Schwäbische Zeitung (Biberach)
Qualität vor Quantität
Winzer im Südwesten erwarten nach Wetterkapriolen einen guten Jahrgang – Katzenjammer im Bioweinbau
STETTEN/RAVENSBURG - „Das sieht traumhaft aus.“Johannes Aufricht vom gleichnamigen Weingut in Stetten am Bodensee legt sich fest: Qualität und erwarteter Ernteertrag deuten auf ein gutes Jahr hin. Die Analysen von Zucker, Säuregehalt und Geschmack der Trauben, die er und seine Familie in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder durchgeführt haben, ließen darauf schließen. „Jetzt darf es nur nicht mehr regnen“, sagt der Winzer im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Er hofft auf einen trockenen Spätsommer, bis in einigen Tagen die Weinlese auf den rund 40 Hektar Rebfläche zwischen Meersburg und Hagnau beginnt.
In anderen Teilen Badens und Württembergs sind die Winzer bereits weiter – und weit weniger euphorisch als Aufricht. Im Anbaugebiet Baden wird der Ernteertrag im laufenden Jahr um rund 20 Prozent unter dem langjährigen Mittel liegen, sagte der Vize-Geschäftsführer des Badischen Weinbauverbands. In Zahlen sind das etwa 0,9 Millionen Hektoliter, nach 1,1 Millionen Hektolitern im Vorjahr.
Im Anbaugebiet Württemberg ist man nicht ganz so pessimistisch. Hermann Hohl, Präsident des Weinbauverbandes Württemberg, spricht, bezogen auf den Ernteertrag, aber dennoch von einem „leicht unterdurchschnittlichen Jahrgang“, und beklagt, dass die Branche in diesem Jahr „die volle Breitseite des Klimawandels“erlebt hätte. Die trockene Witterung der vergangenen Wochen sorge aber für einen qualitativ guten Jahrgang. Denn die entscheidenden Wochen für die Traubenqualität sind kurz vor der Ernte. Und die startet offiziell an diesem Montag.
Spätfröste im April, ausgedehnte Nässeperioden im Sommer und Hagel haben den Betrieben 2021 zugesetzt. Besonders betroffen waren Biowinzer, denen der Falsche Mehltau, eine Pilzkrankheit, die Blätter und Beeren befällt, örtlich Totalausfälle bescherte. Die mittelbadische Ortenau beispielsweise rechnet wegen der diesjährigen Wetterkapriolen mit Ertragseinbußen von rund 40 Prozent, teilte das Offenburger Landratsamt mit.
Aufricht hingegen hatte Glück – zumindest was Frostschäden angeht. Der Bodensee hat dem Kälteeinbruch Anfang April den Schrecken genommen, und – einer Wärmflasche gleich – die ufernahen Weinhänge unbeschadet durch die frostigen Nächte gebracht. „Ein oder zwei Frostnächte kann der See wegschlucken“, sagt Aufricht. Doch die nassen
Wochen im Sommer haben ihn und seine Familie extrem gefordert. An einen Einsatz von Technik – etwa um das von unten in die Trauben wachsende Gras zu mähen – war wegen der aufgeweichten Böden nicht zu denken. Zugleich mussten die Blätter in der Traubenzone der Reben rasch entfernt werden, damit die Trauben nach dem vielen Regen schneller abtrocken und dadurch weniger leicht faulen.
Unter dem Strich haben sich die Anstrengungen der 16 Mitarbeiter des Weinguts Aufricht gelohnt: Johannes Aufricht, der in dritter Generation auf dem elterlichen Weingut Verantwortung übernimmt, rechnet mit einem „20 bis 25 Prozent höheren Ertrag“als in den vergangenen Jahren. Zuletzt hatten schwierige Witterungsbedingungen allerdings auch für eine eher unterdurchschnittliche Weinlese gesorgt.
Im Kampf gegen Starkfrost, Hagel und Starkregen will Baden-Württemberg Obst- und Weinbauern deshalb stärker unter die Arme greifen. Ertragsversicherungen gegen diese Risiken sollen vom Land gefördert werden, ein entsprechendes Pilotprojekt wird nun auf Dauer angelegt. „Die Zahl der teilnehmenden Obst- und Weinbaubetriebe bestätigt, dass der eingeschlagene Weg richtig ist und auf breite Akzeptanz trifft“, erklärte Agrarminister Peter Hauk (CDU) vor wenigen Tagen.
Die vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass mehr für den Schutz gegen Frostschäden und gegen Trockenheit getan werden müsse, sagte der Ressortchef. Die langen Nässeperioden in diesem Jahr hätten wiederum die schnelle Ausbreitung von Pilzkrankheiten in den Reben begünstigt. Das hat vor allem die Biowinzer zum Verzweifeln gebracht. Denn dem Falschem Mehltau ist mit ökologisch erlaubten Pflanzenschutzmitteln wie Kupferpräparaten kaum beizukommen.
Diese Mittel müssen vor einer Pilzinfektion auf die Reben aufgebracht werden. Starker Blattzuwachs sowie Regen, der den Belag abwäscht, erfordern in sehr feuchten Jahren mehrere Behandlungen. Doch die maximal mögliche Menge an solchen Präparaten ist in Deutschland – sowohl für konventionell als auch für ökologisch wirtschaftende Betriebe – auf jährlich drei Kilogramm Reinkupfer pro Hektar begrenzt. Winzer in anderen Ländern dürfen die doppelte Menge verwenden.
Das Landwirtschaftsministerium hatte sich auf europäischer Ebene vergeblich für die Zulassung von Kaliumphosphonat als Pflanzenschutzmittel im Bioweinbau eingesetzt. Dieses Mittel hat eine gute Wirkung gegen Falschen Mehltau und war bis 2013 auch im Ökoweinbau einsetzbar. Doch 2012 stufte die EU Kaliumphosphonat als Pflanzenschutzmittel ein, wodurch es die Zulassung für den Bioweinbau verlor.
Für Johannes Aufricht macht der Einsatz von Kaliumphosphonat in Jahren wie 2021 den Unterschied zwischen „Nullertrag und einer guten Ernte“, und ist ein Grund, warum 90 Prozent der Rebflächen des Weinguts Aufricht lediglich „an Bio angelehnt“bewirtschaftet werden, wie der Winzer sagt. Aufricht verzichtet auf diesen Flächen auf den Einsatz von Glyphosat und Mineraldünger, nicht jedoch auf Kaliumphosphonat.
Nur auf den verbleibenden zehn Prozent wirtschaftet die Familie biologisch.
Die Ausfälle in diesem Jahr dürften die Diskussion um eine Wiederzulassung von Kaliumphosphonat im Bioweinbau erneut anheizen. Vor fünf Jahren, 2016, hatten Biowinzer ein ähnliches Mehltau-Problem wie in diesem Jahr. Damals sattelten nicht wenige Ökowinzer wieder auf die konventionelle Bewirtschaftung um. Doch das Land Baden-Württemberg möchte den ökologischen Anbau stark steigern. Bis 2030 soll er auf 30 bis 40 Prozent der Fläche ausgedehnt werden.
Ziel, auch der Forschung, müsse es daher sein, Reben widerstandsfähiger gegen den Pilzbefall zu machen, sagte Hauk bei einem Ortstermin in der Ortenau vor einigen Tagen. Doch der Umstieg auf „Piwis“– neu gezüchtete, pilzwiderstandsfähige Rebsorten – geht nicht von heute auf morgen. Und dass die Verbraucher von Riesling und Spätburgunder zu Johanniter und Pinotin wechseln, um den deutschen Ökoweinbau zu retten, ist unwahrscheinlich.