Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Langweilige Körpersprache kommt gut an“
Buchautor Stefan Verra über Gesten und Mimik von Politikern
BERLIN – SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz vermittelt mit seiner sparsamen Gestik und Mimik Seriosität, während Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Unions-Mann Armin Laschet widersprüchliche Signale aussenden – das hat der Körpersprachen-Experte Stefan Verra analysiert.
Was fällt Ihnen auf, wenn Sie das Foto vom Treffen der FDP- und Grünen-Spitzenleute sehen? Körpersprachlich lässt sich aus Fotos nicht seriös etwas herauslesen. Da gar nicht klar sein kann, in welcher Situation ein Foto aufgenommen wurde, wird jeder Betrachter seine eigenen Vorstellungen in ein solches Bild hineininterpretieren.
Wollen aber zum Beispiel die Männer auf dem Bild mit ihren offenen Hemdknöpfen nicht vermitteln: Jetzt geht’s ans Werk?
Diese Interpretation liegt zwar nahe, aber bei Fotos ist die Wirkung sehr unterschiedlich. Wenn jemand die Parteien nicht mag, wird er vielleicht sagen: Die nehmen die Sache nicht ernst genug.
Die Grünen-Chefin Baerbock war lange ganz oben, dann kam der Absturz. Merkt man das ihrer Körpersprache an?
Annalena Baerbock ist unter den Spitzenkandidaten eigentlich die körpersprachlich vielfältigste. Sie kann große Bewegungen machen, lächelt sehr viel, kann aber auch sehr nachdrücklich blicken. Mit ihren großen, schnellen Bewegungen zeigt sie Enthusiasmus. Das Problem ist, dass sie, als sie unter Druck geriet, zwar weiterhin ihre ausladenden Bewegungen machte, dabei aber oft mitten in der Bewegung stehenblieb. Oder sie breitete die Arme aus, zog sie aber schnell wieder zurück. Als wenn sie auf eine heiße Herdplatte gekommen wäre.
War das Unsicherheit?
Ihren Bewegungen hat es da an Stabilität gefehlt. Und das kann dazu führen, dass die Wählerinnen und Wähler das als Unsicherheit wahrnehmen.
Worin unterscheidet sich die Körpersprache von Christian Lindner und Robert Habeck?
Zunächst: Was beide verbindet, ist, dass beide sehr wenig lächeln. Dabei wäre Lächeln wichtig, weil es Leichtigkeit und damit Souveränität vermittelt. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden ist, dass Habeck in seinen Bewegungen sehr sparsam ist. Lindner verfügt über die deutlich geschliffenere Körpersprache, etwa indem er seine Hand auch mal auf das Rednerpult niedersausen lässt. Damit vermittelt er mehr Kraft, aber auch mehr Aggressivität als sein Kollege von den Grünen.
Wieso finden plötzlich viele Menschen die stark reduzierte Körpersprache eines Olaf Scholz so überzeugend?
Es ist stabil und das wirkt berechenbar. Angela Merkels Raute ist ein ähnlicher Fall. Und dann fiel der Wahlkampf in eine Phase, in der sich viele Menschen nach der Zeit vor Corona sehnten, nach Normalität, „wie es früher mal war“. Da kommt eine eher unaufgeregte, „langweilige” Körpersprache offenbar gut an.
Wie empfinden Sie die Körpersprache von Armin Laschet?
Ich will Herrn Laschet politisch nicht bewerten. Aber die CDU hätte bei seiner Aufstellung als Kanzlerkandidat wissen können, dass er körpersprachlich sehr ungeschickt ist. Ganz schwierig wurde es, als er in den Triellen im Fernsehen versuchte, aggressiv und zornig zu wirken, am Ende seiner Ausführungen aber oft einen halben Schritt zurücktrat und halb zu lächeln begann. Die Bandbreite von versuchtem Auftreten zum tatsächlichen Ergebnis war so groß, dass man es als Wählerin oder Wähler schwer hat, einen emotionalen Anknüpfungspunkt zu finden.
Kann man anhand der Körpersprache des Spitzenpersonals schon erkennen, auf welche Koalition es am Ende hinauslaufen wird?
Nein, das ist nicht möglich. Das wäre, als wenn man mit einer Wünschelrute vorgehen würde.