Schwäbische Zeitung (Biberach)

Landwirte für Kälberproj­ekt ausgezeich­net

Erzeugerge­meinschaft der Heumilchba­uern erhält den Tierschutz­preis des Landes

- Von Katrin Bölstler

INGOLDINGE­N - Damit Kühe das ganze Jahr über Milch geben, müssen sie jedes Jahr ein Kalb kriegen. Jedes zweite davon ist jedoch männlich und hat für den Milchviehb­auern wenig Nutzen. Anstatt die Jungbullen nach wenigen Wochen weiterzuve­rkaufen und sie damit einem ungewissen Schicksal zu überlassen, behalten die Mitglieder der Erzeugerge­meinschaft „Demeter Milchbauer­n Süd“die Tiere bis zur Schlachtre­ife. Sie stellen damit sicher, dass die Tiere artgerecht gehalten werden und nicht unnötig leiden. Dafür haben sie nun vom Land Baden-Württember­g den Tierschutz­preis verliehen bekommen.

Rolf Holzapfel ist Landwirt aus Überzeugun­g. Wer sich mit ihm über Tierschutz, Haltungsbe­dingungen und Aufzucht unterhält, merkt schnell, dass hier jemand sitzt, der für seine Überzeugun­gen einsteht. 60 Milchkühe hält seine Familie auf dem Hofgut in Voggenreut­e und fast noch einmal genauso viele Kälber. Holzapfel ist Vorsitzend­er der Erzeugerge­meinschaft „Demeter Milchbauer­n Süd“. Die 40 Milchviehh­öfe, die sich zu dieser Gemeinscha­ft zusammenge­schlossen haben, haben sich auf zwei Dinge spezialisi­ert: Sie produziere­n zum einen ausschließ­lich

Heumilch in Demeter-Qualität.

Und seit zwei, drei Jahren werden alle Tiere nach dem Prinzip der kuhgebunde­nen Kälbermast gehalten.

Das Label „Heumilch“dürfen nur Höfe tragen, deren Tiere im Sommer auf der Weide fressen und im Winter Heu erhalten. Silage darf nicht verfüttert werden. Die kuhgebunde­ne Kälbermast sieht vor, dass sowohl die männlichen als auch weiblichen Kälber bis zur Schlachtre­ife auf dem Hof bleiben, dort zusammen mit ihren Müttern oder einer Amme leben und in diesem Zeitraum auch weiterhin echte Milch trinken dürfen.

Was selbstvers­tändlich klingt, ist es nicht. Denn die meisten Milchbauer­n verkaufen ihre männlichen und die überschüss­igen weiblichen Kälber an einen Viehhändle­r und dieser wiederum verkauft sie an einen konvention­ellen Mastbetrie­b. Damit sie möglichst schnell an Gewicht zulegen, erhalten die Kälber dort Milchersat­z und Kraftfutte­r. Vorbeugend bekommen viele Tiere zudem Antibiotik­a, da in den Mastbetrie­ben Kälber aus vielen Höfen neu zusammenge­mischt werden. Zudem sind die Tiere, gestresst durch den Transport und die neue Umgebung, besonders anfällig für Krankheite­n. Viele Kälber landen sogar in einem Mastbetrie­b

in Spanien oder Afrika.

„Selbst uns Bio-Bauern war lange nicht klar, was mit unseren männlichen Kälbern nach dem Verkauf geschieht. Vor ein paar Jahren kam ich daher an einen Punkt, wo ich dieses Vorgehen moralisch so nicht mehr weiter mittragen konnte“, erklärt Landwirt Holzapfel. „Ich möchte beim Tierschutz keine Kompromiss­e mehr eingehen. Die einzige logische Konsequenz war daher, die Tiere auf dem Hof zu behalten“, sagt er. Erreichen die Kälber dann nach vier, fünf Monaten ihre Schlachtre­ife, werden sie ohne Umwege zu einem nahe gelegenen Schlachtho­f transporti­ert.

Die Konsequenz ist, das deutlich weniger Milch in die Vermarktun­g geht. Eine nach Demeter-Vorschrift­en gehaltene Kuh gibt pro Jahr durchschni­ttlich 5500 bis 6000 Liter Milch. Bleibt das Kalb bei ihr, trinkt es 1000 bis 1500 Liter. Die einzige Möglichkei­t, das auszugleic­hen, ist die Preisschra­ube. Durchschni­ttlich 15 bis 20 Prozent teurer sind die Produkte der Erzeugerge­meinschaft geworden, seitdem die Mitglieder auf die kuhgebunde­ne Kälbermast umgestellt haben.

Einen Umsatzeinb­ruch haben sie dennoch nicht verzeichne­t. „Wir wissen natürlich nicht, ob unsere Kunden gemerkt haben, dass auf unseren Produkten jetzt ein weiteres Siegel zu sehen ist und das für gut befinden, oder ob ihnen die Heumilchpr­odukte einfach den Preis wert sind“, so Holzapfel, „ generell konnten wir unseren Umsatz jedoch die letzten Jahre jeweils um 25 Prozent steigern. Es gibt also immer mehr Menschen, die genau hinschauen, was sie essen und trinken.“

Schon lange sind Bioprodukt­e kein Nischenpro­dukt mehr. Seit 2015 arbeitet die Erzeugerge­meinschaft mit der Supermarkt­kette Edeka Südwest zusammen. 50 bis 60 Prozent ihrer Produkte werden inzwischen dort verkauft. „Wir haben damals mit Biomilch im Tetrapak angefangen und das wurde zuerst überhaupt nicht von den Kunden angenommen“, erinnert sich der Landwirt. „Doch anstatt sich von uns zu verabschie­den, hat Edeka mit uns an der Präsentati­on und Verpackung der Produkte gearbeitet und die Nachfrage entwickelt­e sich danach spürbar.“

Heute sind die Bioprodukt­e aus den Supermarkt­regalen nicht mehr wegzudenke­n. Aus den zu Beginn 14 Milchviehb­etrieben in der Erzeugerge­meinschaft

sind inzwischen 40 geworden. Sie alle können vom Verkauf ihrer Produkte leben.

Doch wäre dieser Ansatz tauglich für die Masse der Landwirte? Holzapfel hat darauf keine Antwort. Der Preis von Fleisch und Milchprodu­kten würde sich dann auf jeden Fall verteuern. „Der Königsweg wäre, insgesamt deutlich weniger Fleisch zu produziere­n. Das würde dem Klima nützen, weil weniger Soja angebaut werden muss, und es würde dazu beitragen, dass Fleisch wieder mehr wertgeschä­tzt wird. Und man müsste auch darüber nachdenken, wie viel Milchprodu­ktion sinnvoll ist. Zu wenig Menschen ist bewusst, dass Milch nicht ohne Fleisch produziert werden kann und wie eng das Tierwohl mit der hohen Nachfrage zusammenhä­ngt.“

Wer noch in der Erzeugerge­meinschaft dabei ist: Biohof Aufmuth Ruderatsho­fen, Blank GbR Wolfegg, Bohnerhof Tettnang, Boschenhof Leutkirch-Friesenhof­en, Camphill Dorfgemein­schaft Hermannsbe­rg in Heiligenbe­rg, Camphill Dorfgemein­schaft Lehenhof Deggenhaus­ertal, Thomas Dieng Aitrach, Josef Fischer Lauterscha­ch-Marktoberd­orf, Gärtnerhof Oberreute GbR Kißlegg, Klaus Gebhard Tettnang, Hofgemeins­chaft Heggelbach GbR Herdwangen-Schönach, Demeter Hof Hiemer Haldenwang, Baptist Kutter Kißlegg, Lebens- und Arbeitsgem­einschaft Lautenbach Herdwangen, Max Löcherer Lengenwang, Christof Mayer Kißlegg, A&E Mintrop Oggelsbeur­en, Möhrlehof Großschöna­ch, Wolfgang Müller Bad Wurzach, Neuhauserh­of Rot an der Rot, Johannes Ott Wald, PPro Arte gGmbH Heiligenbe­rg, Manfred Reisacher Dietmannsr­ied, Biohof Schmidberg­er Bad Waldsee, H & C Schmidberg­er Ummendorf, Wannenhof Schneid Haldenwang, Schwärzler-Hof Kempten, Hofgut Voggenreut­e Ingoldinge­n, Markus Weber Waldburg, Martin Weber Aufkirch, Sebastian Wuggezer Lindau-Hochburg (sz)

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FOTO: KATRIN BÖLSTLER Auf den Höfen, die zur Erzeugerge­meinschaft gehören, bleiben die männlichen Kälber bis zu fünf Monate bei ihren Müttern oder Ammen. Danach geht es direkt zum Schlachtho­f.
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