimmung.