Schwäbische Zeitung (Biberach)
Im Kampf gegen die Uhr will Tony Martin es wissen
Der viermalige Zeitfahrweltmeister freut sich auf den eigenwillig altmodischen WM-Kurs in Flandern
BRÜGGE (SID) - Tony Martin studierte neugierig Strecke und Profil und verliebte sich auf Anhieb in den Retro-Charme der WM-Herausforderung. „Die Zeitfahren sind komplexer und von der Streckenführung viel variabler geworden. Das am Sonntag ist fast ein Unikat, das gibt es so kaum noch“, sagte der deutsche Radprofi vor dem WM-Einzelzeitfahren in der belgischen Region Flandern: „Auf dem Papier sollte es eine Tony-Martin-Strecke sein.“
Weitgehend flach und lang ist das Rennen, das am Sonntag (ab 14.30 Uhr/Eurosport) über 43,3 Kilometer den Auftakt der einwöchigen Weltmeisterschaften bildet – und damit ganz nach dem Geschmack des viermaligen Titelträgers ist. Für Martins nostalgisches Schwärmen war das aber nicht der einzige Grund. Wenn der 36-Jährige an der Nordseeküste in Knokke-Heist die Jagd nach dem Regenbogentrikot beginnt, liegt sein erster Triumph fast auf den Tag genau zehn Jahre zurück. „Eine WM steht für mich mit vielen positiven Momenten in Verbindung“, sagte Martin, Kopenhagen 2011 sei dabei „sicher einer der besondersten. Ich freue mich auf das Umfeld und die Atmosphäre.“
Bei der WM in Dänemark gelang Martin damals der Durchbruch. Es war der Beginn einer Ära, in der der gebürtige Cottbuser fast jedes Zeitfahren dominierte. Auch bei Weltmeisterschaften ging der Sieg nur über den Deutschen. Auf Kopenhagen folgten die WM-Triumphe in Valkenburg (2012) und Florenz (2013). 2014 gewann er in Ponferrada Silber, zwei Jahre später stand Martin in Doha erneut auf dem Podest ganz oben.
In Zeitfahr-Zielort Brügge stehen die Chancen auf ein Topresultat nun so günstig wie lange nicht mehr. Ein schwerer Sturz bei der Tour de France im Juli hatte Martins ursprüngliche Planungen durchkreuzt, gab ihm aber auch Raum für eigene Ambitionen. Für ihn ist das inzwischen eine Seltenheit. Beim niederländischen TopTeam Jumbo-Visma ist er eine feste Größe, er opfert sich bei den großen Landesrundfahrten wie der Tour oder der Vuelta für Kapitäne wie Primoz Roglic auf. Eine gezielte Vorbereitung auf ein WM-Zeitfahren? Eigentlich unmöglich. Nach dem Tour-Aus gab Martin aber erst Anfang September bei der Tour of Britain sein RennComeback und stieg nach vier Etappen aus – eine Vorsichtsmaßnahme.
„Es ist eine Ausnahme, dass ich mich komplett zwei Monate auf die Zeitfahr-WM vorbereiten kann“, sagte Martin. Vor ein paar Jahren sei das noch gang und gäbe gewesen. „Ich hoffe, dass mir die wenigen Rennkilometer eine gewisse Frische bescheren. Ich bin positiv gestimmt.“