Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zaghafter Rückenwind
Noch ist das klassische Sportboot auf dem Bodensee mit einem Achtzylinder ausgestattet – Südwest-Minister Hermann fordert bis 2035 klimaneutralen Verkehr auf dem See – Doch wie realistisch ist das?
RADOLFZELL - Die Abendsonne glitzert auf dem Bodensee, nur leichte Wellen schlagen sanft an den Bug der Helio. Ruhig und gemächlich gleitet das Ausflugsboot durchs Wasser, Enten und Schwäne tummeln sich ganz nah an der Steuerbordseite. Laute Geräusche oder Abgase, die sie vertreiben könnten, gibt es nicht. Denn die Helio ist ein Solarschiff. Fast geräuschlos und im Betrieb völlig klimaneutral fährt der Katamaran mit den auffälligen Photovoltaikzellen auf dem abgerundeten Glasdach knapp 50 Menschen kreuz und quer über den Untersee zwischen Radolfzell und Insel Reichenau. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre an Bord, einzig die Motoren- und Wellengeräusche rasant vorbeizischender Sportboote stören ab und an die Stille. Könnte irgendwann der gesamte Verkehr auf dem Bodensee so emissionsfrei dahingleiten wie die Helio?
Ein Schiff, das die notwendige Energie aus dem Sonnenlicht bezieht, dürfte nach dem Geschmack des grünen Landesverkehrsministers Winfried Hermann sein. Bei einer Ausstellung zu innovativer Mobilität auf der Überlinger Landesgartenschau forderte er jüngst mehr Anstrengungen, um den Verkehr auf und rund um den Bodensee klimaneutral zu gestalten. „Dazu zählt der Straßen- und der Schienenverkehr ebenso wie die gewerbliche und private Schifffahrt“, stellte der Minister klar. Die Region solle sich auf ein Ziel verständigen, bis wann die Schiffe auf dem See klimaneutral werden, schlug er vor – und wurde direkt selbst konkret: „2035 ist mit Anstrengung aller machbar. Das wäre gut fürs Klima und für die Attraktivität des Sees. Die Bodenseeregion könnte Vorreiter und Vorbild werden.“
Ganz neu sind solche Überlegungen nicht, was sich schon allein daran zeigt, dass die Helio mittlerweile schon 20 Jahre auf dem Bug hat. Das 20 Meter lange Schiff, dessen Motor von zwei Lithium-Ionen-Akkus gefüttert wird, die wiederum von der gespeicherten Sonnenenergie gespeist werden, wurde noch in DMark bezahlt. 500 000 habe es im Jahr 2000 gekostet, sagt Matthias Mink, der seit eben dieser Zeit als einer von fünf Schiffsführern regelmäßig am Steuer der Helio steht. „Entwickelt hat das Schiff die Kopf AG aus Balingen“, erzählt er. „Der Herr
Kopf war ein Spinner im positiven Sinne. Vor 20 Jahren hat ja sonst kaum jemand von Elektromobilität gesprochen.“Der 59-jährige Mink teilt sich die Arbeit am Steuer und mit den Gästen an diesem Abend mit seinem Kollegen Rudi Heinemann. Für beide sind die Ausflugsfahrten mit der Helio mehr Leidenschaft als Beruf. Mink ist noch in einem anderen Beruf tätig, der 77-jährige Heinemann ist Pensionär. „Geld verdienen können wir mit diesen Fahrten nicht wirklich“, sagt er. „Aber wir sagen immer: Es gibt Schlimmeres, als mit einem Schiffchen über den Bodensee zu fahren“, fügt er lächelnd hinzu.
Seit Juni ist die Helio an die Kurbetriebe Mettnau angedockt und legt für Charter- oder Sonderfahrten vom Mettnau-Steg in Radolfzell ab – aber nur wenn das Wetter es zulässt. „Die Helio ist natürlich ein Schönwetterkahn“, sagt Mink. Bei Sturm und hohen Wellen reiche die Kraft des Motors, der es immerhin auf etwa 20 Pferdestärken bringe, nicht aus. „Außerdem
sind wir durch die Bauweise anfällig für starken Wind.“Mit einer Maximalgeschwindigkeit von zwölf Stundenkilometern ist die Helio ohnehin eher für gemütliche Fahrten geeignet. Für die allerdings ist sie bestens ausgestattet. „Bei einer Geschwindigkeit von sieben oder acht Kilometern in der Stunde können wir etwa zwölf Stunden fahren, auch in der Nacht“, erzählt Schiffsführer Mink. „Mit neuer Technologie könnten wir die Leistung sicher verdreifachen“, sagt er. „Aber wozu auch?“.
Für die kleinen Fahrten auf dem tendenziell ruhigen Untersee reichen die Reserven aus, doch für den gewerblichen Verkehr aus Autofähren und großen Kursschiffen ist auch modernste Solartechnologie noch nicht gerüstet. Die Stadtwerke Konstanz gaben deshalb schon 2017 ein Mammutprojekt in Auftrag: Eine Fähre, die statt von einem Schiffsdiesel von zwei kräftigen Flüssiggasmotoren angetrieben werden soll. 746 Kilowatt leisten die Motoren, die der
Friedrichshafener Motorenbauer MTU entwickelt hat. Doch es gibt ein Problem: Die Fähre, die eigentlich schon seit 2020 zwischen Meersburg und Konstanz verkehren sollte, liegt seit Monaten unfertig im Konstanzer Hafen. Die Hamburger Werft Pella Sietas, die für den Bau beauftragt wurde, hat im Juli Insolvenz angemeldet, die Geschäftsführerin der Werft ist nicht mehr erreichbar. Im Oktober wird das Insolvenzverfahren eröffnet. Schon vorher war es beim Bau immer wieder zu Verzögerungen und Unstimmigkeiten zwischen Auftragnehmer und -geber gekommen.
Die Stadtwerke Konstanz wissen momentan nicht genau, wie es um ihr Projekt steht. Man sei im Austausch mit dem Insolvenzverwalter, einen neuen Stand gebe es aber nicht zu vermelden, sagt ein Sprecher. Man habe aber Ausweichpläne in der Hinterhand, falls die Hamburger ihre Arbeit nicht beenden könnten. Sollte die Fähre eines Tages doch noch fertig werden und wie geplant die 50 Jahre alte Dieselfähre Fontainebleau ablösen, könnte sie laut Auskunft der Stadtwerke zumindest theoretisch klimafreundlich fahren. Statt mit herkömmlichem fossilem Flüssiggas, das aufgrund von Methan-Abfallprodukten keine ganz saubere Klimabilanz aufweist, ließe sie sich auch mit Biogas oder perspektivisch sogar mit sogenannten synthetischen Treibstoffen antreiben, die klimaneutral produziert werden können.
Bis die Gasfähre FS14 ablegt, könnte auch ein von den Bodenseeschifffahrtsbetrieben (BSB) in Auftrag gegebenes Elektroschiff über den Bodensee kreuzen. Schon Ende April 2022 soll das 300-FahrgästeSchiff, Projektname „Artemis“, vom Stapel laufen. Gebaut wird es von der Stralsunder Werft Ostseestaal. Sollte die „Artemis“sich bewähren, ist ein Schwesterschiff geplant. „Wir sehen das E-Schiff als ersten von vielen Bausteinen, mit denen wir die komplette Flotte auf umweltfreundliche Antriebe umstellen wollen“, sagt Christoph Witte, technischer Leiter der BSB. Derzeit stehen 13 Schiffe der sogenannte Weißen Flotte und sechs Fähren unter der gemeinsamen Verantwortung der BSB und der Konstanzer Stadtwerke. Sie transportieren in guten Jahren mehr als zwei Millionen Fahrgäste über den See. Die BSB planen für die Zukunft mit einer Mischung aus vollelektrischen
Schiffen mit Methanol- und Wasserstoffantrieben. „Der Bodensee soll Modellregion für eine klimaneutrale Zukunft der Binnen-Fahrgastschifffahrt werden“, führt Witte weiter aus. Es sind Worte, die Verkehrsminister Hermann gerne hören dürfte. Ihm sei es ein wichtiges Anliegen, dass der Diskussions- und Entscheidungsprozess Fahrt aufnehme, heißt es aus dem Ministerium. Noch stehe er aber am Anfang.
Konkret habe man zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium in diesem Jahr ein Förderprogramm für Landstrom für die Schifffahrt aufgelegt und sich dafür eingesetzt, dass dieses auch Ladeinfrastruktur für die gewerbliche Schifffahrt umfasse. „Dabei haben wir genau auch die Fähren und die Berufsschifffahrt am Bodensee im Blick“, schreibt ein Sprecher. Für die Zukunft seien aber noch weitere Anreize nötig und eine enge Absprache der Bodenseeanrainer, bei der sich Baden-Württemberg weiter einbringen werde.
Kritik an den bisherigen Maßnahmen und an den Worten des Verkehrsministers kommt aus der FDP. „Die Äußerungen sind das übliche grüne Blabla. Denn schon jetzt könnte man in der Schifffahrt mit synthetischen Kraftstoffen und zusätzlichen Hybrid-Motoren viel bewirken“, sagt Christian Jung, verkehrspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion. „Seit Jahren verweigert sich Minister Winfried Hermann und die grünschwarze Landesregierung in diesem Zusammenhang, in einem Pilotprojekt alte Dieseltriebwagen in Oberschwaben und am Bodensee mit zusätzlichen Elektro Power Packs auszurüsten, die von einem namhaften Unternehmen in Friedrichshafen gebaut werden. Dies würde auch bei Schiffen funktionieren“, führt Jung weiter aus.
Während für die gewerblichen Schiffe zumindest zukunftsweisende Projekte geplant sind, ist die Lage beim privaten Verkehr auf dem See noch unübersichtlich. So langsam wie die Helio gleiten sonst nur die Segler über den See – und selbst die verfügen meist über einen Dieselmotor für Flauten. Mehr als 60 000 Schiffe sind derzeit für den Bodensee in Deutschland, Österreich und
„Die Bodenseeregion könnte Vorreiter und Vorbild werden.“
der Schweiz zugelassen, die Zahl der elektrisch betriebenen darunter ist noch gering.
2020 waren beim Landratsamt Bodenseekreis 19 610 Vergnügungsfahrzeuge, also private Boote, zugelassen. Über einen Elektromotor verfügten davon lediglich 616. Eine geringen Zahl, doch kleine Trends sind schon erkennbar. Während die Zahl der reinen Motorboote im Vergleich zu 2018 um 6,1 Prozent abnahm, stieg die der E-Boote um zehn Prozent. Ralf Steck, Präsident des Segel-Motorboot-Clubs in Friedrichshafen, sieht trotzdem noch Schwierigkeiten für Elektroboote. „Ich glaube, bei den reinen Motorbootfahrern stoßen Vorschläge wie die von Minister Hermann häufig noch auf taube Ohren“, sagt er. Zu gering seien derzeit noch Reichweite und Leistungen, zudem reiche die Infrastruktur noch nicht aus. „Die Stege und Häfen am See sind für solche Zwecke nicht gut genug verkabelt. Wenn an einem Steg 50 bis 80 Boote abends zum Laden hängen, fliegen dort alle Sicherungen raus.“
Er selbst finde Hermanns Ansinnen „grundsätzlich nicht falsch“, doch man müsse sich fragen, ob die Wassersportler tatsächlich Priorität hätten, was klimaneutrale Antriebe betreffe. „Die Leute fahren mit ihren Booten am Sonntag vielleicht mal zwei oder drei Stunden auf den See und das auch nur während der Saison. Ich selbst bin Segler, fahre aber relativ viel mit Motor. Trotzdem komme ich im Jahr vielleicht auf 20 bis 25 Liter.“Bei aller Skepsis sagt aber auch Steck, dass klimaneutraler Verkehr bis 2035 vorstellbar sei. „Es kommt eben auf den Willen und auf die Technik an.“
Die Sonne, die die Akkus der Helio während der gesamten Fahrt gespeist hat, ist mittlerweile untergegangen, die kleine Fähre nähert sich dem Landungssteg. Fest vertäut liegt dort ein Motorboot. „V8, 200 Pferdestärken“, sagt Helio-Schiffsführer Rudi Heinemann. Es ist sein Sportboot, auf das er keinesfalls verzichten will. „Fürs Wasserskifahren reicht ein E-Motor einfach noch nicht aus“, sagt er. Wenn das allerdings einmal möglich sei, „wechsle ich sofort“.
Landesverkehrsminister Winfried
Hermann (Grüne)