Schwäbische Zeitung (Biberach)
Herr Krimmer, im Gebiet der Handwerkskammer Ulm haben zum 1. September 2622 Auszubildende neue Lehrverträge abgeschlossen. Das sind 17 mehr als im Vorjahr. Sind Sie zufrieden?
Wir sind im Plus. Das war schwierig und nicht selbstverständlich in diesem herausfordernden Jahr. Von daher sind wir sehr froh, dass wir das Corona-Jahr hinter uns lassen und wieder unseren Wachstumstrend aufnehmen konnten. Es sind aber auch noch 712 Ausbildungsplätze im Kammergebiet unbesetzt.
Durch den Bauboom sind Handwerker aktuell gefragt wie nie, die Perspektiven waren selten besser. Warum fällt es der Branche so schwer, ausreichend Nachwuchs zu rekrutieren?
Das hat unter anderem mit der noch immer fehlenden Gleichwertigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung zu tun. Ein Geselle, der sich entschließt, auf die Hochschule zu gehen, bekommt die Ausbildung dort mitsamt den Prüfungen kostenlos. Obendrauf gibts noch ein Studententicket für den öffentlichen Nahverkehr. Der gleiche Geselle, der sich entschließt, den Meister zu machen, zahlt dafür bis zu 10 000 Euro – ohne Nahverkehrsticket. Zwar konnte das Handwerk in zähem Ringen mit der Politik die Auszahlung einer Meisterprämie von 1500 Euro durchsetzen, mit der Kurs und Prüfung zumindest teilweise bezahlt werden können. Doch bleibt nach wie vor eine erhebliche Lücke. Ich sage: Es muss sich auch finanziell zeigen, was uns berufliche Bildung wert ist.
Bleiben wir beim Geld. Ist es nicht auch so, dass die Verdienstperspektiven im Handwerk hinter denen in der Industrie zurückbleiben?
Das hat sich in den vergangenen ein, zwei Jahren geändert. Der Bauboom macht sich inzwischen auch auf den Gehaltsabrechnungen der Gesellen und Meister im Handwerk bemerkbar. Das merken wir ganz deutlich. Beim Verdienst gibt es, eine vergleichbare Qualifikation vorausgesetzt, keinen Unterschied mehr zu einem Industriejob. In der Industrie haben die Beschäftigten geregelte Arbeitszeiten. Das ist im Handwerk alles etwas kreativer. Vielleicht schreckt das manche Bewerberinnen und Bewerber ab. Oftmals kommt das Störfeuer aber auch aus dem Elternhaus.
Vater und Mutter eines potenziellen Handwerkslehrlings als Verhinderer?
Ja, durchaus. In weiten Teilen der Bevölkerung hält sich noch immer die Vorstellung, dass Karriere und sozialer Aufstieg nur mit einem Hochschulstudium gelingen. Doch das ist Unfug. Eine Handwerkslehre ist kein Scheitern, sondern oftmals die richtige Entscheidung. Handwerker werden in den nächsten fünf Jahren doppelt so stark gefragt sein, wie Akademiker. Wer ordentliche Arbeit leistet, dem stehen Tür und Tor offen. Das hat sich aber noch längst nicht bei allen Eltern herumgesprochen. Ich kann nur jedem jungen Menschen raten, eine Ausbildung im Handwerk zu machen. Die Berufsfelder sind vielfältig und interessant – es ist für jeden etwas dabei.
Warum verfangen diese Argumente nicht?
Dass diese Argumente nicht verfangen, würde ich nicht sagen. In den Jahren vor der Pandemie haben sich die Betriebe im Gebiet der Handwerkskammer Ulm stets über mehr Auszubildende gefreut – und das trotz des demografischen Wandels mit sinkenden Schülerzahlen und dem Drang zum Studium. Lediglich im Corona-Jahr 2020 hatten wir bei den Ausbildungszahlen wegen geschlossener Schulen und einer erschwerten Berufsorientierung einen Rückgang. Eine tolle Entwicklung sehen wir auch beim Anteil an Abiturienten an der Gesamtzahl der Auszubildenden, der inzwischen bei gut 15 Prozent liegt. Früher haben wir an Gymnasien keinen Fuß in die Tür bekommen.
Dennoch: Den Fachkräftemangel im Handwerk, den inzwischen ja jeder Bürger am eigenen Leib spürt, der etwas bauen oder reparieren lassen will, werden diese Zahlen nicht beseitigen ...
Nein, das ist leider so. Wir laufen sogar Gefahr, in den kommenden Jahren viele Beschäftigte im Handwerk zu verlieren. Die geburtenstarken Jahrgänge von 1956 bis 1965 gehen sukzessive in Rente, und die Jahrgänge danach sind teilweise nur ein Drittel so stark. Dann werden die Betriebe zwangsläufig kleiner – bei einer hohen, wahrscheinlich sogar höheren Nachfrage nach Handwerksleistungen. Umso wichtiger ist es, auch ältere Mitarbeiter permanent weiterzubilden und mitzunehmen, damit diese sich im verändernden Berufsalltag nicht abgehängt fühlen. Denn die Anforderungen in den verschiedenen Handwerksberufen haben nicht mehr viel gemein mit denen vergangener Jahre. In diesenmPunkt sind noch längst nicht alle unsere Wünsche erfüllt.
Was wünscht sich das Handwerk denn?
Es braucht eine stärkere Unterstützung von Land und Bund für Weiterbildungsmaßnahmen, wenn man will, dass Großprojekte wie die
Höhere Materialpreise, steigende Handwerkerkosten, endlose Wartezeiten – sind am Ende die Kunden die Gekniffenen?
Der Markt hat sich gedreht. Der Vernichtungswettbewerb im Handwerk, der noch vor zehn Jahren an der Tagesordnung war, ist definitiv passé. Und das ist auch gut so. Leider sind Wartezeiten wegen des Baubooms und des Materialmangels und Fachkräftebedarfs an der Tagesordnung. Das ist nicht nur für die Kunden, sondern auch für die Handwerksbetriebe nicht schön. Die würden Aufträge viel lieber umgehend ausführen. An dieser Situation dürfte sich so schnell aber auch nichts ändern. Kunden kann ich nur raten, sich frühzeitig zu kümmern und Geduld mitzubringen. Das waren viele bisher nicht gewohnt.
Wer kann sich angesichts dieser Rahmenbedingungen perspektivisch denn noch Wohneigentum leisten?
Zunächst einmal: Höhere Handwerkerkosten sind für den Preisanstieg im Wohnungsbau nur in sehr geringem Maße verantwortlich. Preistreiber sind die immer schärferen gesetzlichen Anforderungen, beispielsweise für Brandschutz, Schallschutz oder Umweltschutz. Das mag für sich allein betrachtet alles sinnvoll sein – in der Summe sprengt es jedoch Maß und Mitte, und birgt sozialen Sprengstoff. Schließlich wollen sich auch künftig noch Menschen ein Haus bauen oder eine Wohnung kaufen, die keine Gehaltsmillionäre sind. In vielen Bereichen gibt es zwar üppige staatliche Förderungen, etwa beim Austausch alter Heizungen. Doch das ist für mich eine Milchmädchenrechnung. Wenn der Staat kein Geld mehr hat, gibt es auch keine Zuschüsse mehr.