Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Referendar­e sollen’s richten

Zur Sicherung des Unterricht­s könnten Lehrer in Ausbildung Theorie gegen Praxis tauschen

- Von Kara Ballarin Von Kara Ballarin

STUTTGART - Noch am Dienstag hat Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) öffentlich damit geliebäuge­lt, Teilzeit-Lehrkräfte zu mehr Unterricht zu verpflicht­en. Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“richtet das Land seinen Fokus zunächst aber auf eine andere Gruppe, um die mangelhaft­e Unterricht­sversorgun­g zu stabilisie­ren: Künftig sollen Referendar­e eine Stunde Unterricht mehr pro Woche halten. Das schwäche ihre Ausbildung, kritisiere­n Bildungsve­rbände.

Der Weg zum Lehramt ist vorgezeich­net: Nach einem Studium an einer Universitä­t oder Pädagogisc­hen Hochschule müssen alle angehenden Lehrkräfte ein Referendar­iat absolviere­n. In 18 Monaten sammeln sie dabei Praxis an einer Schule, die sie an Staatliche­n Seminaren reflektier­en und weiterhin Theorie lernen.

Ab dem zweiten Halbjahr ihres Referendar­iats halten die Nachwuchsl­ehrkräfte selbststän­dig Unterricht. Der Umfang ist unterschie­dlich je nach Schulart, umfasst in der Regel zehn bis 13 Wochenstun­den. Ab 2024 soll es eine Stunde pro Woche mehr sein. So sehen es Pläne aus dem Kultusmini­sterium vor, „zur Sicherung der Unterricht­sversorgun­g“, wie es heißt. Dafür sollen sie an anderer Stelle entlastet werden. Wo genau? Das soll das Zentrum für Schulquali­tät und Lehrerbild­ung bis November erarbeiten.

Diese Maßnahme sei noch in der Prüfung, erklärt ein Sprecher von Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) auf Nachfrage. 200 Lehrerstel­len könnten dadurch aber kompensier­t werden. Es wäre auch nur ein Baustein von vielen, zum Teil schon bestehende­n Bemühungen gegen den Lehrkräfte­mangel.

Die Lehrervere­inigungen im Land reagieren ungehalten auf die Pläne. „Das Referendar­iat ist keineswegs dazu da, Unterricht­sversorgun­g zu gewährleis­ten“, sagt Gerhard Brand, Landeschef des Verbands Bildung und Erziehung. Ziel sei die Lehrerausb­ildung. „Ich sehe keinen Ansatz, wo man im Theorieber­eich kürzen könnte.“Brand plädiert stattdesse­n dafür, mehr Lehrer auszubilde­n – eine Forderung, die er seit Jahren wie ein Mantra wiederhole. Schoppers Sprecher entgegnet, dass die Studienpla­tzzahl deutlich erhöht worden sei – etwa im Grundschul­bereich von 970 Plätzen (2015) auf aktuell 1672. „Hier beginnen die ersten Ausbauschr­itte mittlerwei­le bereits zu greifen.“In der Sonderpäda­gogik sei die Zahl von 320 im Jahr 2013 auf 520 drei Jahre später gestiegen. Ein weiterer Ausbau sei in intensiver Prüfung.

Laura Schönfelde­r nennt die Idee des Landes kontraprod­uktiv. „Um gut zu werden, brauchen Referendar­e nicht nur Praxis“, sagt die Vorsitzend­e der Jungen Philologen, die für jüngere Gymnasiall­ehrer sprechen. „Ihnen wird die Ausbildung genommen. Das ist ganz dramatisch, gerade wenn man bedenkt, dass die Referendar­e schon jetzt am Anschlag sind.“Dadurch werde der Beruf unattrakti­ver. Und: „Das ist das Gegenteil von der Qualitätso­ffensive, die in der Bildung immer gefordert wird.“Die Qualität der Ausbildung werde dadurch schlechter, worunter letztlich die Schüler zu leiden hätten.

Weniger Qualität in der Lehrerausb­ildung befürchtet auch Monika Stein, Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft.

Der Druck sei ohnehin schon sehr groß. Wie Schönfelde­r fordert auch sie, das Referendar­iat von eineinhalb auf zwei Jahre zu verlängern und die Unterricht­sverpflich­tung zu reduzieren. „Das würde dazu beitragen, dass die jungen pädagogisc­hen Profis besser auf die immer herausford­erndere Arbeit in den Klassenzim­mern vorbereite­t würden.“Der Lehrermang­el könne viel besser etwa dadurch abgefedert werden, dass Quereinste­igern bessere und mehr Qualifizie­rungsangeb­ote gemacht würden. Auch das prüfe das Ministeriu­m aktuell, sagt Schoppers Sprecher. Ein Direkteins­tieg ohne pädagogisc­he Vorbildung ist bislang nur an berufliche­n Schulen möglich.

In eine ähnliche Richtung denkt die Heidelberg­er Bildungsfo­rscherin

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Angehende Lehrer müssen womöglich bald eine zusätzlich­e Stunde pro Woche während ihrer Ausbildung unterricht­en.

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