Schwäbische Zeitung (Biberach)
Landwirte für Kälberprojekt ausgezeichnet
Erzeugergemeinschaft der Heumilchbauern erhält den Tierschutzpreis des Landes
INGOLDINGEN - Damit Kühe das ganze Jahr über Milch geben, müssen sie jedes Jahr ein Kalb kriegen. Jedes zweite davon ist jedoch männlich und hat für den Milchviehbauern wenig Nutzen. Anstatt die Jungbullen nach wenigen Wochen weiterzuverkaufen und sie damit einem ungewissen Schicksal zu überlassen, behalten die Mitglieder der Erzeugergemeinschaft „Demeter Milchbauern Süd“die Tiere bis zur Schlachtreife. Sie stellen damit sicher, dass die Tiere artgerecht gehalten werden und nicht unnötig leiden. Dafür haben sie nun vom Land Baden-Württemberg den Tierschutzpreis verliehen bekommen.
Rolf Holzapfel ist Landwirt aus Überzeugung. Wer sich mit ihm über Tierschutz, Haltungsbedingungen und Aufzucht unterhält, merkt schnell, dass hier jemand sitzt, der für seine Überzeugungen einsteht. 60 Milchkühe hält seine Familie auf dem Hofgut in Voggenreute und fast noch einmal genauso viele Kälber. Holzapfel ist Vorsitzender der Erzeugergemeinschaft „Demeter Milchbauern Süd“. Die 40 Milchviehhöfe, die sich zu dieser Gemeinschaft zusammengeschlossen haben, haben sich auf zwei Dinge spezialisiert: Sie produzieren zum einen ausschließlich
Heumilch in Demeter-Qualität.
Und seit zwei, drei Jahren werden alle Tiere nach dem Prinzip der kuhgebundenen Kälbermast gehalten.
Das Label „Heumilch“dürfen nur Höfe tragen, deren Tiere im Sommer auf der Weide fressen und im Winter Heu erhalten. Silage darf nicht verfüttert werden. Die kuhgebundene Kälbermast sieht vor, dass sowohl die männlichen als auch weiblichen Kälber bis zur Schlachtreife auf dem Hof bleiben, dort zusammen mit ihren Müttern oder einer Amme leben und in diesem Zeitraum auch weiterhin echte Milch trinken dürfen.
Was selbstverständlich klingt, ist es nicht. Denn die meisten Milchbauern verkaufen ihre männlichen und die überschüssigen weiblichen Kälber an einen Viehhändler und dieser wiederum verkauft sie an einen konventionellen Mastbetrieb. Damit sie möglichst schnell an Gewicht zulegen, erhalten die Kälber dort Milchersatz und Kraftfutter. Vorbeugend bekommen viele Tiere zudem Antibiotika, da in den Mastbetrieben Kälber aus vielen Höfen neu zusammengemischt werden. Zudem sind die Tiere, gestresst durch den Transport und die neue Umgebung, besonders anfällig für Krankheiten. Viele Kälber landen sogar in einem Mastbetrieb
in Spanien oder Afrika.
„Selbst uns Bio-Bauern war lange nicht klar, was mit unseren männlichen Kälbern nach dem Verkauf geschieht. Vor ein paar Jahren kam ich daher an einen Punkt, wo ich dieses Vorgehen moralisch so nicht mehr weiter mittragen konnte“, erklärt Landwirt Holzapfel. „Ich möchte beim Tierschutz keine Kompromisse mehr eingehen. Die einzige logische Konsequenz war daher, die Tiere auf dem Hof zu behalten“, sagt er. Erreichen die Kälber dann nach vier, fünf Monaten ihre Schlachtreife, werden sie ohne Umwege zu einem nahe gelegenen Schlachthof transportiert.
Die Konsequenz ist, das deutlich weniger Milch in die Vermarktung geht. Eine nach Demeter-Vorschriften gehaltene Kuh gibt pro Jahr durchschnittlich 5500 bis 6000 Liter Milch. Bleibt das Kalb bei ihr, trinkt es 1000 bis 1500 Liter. Die einzige Möglichkeit, das auszugleichen, ist die Preisschraube. Durchschnittlich 15 bis 20 Prozent teurer sind die Produkte der Erzeugergemeinschaft geworden, seitdem die Mitglieder auf die kuhgebundene Kälbermast umgestellt haben.
Einen Umsatzeinbruch haben sie dennoch nicht verzeichnet. „Wir wissen natürlich nicht, ob unsere Kunden gemerkt haben, dass auf unseren Produkten jetzt ein weiteres Siegel zu sehen ist und das für gut befinden, oder ob ihnen die Heumilchprodukte einfach den Preis wert sind“, so Holzapfel, „ generell konnten wir unseren Umsatz jedoch die letzten Jahre jeweils um 25 Prozent steigern. Es gibt also immer mehr Menschen, die genau hinschauen, was sie essen und trinken.“
Schon lange sind Bioprodukte kein Nischenprodukt mehr. Seit 2015 arbeitet die Erzeugergemeinschaft mit der Supermarktkette Edeka Südwest zusammen. 50 bis 60 Prozent ihrer Produkte werden inzwischen dort verkauft. „Wir haben damals mit Biomilch im Tetrapak angefangen und das wurde zuerst überhaupt nicht von den Kunden angenommen“, erinnert sich der Landwirt. „Doch anstatt sich von uns zu verabschieden, hat Edeka mit uns an der Präsentation und Verpackung der Produkte gearbeitet und die Nachfrage entwickelte sich danach spürbar.“
Heute sind die Bioprodukte aus den Supermarktregalen nicht mehr wegzudenken. Aus den zu Beginn 14 Milchviehbetrieben in der Erzeugergemeinschaft
sind inzwischen 40 geworden. Sie alle können vom Verkauf ihrer Produkte leben.
Doch wäre dieser Ansatz tauglich für die Masse der Landwirte? Holzapfel hat darauf keine Antwort. Der Preis von Fleisch und Milchprodukten würde sich dann auf jeden Fall verteuern. „Der Königsweg wäre, insgesamt deutlich weniger Fleisch zu produzieren. Das würde dem Klima nützen, weil weniger Soja angebaut werden muss, und es würde dazu beitragen, dass Fleisch wieder mehr wertgeschätzt wird. Und man müsste auch darüber nachdenken, wie viel Milchproduktion sinnvoll ist. Zu wenig Menschen ist bewusst, dass Milch nicht ohne Fleisch produziert werden kann und wie eng das Tierwohl mit der hohen Nachfrage zusammenhängt.“
Wer noch in der Erzeugergemeinschaft dabei ist: Biohof Aufmuth Ruderatshofen, Blank GbR Wolfegg, Bohnerhof Tettnang, Boschenhof Leutkirch-Friesenhofen, Camphill Dorfgemeinschaft Hermannsberg in Heiligenberg, Camphill Dorfgemeinschaft Lehenhof Deggenhausertal, Thomas Dieng Aitrach, Josef Fischer Lauterschach-Marktoberdorf, Gärtnerhof Oberreute GbR Kißlegg, Klaus Gebhard Tettnang, Hofgemeinschaft Heggelbach GbR Herdwangen-Schönach, Demeter Hof Hiemer Haldenwang, Baptist Kutter Kißlegg, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Lautenbach Herdwangen, Max Löcherer Lengenwang, Christof Mayer Kißlegg, A&E Mintrop Oggelsbeuren, Möhrlehof Großschönach, Wolfgang Müller Bad Wurzach, Neuhauserhof Rot an der Rot, Johannes Ott Wald, PPro Arte gGmbH Heiligenberg, Manfred Reisacher Dietmannsried, Biohof Schmidberger Bad Waldsee, H & C Schmidberger Ummendorf, Wannenhof Schneid Haldenwang, Schwärzler-Hof Kempten, Hofgut Voggenreute Ingoldingen, Markus Weber Waldburg, Martin Weber Aufkirch, Sebastian Wuggezer Lindau-Hochburg (sz)